
Von Cécile Grobet
Mit der Verordnung (EU) 2021/2282 wurde ein einheitlicher Rahmen für die Bewertung von Gesundheitstechnologien (Health Technology Assessment, HTA) in der Europäischen Union geschaffen. Am 12. Januar 2025 sind neue Regelungen in Kraft getreten, die insbesondere die gemeinsame klinische Bewertung (Joint Clinical Assessment, JCA) von innovativen Arzneimitteln und Hochrisiko-Medizinprodukten auf EU-Ebene fördern.
Ziel ist es, die wissenschaftliche Evidenz besser zu nutzen und eine einheitliche Grundlage für die Entscheidungsfindung in den Mitgliedstaaten zu schaffen, welche Patient:innen einen schnelleren Zugang zu innovativen und wirksamen Therapien ermöglicht. Doch was genau beinhaltet die Verordnung, welche Vorteile bringt sie mit sich – und wie wirkt sich das auf die Schweiz aus?
Was regelt die neue EU-HTA-Verordnung?
Die neue Verordnung legt den Grundstein für eine strukturierte Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedstaaten in der Bewertung von Gesundheitstechnologien. Diese Bewertung ist ein zentraler Bestandteil der Entscheidungsprozesse zur Preisgestaltung, Kostenerstattung und Aufnahme neuer Medikamente oder Medizinprodukte in nationale Gesundheitssysteme. Beispielsweise kann die gemeinsame klinische Bewertung dazu beitragen, dass nationale Gesundheitsbehörden schneller und auf einer soliden wissenschaftlichen Basis entscheiden, ob ein neues Krebsmedikament erstattet wird. Wenn ein innovatives Krebsmedikament in der EU positiv bewertet wurde, können einzelne Länder diese Daten direkt in ihre Preis- und Erstattungsentscheidungen einfliessen lassen, ohne dass alle Mitgliedstaaten eigene, zeitaufwändige Bewertungen durchführen müssen.
Eine der wesentlichen Neuerungen ist die Einführung gemeinsamer klinischer Bewertungen (JCA). Zukünftig werden klinische Daten neuer Gesundheitstechnologien auf EU-Ebene standardisiert bewertet. Dies soll eine einheitliche, wissenschaftlich fundierte Basis für nationale Entscheidungen schaffen und gleichzeitig Doppelarbeit bei den einzelnen HTA-Agenturen der Mitgliedstaaten vermeiden. Die Umsetzung erfolgt schrittweise: Ab Januar 2025 gilt die neue Regelung für Krebsmedikamente und Arzneimittel für neuartige Therapien. Im Jahr 2028 wird sie auf Medikamente für seltene Krankheiten erweitert, und ab 2030 sind alle zentral zugelassenen Arzneimittel betroffen. Das betrifft die meisten der in der EU vermarkteten Arzneimittel. Im Bereich der Medizinprodukte wählt die EU-Kommission ab 2025 mindestens alle zwei Jahre einzelne Medizinprodukte und In-vitro-Diagnostika für eine JCA aus. Obwohl die Verordnung eine wissenschaftliche Grundlage für HTA-Entscheidungen bietet, greift sie nicht direkt in Preisregulierungen ein. Die Mitgliedstaaten behalten ihre Hoheit über Preisverhandlungen und Erstattungsentscheidungen, sodass nationale Besonderheiten weiterhin berücksichtigt werden können.
Vorteile und Erwartungen an die neue Regelung
Die Harmonisierung der klinischen Bewertungen innerhalb der EU bringt zahlreiche Vorteile mit sich:
- Schnellere Marktzulassung: Hersteller profitieren von einer vereinfachten und transparenteren Bewertungsstruktur, die parallele nationale Bewertungsverfahren reduziert.
- Bessere wissenschaftliche Evidenz: Durch die gemeinsame Nutzung von Daten und Studien können fundiertere Entscheidungen getroffen werden.
- Mehr Transparenz und Vergleichbarkeit: Einheitliche Standards und qualitativ hochstehende Entscheidungsgrundlagen ermöglichen eine objektivere und international vergleichbare Beurteilung neuer Gesundheitstechnologien.
- Entlastung nationaler HTA-Agenturen: Durch die Nutzung gemeinsamer Bewertungen können Ressourcen eingespart und effizienter eingesetzt werden.
- Einbeziehung von Patient:innen und Expert:innen: Patienten, klinische Experten und andere relevante Fachleute werden aktiv in den JCA-Prozess einbezogen, um eine praxisnahe und patientenorientierte Bewertung sicherzustellen.
Die Schweiz und die EU-HTA-Verordnung: Auswirkungen und Perspektiven
Die Schweiz ist kein Mitglied der Europäischen Union und daher nicht direkt an die neue Verordnung gebunden. Dennoch hat HTA in der Schweiz einen hohen Stellenwert und die neue Verordnung könnte Einfluss auf die Schweiz haben.
Da viele Pharmafirmen ihre Produkte sowohl in der EU als auch in der Schweiz vermarkten, könnten die Ergebnisse der JCA auch in nationalen HTA-Prozessen berücksichtigt werden. Die Schweiz könnte von den standardisierten Bewertungsverfahren profitieren, indem sie diese in ihre eigenen Entscheidungsprozesse integriert oder zumindest als Referenz heranzieht. Die Schweizer Bevölkerung könnte direkt von dieser Integration profitieren, weil der Einbezug der klinischen Expertise im jeweiligen therapeutischen Anwendungsgebiet sowie die Perspektive der betroffenen Patient:innen ein zwingender Bestandteil der JCA sind.
Fazit: Chancen und Herausforderungen für die Schweiz
Die EU-HTA-Verordnung bringt zahlreiche Vorteile für die Bewertung von Gesundheitstechnologien, insbesondere durch mehr Transparenz, wissenschaftliche Exzellenz und einen einheitlicheren Zugang zu innovativen Therapien. Auch wenn die Schweiz nicht direkt betroffen ist, wird sie die Entwicklungen in der EU sicherlich aufmerksam beobachten. Eine Kooperation mit den europäischen HTA-Behörden könnte in Zukunft durch die Nutzung gemeinsamer klinischer Bewertungen Vorteile bringen.
Die kommenden Jahre werden zeigen, ob und wie sich die Schweiz an den neuen europäischen HTA-Prozessen orientiert. Klar ist: Die evidenzbasierte Bewertung von Gesundheitstechnologien bleibt ein zentrales Thema, das für eine nachhaltige und effiziente Gesundheitsversorgung essenziell ist.
Cécile Grobet ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und Co-Leitung Team HTA und gesundheitsökonomische Evaluationen.