Von Sarah Heiniger und Prof. Dr. Marc Höglinger
Im Schweizer Gesundheitswesen werden tagtäglich grosse Mengen an Gesundheitsdaten erzeugt, doch das Potential dieser Daten wird oft nicht oder nur sehr beschränkt ausgeschöpft. Die sektorale Fragmentierung führt zu «Datensilos», was den Austausch von Gesundheitsdaten über die einzelnen Akteure hinweg erschwert. Anhand eines Fallbeispiels veranschaulichen wir, wo Daten erfasst werden, welchen Weg durch das Gesundheitssystem sie nehmen und welcher Nutzen daraus resultiert.
Unser Fallbeispiel: Daniel, 58 Jahre, Krebspatient
Daniel geht wegen anhaltenden Bauchschmerzen, unerklärlichem Gewichtsverlust und Müdigkeit in die Hausarztpraxis (vgl. Abbildung). Der Hausarzt erfasst in Daniels Patientenakte alle bei der Anamnese festgestellten Allergien und Nahrungsmittelunverträglichkeiten sowie familiär aufgetretene Krebserkrankungen. Nach einer ausführlichen Untersuchung und einer Reihe diagnostischer Tests äussert der Hausarzt den Verdacht auf Darmkrebs. Er leitet Daniel für eine Darmspiegelung mit Biopsie an eine Gastroenterologin weiter, wo sich der Verdacht bestätigt. Im Spital wird mittels Magnetresonanztomographie (MRT) die Ausbreitung des Krebses untersucht: Daniel leidet an einer fortgeschrittenen Darmkrebserkrankung.
Daniel wird dann im Spital von einem multidisziplinären Team bestehend aus einer Onkologin, einem Chirurgen, einer Radiologin und anderen Spezialisten betreut. Diese haben alle Einsicht in Daniels elektronisches Patientendossier (EPD), in dem bereits das Resultat der Biopsie und des MRT hinterlegt sind. Der Tumor wird operativ entfernt, es folgt eine Chemotherapie. Nach der Behandlung überprüft die Spitaladministration die Zuteilung von Daniels Fall zu den diagnosebezogenen Fallgruppen (DRG) – dem Klassifikationssystem zur Abrechnung von Krankenhausleistungen – und sendet eine Leistungsabrechnung an Daniels Krankenversicherer. Die Nachkontrolle zeigt, dass Daniel krebsfrei ist. Regelmässige weitere Kontrollen gewährleisten, dass ein allfälliger Rückfall frühzeitig erkannt wird.
Schwieriger Zugang zu den eigenen Patientendaten
Während des gesamten Behandlungsverlaufs von Daniel – vom ersten Hausarztbesuch bis zur Nachkontrolle – wird eine Vielzahl an Gesundheitsdaten erzeugt und gespeichert. Möchte Daniel seine Gesundheitsdaten einsehen, muss er diese meist explizit bei den einzelnen Akteuren einfordern. Vom Hausarzt erhält er auf Nachfrage seine Patientenakte als elektronischen Auszug, im Spital werden Daniels Akten hingegen automatisch als PDFs in sein Elektronisches Patienten Dossier eingelesen.
Spitalintern läuft der Datenfluss
Innerhalb einzelner Organisationen, bspw. des Spitals, fliessen Gesundheitsinformationen zwischen den verschiedenen behandelnden Gesundheitsfachpersonen meist ungehindert – und ermöglichen es, die bestmögliche Behandlungsoption für Daniel zu finden. Basierend auf den Diagnosedaten und Erkenntnissen aus der Forschung wird in interdisziplinären Tumorboards die Behandlungsstrategie festgelegt.
Leistungsabrechnung und administrative Daten
Während des gesamten Behandlungsverlauf werden Leistungsabrechnungen an Daniels Krankenversicherer geschickt, die kontrolliert und dann vergütet werden. Der Versicherer leitet zudem einen Teil der Daten zu Daniels Behandlungen anonymisiert oder aggregiert an die Behörden weiter, wo diese für eine Reihe gesetzlich definierter Zwecke wie z.B. zur Berechnung des Risikoausgleichs verwendet werden.
Und für die Forschung?
Die Onkologin übermittelt Angaben zu Daniel und seiner Krebserkrankung an das kantonale Krebsregister. Daniel wurde darüber informiert, da ihm ein Widerspruchsrecht zusteht, falls er dies nicht möchte. Er ist einverstanden, denn er möchte mit seinen Daten die Forschung unterstützen. Um Daten aus unterschiedlichen Quellen beim Krebsregister zusammenzuführen und zu verknüpfen, z.B. zu einer späteren Behandlung bei einem Rückfall, wird die AHV-Nummer mitgeschickt. Deren Verwendung ist gesetzlich geregelt und stark eingeschränkt. Für viele andere Register und Datenbanken darf die AHV-Nummer oder ein anderer eindeutiger Identifikator nicht benutzt werden. Dies verunmöglicht die Verknüpfung von Daten aus unterschiedlichen Quellen. Als Folge fehlt eine Übersicht über den kompletten Behandlungspfad, was die Forschung, aber auch die Qualitätssicherung empfindlich einschränkt.
Herausforderungen und Chancen einer besseren Datennutzung
Für eine fundierte Diskussion über eine verbesserte Datennutzung und Digitalisierung im Gesundheitswesen gilt es, die aktuelle Nutzung und den Nutzen von Gesundheitsdaten sowohl für die einzelnen Patient:innen als auch die Gesellschaft im Blick zu haben. In einem Bericht im Auftrag der CSS zeigen wir Nutzen und Nutzung von Gesundheitsdaten in der Schweiz auf und identifizieren Hürden, die eine bessere Ausschöpfung des Potenzials von Gesundheitsdaten verhindern. Ausgewählte Expert:innen haben im Bericht die Chancen einer besseren Datennutzung dargelegt. Das CSS-Magazin “im dialog” hat über unsere Studie berichtet und zentrale Befunde aufgegriffen.
Sarah Heiniger ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Team Versorgungsforschung und Marc Höglinger ist Leitung Gesundheitsforschung und Dozent.