von Prof. Dr. Vinzenz Wyss, Professor für Journalistik am IAM
Was für ein warmes Morgenrot leuchtete da an diesem verregneten Mittwochmorgen des 26. April, der in die Deutschschweizer Journalismusgeschichte eingehen wird. Euphorisiert strahlende Gesichter erleuchteten die düsteren Redaktionsstuben des Hotels Rothaus im Zürcher Langstrassenquartier. Das lange, mit geschickter Kommunikationsstrategie angekündigte Journalismusprojekt „Republik“ kann Realität werden. Es brauchte keine acht Stunden, bis das Ziel der beiden Pioniere Constantin Seibt und Christof Moser per Crowdfunding erreicht wurde: 750’000 Franken und 3000 Mitglieder für einen demokratierelevanten Journalismus.
Klar wollte ich da auf jeden Fall vor Ort dabei sein, der Crew der „Republik“ um sieben Uhr die Daumen drücken und Mut zusprechen, wenn sie über die alles entscheidende Crowdfunding-Klippe springt. Und so hüpfte ich auch schon nach fünf Uhr beim ersten Weckersound aus dem Bett und sass kurz darauf im Zug Richtung Zürich.
Optimismus im Bauch und Realismus im Kopf
Mein optimistisches Interesse am Projekt „Republik“ widerspricht dem Realismus eines Journalismusforschers, dessen Herz für einen zwar für die Gesellschaft unverzichtbaren jedoch immer weniger erwartbaren Journalismus schlägt. Gerade am Montag davor habe ich zusammen mit meinem Forscherkollegen Guido Keel auf Einladung der Eidgenössischen Medienkommission EMEK eine Expertise präsentiert, in welcher wir die Herausforderungen für den Journalismus im digitalen Zeitalter analysieren. In unserer 40-seitigen Studie führen wir aus, dass die Digitalisierung der öffentlichen Kommunikation zu einem unaufhaltsamen Wandel der gesellschaftlichen Medien- und Kommunikationsordnung führt. Der massenmediale Journalismus verliert zusehends seine Monopolstellung als so genannter Gatekeeper und die traditionellen Finanzierungsmodelle der Medien brechen ein. Dies führt wohl dazu, dass ökonomisch getriebene Medienunternehmen ihr Interesse an der ressourcenintensiven Produktion eines gesellschaftsrelevanten Journalismus verlieren. Gleichzeitig ermöglicht die Digitalisierung einer Vielzahl unterschiedlichster Akteure, in den Vermittlungsmarkt einzutreten. Diese erbringen zum Beispiel als strategische Akteure, Kuratoren oder Social Media Plattformen oder als Bürgermedien ebenfalls quasi-journalistische Selektionsleistungen – allerdings kaum im Einklang mit etablierten professionellen journalistischen Regeln und Normen, wie unsere und weitere bei der EMEK präsentierte Analysen festhalten.
Silberstreifen oder letztes Aufflackern
Angesichts dieser Entwicklung scheint uns Journalismusforschern das Projekt „Republik“ wie ein Silberstreifen am Horizont. Oder vielleicht doch nur als ein Tropfen auf den heissen Stein, ein letztens Aufflackern von Idealisten, die sich noch als Angehörige einer Profession verstehen? Gequält von solch herzzerreissenden Gedanken erreichte ich dann kurz nach sieben Uhr das Hotel Rathaus mit einer gewissen Erleichterung. Tatsächlich hat sich vor dem Eingang eine wider Erwarten längere Schlange von geschätzt 200 Menschen in meist grauer Bekleidung unter farbigen Regenschirmen gebildet. Sie alle hatten sich ebenfalls in aller Herrgottsfrüh aufgemacht, um mit ihrer Spende von 240 Franken am Ort des Geschehens ihr Interesse an einem Journalismus zum Ausdruck zu bringen, der von einer journalistischen Organisation hervorgebracht werden soll, die sich primär journalistischen Qualitätszielen verpflichtet.
Genau das verspricht die Genossenschaft „Republik“ nämlich zu sein: eine journalistische (!) Organisation und nicht ein Medienunternehmen, das primär ökonomische Ziele verfolgt und zugleich von der sich verabschiedenden Werbewirtschaft abhängt. Aber reicht das? Reicht es, demokratierelevanten Journalismus zu produzieren angesichts der Tatsache, dass dieser künftig auch im digitalen Netz gefunden werden muss? In einem Netz, in dem so genannte «News-Deprivierte» die Spreu vom Weizen trennen können müssten. In einem Netz, das immer mehr von parasitären Social Media Plattformen und ihren Algorithmen beherrscht wird?
Ausgehend von der Frage, wie das Journalistische künftig sein Publikum erreichen kann, haben wir in unserer Studie drei künftige Szenarien entwickelt:
- Im ersten Szenario sehen wir einen individuellen Kurator. Findig und über eine hohe Medienkompetenz verfügend, ist er in der Lage, seine eigene Auswahl an Informationen zusammenzustellen.
- Das zweite Szenario geht davon aus, dass sich mächtige Social Media Plattformen durchsetzen werden. Als „Hubs“ werden sie die erste Anlaufstelle von unzähligen – auch pseudojournalistischen – Informations- und Deutungsanbietern wie beispielsweise wirtschaftliche oder politische Akteure, die nicht-journalistische Ziele verfolgen, sein.
- Im dritten Szenario betonen wir, dass der für die Gesellschaft relevante Journalismus weiterhin organisationale Strukturen benötigt, um seinen Institutionenstatus erhalten zu können. Wir vertreten die Auffassung, dass nur innovative journalistische Organisationen in der Lage sind, solche Leistungen zu erbringen.
Anforderungen an eine innovative journalistische Organisation
Würde „Republik“ den Anforderungen an eine solche innovative Organisation gewachsen sein? Wir haben in unserer Studie Kriterien entwickelt, die dabei herangezogen werden können, dies einzuschätzen. Darunter fallen zum Beispiel etablierte Strukturen des Qualitätsmanagements, geeignete redaktionelle Arbeitsbedingungen, ein intensiver Umgang mit Social Media zur verstärkten Publikumsinklusion, aber auch ein neues journalistisches Selbstverständnis, das nicht einfach die klassischen Rollen des neutralen Berichterstatters oder des Kritikers betont, sondern dem Wissensvermittler, der Moderator und dem Problemlösers viel mehr Gewicht gibt. Vor allem aber müssten solche unabhängigen journalistischen Organisationen auch in der Lage sein, teure Spezialisten in der Suchmaschinenoptimierung, der Daten- und Algorithmen- optimierten Bespielung vieler relevanter Plattformen einzusetzen. Sie dürften wohl auch nicht davor zurückschrecken, Advertsing-Angebote von Google und Facebook für den Aufbau von gekaufter Reichweite zu nutzen.
Solche Gedanken hatten freilich an dem besonderen Morgen des 26. April keinen Platz in dem überfüllten Hotel Rothaus. Auch die mahnenden Worte in der Youtube-Botschaft des Inspirators Hansi Voigt, dass der Journalismus ganz viele solche Projekte auch ausserhalb des Grussraums Zürich brauche, vermochten die euphorische Stimmung nicht zu trüben. Nach meiner feierlichen Einzahlung des Mitgliederbeitrags, einigen angeregten Gesprächen mit überdurchschnittlich interessierten Journalisten etwa über die Nachhaltigkeit des unerwarteten Engagements, einem starken Händedruck von Constantin Seibt und einem Kaffee, serviert von Christof Moser, waren bereits die ersten „Wows“ zu hören. Nach knapp einer Stunde waren 170‘000 Franken zusammengekommen. Kaum einer traute sich dann schon zu glauben, dass es am Mittag bereits eine halbe und am Abend mehr als eine Million sein werden.
Möge die „Republik“ den Glauben an den Journalismus beflügeln und weiteren Journalismus-Enterpreneuren Mut machen! Mögen solche Projekte auch den Journalismusforscher Frank Lobigs vor den Kopf stossen, der vor der EMEK mit seiner medienökonomischen Analyse – durchaus überzeugend – den Teufel an die Wand malte und prognostizierte, dass der Journalismus von Social Media Plattformen wie Facebook an die Wand gespielt werde. Aber selbst wenn dies nicht gelingen sollte: Die „Republik“ hat bereits jetzt gezeigt, wie man sich eine journalistische Organisation vorzustellen hat und dass es sich möglicherweise lohnen würde, solchen Vorhaben auch mit Mitteln der Medienförderung auf die Sprünge zu helfen.