
Von Matthias Maurer
Die Kantone sind für die Sicherstellung der medizinischen Versorgung verantwortlich. Diese Aufgabe könnte aber auch den Krankenversicherern übertragen werden. In den Niederlanden zum Beispiel müssen die Versicherer – obwohl sie so wie in der Schweiz private Unternehmen sind – sicherstellen, dass ihre Versicherten Zugang zu medizinischen Leistungen haben. Dafür kaufen sie die Leistungen ein und verhandeln mit den ausgewählten Leistungserbringern über den Umfang und die Qualität der angebotenen Leistungen sowie die Höhe der Vergütung.
Auf diesen Regulierungsansatz bin ich bereits in einem meiner früheren Blogs eingegangen. Auf der diesjährigen Studienreise in die Niederlanden haben wir auch den grössten Krankenversicherer «Zilveren Kruis» besucht. Dabei ist mir noch stärker bewusst geworden, was der niederländische Regulierungsansatz in der Praxis für die Krankenversicherer tatsächlich bedeutet. Und ich habe mir überlegt, was die Schweiz beachten müsste, sollte der Regulierungsansatz auch hier Schule machen.
Hoheitliche Planung? Besser ist eine koordinierte Versorgung durch die Akteure
Die rechtliche Pflicht der niederländischen Krankenversicherer zur Gewährleistung des Zugangs zu einer angemessenen Versorgung für alle hat unmittelbare Konsequenzen. Als Marktführer in einem Drittel aller Regionen nimmt «Zilveren Kruis» eine koordinierende Rolle ein und arbeitet eng mit den Gemeinden, Spitälern, Hausärzten sowie Sozialhilfeorganisationen zusammen. Dieser Ansatz ermöglicht massgeschneiderte Lösungen auf der Grundlage der lokalen Bedürfnisse. So kann beispielsweise in ländlichen Gebieten der Schwerpunkt auf der Bekämpfung des Hausarztmangels liegen.
Wie uns gezeigt wurde, führt «Zilveren Kruis» in solchen Regionen aufwändige Gespräche mit den Hausärzten über deren aktuelle Arbeitspensen sowie allfällige Pensionierungspläne. In städtischen Gebieten wie Amsterdam liegt der Schwerpunkt dagegen mehr auf dem Zugang zu psychiatrischer Versorgung, der Behandlung chronisch Kranker und der Verringerung von sozioökonomischen Ungleichheiten. Dort werden zusammen mit den anderen Akteuren innovative und zielgruppenspezifische Pilotprogramme entwickelt wie das ‘Beter Samen In Noord’, das wir auf der Studienreise ebenfalls besucht haben.
Ausschluss von Leistungserbringern? Besser ist eine differenzierte Preisgestaltung
In einem gemeinsamen Beitrag mit meinem Kollegen Marco Varkevisser von der Erasmus Universität sind wir zum Schluss gekommen, dass die Lockerung des Vertragszwang und damit die Möglichkeit, mit einzelnen Leistungserbringern keinen Vertrag einzugehen, alleine noch kein wirksames Instrument gegen steigende Mengen und Kosten im Gesundheitswesen ist. Dazu bräuchte es zusätzlich eine Regelung, wonach nicht vertraglich gebundene Leistungserbringer keinen gesetzlichen Anspruch auf eine Vergütung haben sollten.
In der Diskussion mit Vertretern des Krankenversicherers «Zilveren Kruis» wurde diese Forderung letztlich bestätigt. Gemäss ihnen sollte es bei selektiven Vertragsabschlüssen aber nicht um Ausgrenzung von Leistungserbringern gehen, sondern um die effektive Steuerung der Gesundheitsversorgung durch eine differenzierte Preisgestaltung. Konkret gestalten sie ihre Verträge mit den Leistungserbringern so aus, dass es mehr Geld für moderne und effiziente Versorgungsmodelle (z. B. digitale oder Gruppentherapie) bzw. weniger Geld für ineffiziente oder veraltete Versorgungsmodelle gibt. Dies schaffe Anreize für die Leistungserbringer, sich am Ziel der effektiven und effizienten Gesundheitsversorgung zu orientieren, ohne sie von Verträgen auszuschliessen.
Fazit
Der Leistungsausweis der Kantone ist weder bei der Spitalplanung noch bei der seit 2022 geltenden Steuerung spezialärztlicher Versorgung über Zulassungen und Höchstzahlen überzeugend. Und auch die ungenügende Grundversorgung in ländlichen Regionen konnten die Kantone bisher nicht verbessern.
Da stellt sich erstens die Frage, ob die Verantwortung der Sicherstellung der Gesundheitsversorgung nicht den Krankenversicherern übertragen werden sollte. Sie wissen besser als die Kantone, wie man zusammen mit den verschiedenen Leistungserbringern ein für die lokalen Gegebenheiten koordiniertes Versorgungsangebot gestalten kann.
Zudem reicht es zweitens nicht, allein den Vertragszwang aufzuweichen, wie dies eine an den Bundesrat überwiesene Motion fordert. Ein Blick in die Niederlande zeigt: Ohne Regelung der Vergütung für vertragslose Anbieter bzw. der Möglichkeit von differenzierten Vergütungsmodellen bliebe dieser Reformansatz in Bezug auf wichtige Versorgungsziele wirkungslos.
Matthias Maurer ist stv. Institutsleitung des WIG, Dozent und Leitung Bildung & Gesundheitspolitik am WIG.