An einem Workshop von Schulungsbibliothekarinnen und -bibliothekaren berichteten Verantwortliche aus unterschiedlichen Institutionen im November letzten Jahres darüber, was im Bereich der digitalen Transformation im Umfeld der Hochschulbibliotheken geschieht. Einige Anwesende zeigten sich irritiert darüber, von vielen der vorgestellten Initiativen, Förderprogrammen und Projekten an diesem Vormittag zum ersten Mal zu hören. Informationskompetenz als digitaler Skill scheint zudem auf den ersten Blick eher stiefmütterlich behandelt zu werden. Im Folgenden wird über die Inhalte der Tagung berichtet und eine Einordnung in Form eines Kommentars vorgenommen.
Tagungsbericht
AGIK-Workshop zur Informationskompetenz in der digitalen Transformation
Im November letzten Jahres traf sich das Schulungspersonal von Hochschulbibliotheken aus der ganzen Schweiz in der Berner Altstadt zum gemeinsamen AGIK-Workshop. Das Programm war vielfältig zusammengestellt, und die präsentierten Inhalte sorgten bisweilen für Erstaunen.
Die AGIK (Arbeitsgruppe Informationskompetenz an Schweizer Hochschulen) ist ein Zusammenschluss von Personen, die in schweizerischen Hochschulbibliotheken dafür zuständig sind, Hochschulangehörige zur gezielten Auffindung, Evaluation und Nutzung von Informationen zu befähigen. Diese Fähigkeit wird Informationskompetenz (IK) genannt. Das Ziel der AGIK ist, die Vermittlung von IK an Schweizer Hochschulen als festen Bestandteil in Curricula zu integrieren und Best Practices zu deren Vermittlung untereinander auszutauschen. Zu diesem Zweck werden regelmässig Workshops ausgerichtet. Im letzten Workshop wurde versucht, die Informationskompetenz im Kontext der digitalen Transformation zu beleuchten. Dafür wurden verschiedene Referentinnen aus dem Umfeld von Hochschulbibliotheken gebeten, ihre Programme, Projekte und Initiativen vorzustellen.
Aktionsplan Digitalisierung
Raphael Karpf vom Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) präsentierte den Aktionsplan Digitalisierung des SBFI. Exponentielle Entwicklung von Rechenkraft und Innovation im Bereich Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) verursache gemäss dem Referenten und dem von ihm zitierten Bericht des SBFI (2017) nicht nur einen erhöhten Bedarf an tertiären IKT-Abschlüssen, sondern auch an Aus- und Weiterbildungen in anderen Bereichen.
Vor diesem Hintergrund bestehe eines von mehreren Aktionsfeldern im Hochschulbereich in der Stärkung der Nachwuchsqualifikation (“Digital Skills”). Im Bericht wird dieses Ziel wie folgt formuliert:
“Sicherstellen von qualifiziertem Nachwuchs und notwendigen Skills bezüglich digitaler Technologien über alle Fachbereiche. Beschleunigtes Einbringen von Themen rund um intelligente Cybertechnologie in Lehre und Ausbildung sowie Kompetenzvermittlung über Technologien der Digitalisierung an Studierende aller Fachbereiche.”
SBFI, 2017, S. 68
Kooperationsprojekte zur Stärkung der “Digital Skills”
Als kurzfristige Massnahme hat das SBFI Kooperationsprojekte zur Stärkung der “Digital Skills” vorgeschlagen. Swissuniversities wurde damit beauftragt, diese Projekte einzufordern und sie bis Ende 2018 zu bewerten. Antoine Maret von Swissuniversities hat im zweiten Vortrag des AGIK-Workshops über das Vorgehen und die Vielfalt der mehr als 300 eingereichten Projekte berichtet. In einer vom Referenten präsentierten Folie wurde unter etlichen weiteren Punkten eine Plattform für Informationskompetenz, sowie ein weiteres Projekt zur Förderung der IK genannt.
Digital Society Initiative der Uni Zürich
Im dritten Vortrag des Tages wurde die “Digital Society Initiative” (DSI) der Universität Zürich (UZH) von Sara Irina Fabrikant (Direktorium DSI) vorgestellt. Das Ziel der DSI ist es, die UZH national und international als Kompetenzzentrum für die kritische Reflexion aller Aspekte der digitalen Gesellschaft zu positionieren. Im Bereich der digitalen Gesellschaft sollen Forschung, sowie interdisziplinäre Zusammenarbeit gefördert, Lehrangebote entwickelt, Erkenntnisse aus Grundlagenforschung umgesetzt und Kooperation mit Gesellschaft, Kultur, Politik und Wirtschaft, sowie Dialog mit der Öffentlichkeit verstärkt werden. Die Referentin berichtete über Ansätze zur Auffindung und Visualisierung von spezifischen Informationen, sowie den Anspruch der Initiative, Lehrangebote für eine “Digital Literacy” zu entwickeln.
Mitarbeit des BIS an der nationalen Strategie “Digitale Schweiz”
Der letzte Vortrag wurde von Amélie Vallotton Preisig (Vorstandsmitglied des Berufsverbands der Schweizer Bibliotheken BIS) bestritten. Die Referentin legte dar, wie die Arbeitsgruppe “Digitale Schweiz” des BIS an der nationalen Strategie “Digitale Schweiz” des Bundesrates mitarbeitet. Sie stellte dabei die Informationskompetenz als eine ebenso wichtige Grundkompetenz wie etwa Lesen und Schreiben dar. Gar als universelle Frage bezeichnete sie die Überwindung einer digitalen Kluft, die sich ihr gemäss in allen Bevölkerungsgruppen auftue. Die Bibliotheken sieht sie als die geeigneten Institutionen, sich dieser Frage anzunehmen. Dies begründete sie damit, dass Bibliotheken über ein dichtes Netzwerk verfügten, niederschwelligen Zugang für alle Bevölkerungsgruppen ermöglichten, sowie über Programme für lebenslanges Lernen, geschultes Personal und Infrastruktur verfügten. Allerdings, so führte sie weiter aus, gäbe es keine oder wenig politische und öffentliche Anerkennung der Rolle der Bibliotheken in diesem Bereich. Dies führe dazu, dass zu wenig spezifische Mittel zur Verfügung stünden und keine Harmonisierung der Praktiken stattfände. Aus diesem Grund hat sich die Arbeitsgruppe des BIS zum Ziel gesetzt, dafür zu sorgen, dass die Bibliotheken und Informationsvermittlungsstellen als Stakeholder im Projekt “Digitale Schweiz” wahrgenommen werden.
Einordnung der Referate durch die Workshop-Teilnehmenden
Im Nachmittagsprogramm des Workshops versuchten die Teilnehmenden, in Arbeitsgruppen die Inhalte der Referate zu reflektieren und hinsichtlich der Bedeutung von Informationskompetenz einzuordnen. Dabei zeigten sie sich grundsätzlich erfreut darüber, dass Konzepte wie “Digital Literacy” oder “Digital Skills” anerkannt und gefördert werden sollen. Gleichzeitig verhehlten aber auch einige der Anwesenden ihre Irritation darüber nicht, dass sowohl das Konzept der Informationskompetenz wie auch die Rolle der Hochschulbibliotheken in den ersten drei Vorträgen unerwähnt blieben. Denn grundsätzlich einig war man mit der letzten Referentin in der Einschätzung, IK als eine Schlüsselkompetenz der heutigen Zeit zu sehen.
Kommentar
Die AGIK betrachtet Informationskompetenz als eine der wichtigsten Schlüsselqualifikationen für den Erfolg in Studium und Beruf. Das Ziel des Vereins ist die Etablierung der Vermittlung von Informationskompetenz an Schweizer Hochschulen. Sie geht also offenbar davon aus, dass diese vermeintliche Schlüsselkompetenz in vielen Studiengängen an Schweizer Hochschulen nicht oder nur teilweise etabliert ist. Weshalb Informationskompetenz – also die Fähigkeit, Informationen zu finden, zu verwalten und zu bewerten – offenbar eine eher geringe Wertschätzung in der akademischen Welt entgegengebracht wird, erschliesst sich nicht auf den ersten Blick. Es ist zuerst einmal plausibel, in Zeiten, in denen Schlagworte wie “Informationsflut”, “Alternative Fakten” oder “Lebenslanges Lernen” Hochkonjunktur haben, der Informationskompetenz einen prominenten Platz in Kompetenzprofilen von Studiengängen einzuräumen.
Erfahrungen etwa an der ZHAW lassen aber vermuten, dass das Konzept in denjenigen wissenschaftlichen Disziplinen am besten etabliert ist, in denen sich Fachexpertinnen und -experten, sowie Fachgesellschaften mit dem Konzept auseinandersetzen: So wurden etwa in der Psychologie fachspezifische Standards von IK (ACRL, 2010) und ein situativer Entscheidungstest zur Messung derselben (Rosman, Mayer & Krampen, 2015) entwickelt. Und auch in den Health Sciences gibt es Ansätze zur objektiven Messung von fachspezifischer Informationskompetenz (Mayer, 2017). In den beiden entsprechenden Departementen der ZHAW existieren denn beispielsweise auch profunde Lehrveranstaltungen mit Leistungsnachweisen zur Messung von IK – und dies in Kooperation mit Bibliotheksmitarbeitenden.
Wo eine solche Verankerung von Informationskompetenz in der Disziplin weniger stark ausgeprägt ist, braucht es wohl ein umso grösseres Vertrauen in diejenigen, welche sich seit jeher als die überfachlichen Vermittler von IK verstehen, die Bibliothekarinnen und Bibliothekare. Dies obschon der Effekt von Informationskompetenz und bibliothekarischen Vermittlungsangeboten auf den Studienerfolg in empirischen Studien mehrfach und in unterschiedlichen Disziplinen nachgewiesen wurde (etwa Krysiewski, 2018; Kumari, 2016; Lwoga, 2014; McCartin, Iannacchione & Evans, 2017; Rapchak, Nolfi, Turk, Marra & O’Neil, 2018; Schweikhard, Hoberecht, Peterson & Randall, 2018; Seitz & Grossmann, 2016; Shanahan, 2007; Shao & Purpur, 2016). Der Informationskompetenz wird darüber hinaus schon seit geraumer Zeit gesellschaftliche und pädagogische Relevanz attestiert, und sie wird als Notwendigkeit für lebenslanges Lernen betrachtet (Idiodi, 2005, S. 223). Die Geschwindigkeit, mit welcher sich der digitale Wandel vollzieht, scheint diese Behauptung zu fundieren: Es ist ohne viel Fantasie vorstellbar, dass institutionalisierte Aus- und Weiterbildungsangebote mit einer exponentiellen Beschleunigung von Technologieentwicklung kaum Schritt halten können. Eine Grundvoraussetzung für lebenslanges Lernen scheint daher in der Fähigkeit zu liegen, selber Informationen finden, bewerten und nutzen zu können. Dass zudem ein Bedarf nach Kompetenzentwicklung von Studierenden im Umgang mit einer vermeintlichen “Informationsflut” und sogenannten “Fake News” besteht, zeigen schon die Bemühungen um Konzepte wie “Digital Skills” und “Digital Literacy”. In einigen aktuellen Projekten und Initiativen scheint die Informationskompetenz allerdings bisher weder Eingang in noch Abgrenzung zu solchen neuen Konzepten gefunden zu haben. Dies ist insofern bedauerlich, als die einzelnen Fähigkeiten, die bisher als Dimensionen von Informationskompetenz geführt wurden, keineswegs an Bedeutung verloren haben: Es ist nach wie vor wichtig, systematische Recherchestrategien und adäquate Suchtechniken anwenden, sowie Suchinstrumente und Quellen zielführend auswählen zu können. Auch die Fähigkeit, Informationen hinsichtlich Herkunft und Urheberschaft, sowie Qualität und Relevanz beurteilen zu können und Informationen effizient verwalten, sowie deren technisch, ethisch und gesetzlich korrekte Verwendung realisieren zu können, sind wichtige Grundkompetenzen.
Ob es tatsächlich eine digitale Kluft zu überwinden gibt und wie dies geschehen soll, bleibe hier vorerst dahingestellt. Dass Bibliotheken aber über gewisse Kompetenzen und Ressourcen verfügen, um in solchen Fragen eine Rolle zu spielen, scheint aber tatsächlich auf der Hand zu liegen. Im Hochschulbereich lässt das Beispiel der geringen oder gar fehlenden Einbindung von Bibliotheken in die Entwicklung von Initiativen wie der DSI oder die Ausarbeitung von Projekten zuhanden Swissuniversities allerdings vermuten, dass eine Sensibilität für die Thematik der Informationskompetenz und die entsprechende Zuständigkeit von Bibliotheken bei Rektoraten und anderen relevanten Einfallstoren von Informationen und Entscheidungsträgern an Hochschulen eher gering ausgeprägt ist. Es scheint, dass sich Hochschulbibliotheken nicht in ausreichendem Masse als Stakeholder positioniert haben. Dass sich das Kompetenzmodell IK bisher aber nicht in allen Disziplinen durchgesetzt hat, ist nachvollziehbar. In vielen Studiengängen werden wohl gewisse Teile des Konzeptes von Informationskompetenz, ohne dieses als solches explizit zu machen, ohnehin gelehrt. So gehört etwa die Beurteilung von Relevanz und Qualität empirischer Ergebnisse zu einer fundierten Ausbildung in wissenschaftlichem Arbeiten dazu. Und auch in bestimmten Konzeptionen von “Digital Literacies” werden bekannte Teilkompetenzen beschrieben – etwa im Konzept der “Information Digital Skills” (Eshet, 2012, S. 270). Zudem sind gewisse Fachspezifika des IK-Konzeptes durchaus zu beachten. Daher ist die Frage berechtigt, ob generalistisch ausgebildete Bibliothekarinnen und Bibliothekare für alle Lehrinhalte von IK die richtigen Lehrpersonen sind.
Für die Erreichung einer ganzheitlichen Informationskompetenz, die gleichsam Teil einer generellen “Digital Literacy” sein kann, ist wohl eine Kombination aus fachspezifischem Wissen und generellen Skills zur Aneignung neuer und fachfremder Informationen angebracht. Kooperationen von Fachpersonen und Bibliothekspersonal, etwa in der gemeinsamen Entwicklung von Schulungsformaten und Lehrinhalten, zu fördern, wäre ein Vorschlag, dieses Ziel zu erreichen. Dass die Bibliotheken sich als Mitspielerinnen in der digitalen Transformation strategisch besser positionieren und ihre Möglichkeiten aufzeigen müssen, scheint indes ausser Frage.
Quellennachweis
ACRL. (2010, Juli 6). Psychology Information Literacy Standards. Association of College & Research Libraries (ACRL). Text, . Zugriff am 25.11.2018. Verfügbar unter: http://www.ala.org/acrl/standards/psych_info_lit
Eshet, Y. (2012). Thinking in the Digital Era: A Revised Model for Digital Literacy. Issues in Informing Science and Information Technology, 9, 267–276.Idiodi, E. A. (2005). Approaches to Information Literacy Acquisition in Nigeria. (J. Wallis, Hrsg.)Library Review, 54 (4), 223–230. https://doi.org/10.1108/00242530510593416
Krysiewski, R. (2018). Using an Information Literacy Program to Increase Student Retention. Academy of Educational Leadership Journal; Arden, 22 (1), 1–16.
Kumari, B. K. (2016). The Role of Information Literacy Competence and Higher Order Thinking Skills to Develop Academic Writing in Science and Engineering Students. Higher Learning Research Communications, 6 (4).
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Mayer, A.-K. (2017). Assessing Health Information Literacy by a Knowledge Test. Anne-Kathrin Mayer. European Journal of Public Health, 27 (suppl_3). https://doi.org/10.1093/eurpub/ckx187.066
McCartin, L. F., Iannacchione, B. & Evans, M. K. (2017). Student Perceptions of a Required Information Literacy Course on Their Success in Research & Writing Intensive Criminal Justice Courses. The Journal of Academic Librarianship, 43, 242–247. https://doi.org/10.1016/j.acalib.2017.01.01
Rapchak, M. E., Nolfi, D. A., Turk, M. T., Marra, L. & O’Neil, C. K. (2018). Implementing an Interprofessional Information Literacy Course: Impact on Student Abilities and Attitudes. Journal of the Medical Library Association; Chicago, 106, 464–470. https://doi.org/http://dx.doi.org/10.5195/jmla.2018.455
Rosman, T., Mayer, A.-K. & Krampen, G. (2015). Measuring Psychology Students’ Information-Seeking Skills in a Situational Judgment Test Format. European Journal of Psychological Assessment, 32, 220–229. https://doi.org/10.1027/1015-5759/a000239
Schweikhard, A. J., Hoberecht, T., Peterson, A. & Randall, K. (2018). The Impact of Library Tutorials on the Information Literacy Skills of Occupational Therapy and Physical Therapy Students in an Evidence-Based Practice Course: A Rubric Assessment. Medical Reference Services Quarterly; New York, 37, 43–59. https://doi.org/http://dx.doi.org/10.1080/02763869.2018.1404388
Seitz, G. & Grossmann, B. (2016). Einfluss von Informationskompetenz-Veranstaltungen auf die Qualität von Masterarbeiten. Informationspraxis, 2 (1). https://doi.org/10.11588/ip.2016.1.23295
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Shao, X. & Purpur, G. (2016). Effects of Information Literacy Skills on Student Writing and Course Performance. The Journal of Academic Librarianship, 42, 670–678. https://doi.org/10.1016/j.acalib.2016.08.006
Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation SBFI. (2017). Herausforderungen der Digitalisierung für Bildung und Forschung in der Schweiz. Verfügbar unter: https://www.sbfi.admin.ch/dam/sbfi/de/dokumente/2017/06/bericht-digitalisierung.pdf.download.pdf/bericht_digitalisierung_d.pdf
Ein Beitrag von Pascal Gutknecht. Schulungsverantwortlicher ZHAW Hochschulbibliothek Zürich.