GENDERMEDIZIN IST KEINE FRAUENMEDIZIN

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Von Rebecca Duewell und Golda Lenzin

Aktuell vollzieht sich in der Medizin ein Wandel von einem rein biomechanischen Ansatz, der in den letzten Jahrhunderten vorherrschend war, hin zu einem umfassenderen, biopsychosozialen Ansatz. Dieser Trend führt zu einer individualisierten Medizin (Volm, 2023). Dieser neue Ansatz erkennt seine vielfältigen Beziehungen mit der Umwelt und deren direkten Auswirkungen auf die Gesundheit. In diesem Kontext ist die Berücksichtigung des Genderaspekts in der Medizin ein entscheidender Faktor für die Umsetzung einer individualisierten medizinischen Versorgung (Volm, 2023).

Denn durch die Integration des Geschlechts und dessen Auswirkungen auf die Beziehung zwischen Person und Umwelt können individuelle Bedürfnisse besser erfasst und eine personalisierte Versorgung ermöglicht werden. Dabei wird das Geschlecht nicht nur auf biologischer Ebene definiert, sondern kann durch mehrere Ebenen erweitert werden (Schulze, 2023). Ein mögliches Modell ist der Geschlechter-Radar von Evianne Hübscher. Die biologische Dimension (Punkt 1) wird durch eine psychologische (Punkt 2) und drei soziale Dimensionen (Punkt 3 – 5) ergänzt (Hübscher, 2022):

  1. Körperliche Merkmale: biologische Merkmale
  2. Geschlechtsidentität: Wissen, welches ein Mensch über sich selbst hat, einem bestimmten Geschlecht anzugehören bzw. nicht anzugehören
  3. Geschlechterrolle: bestehende Erwartungen der Gesellschaft
  4. Geschlechtsausdruck: Art und Weise, wie eine Person ihre Geschlechtsidentität nach aussen zeigt oder ausdrückt
  5. Sexuelle/ romantische Orientierung: Vorlieben und Anziehung einer Person in Bezug auf das Geschlecht anderer Personen

Die einzelnen Dimensionen des Geschlechts sind unabhängig voneinander, können sich jedoch auch überschneiden und gegenseitig beeinflussen. Zum Beispiel kann eine Person sowohl intergeschlechtlich als auch non-binär sein. Für eine individualisierte Medizin ist es entscheidend, diese Vielfalt und Komplexität des Geschlechts zu erkennen und in der medizinischen Betreuung und Prävention angemessen zu berücksichtigen. Der Einfluss dieser Vielfalt auf die Entwicklung von Krankheiten und medizinische Behandlungen lässt sich in fünf Aspekte gliedern (Volm, 2023):

  1. Inzidenz: Das Risiko an einer Krankheit zu erkranken häng von körperlichen Merkmalen, aber auch den Wechselwirkungen der Person mit seiner Umwelt ab. Es gibt biologische Faktoren, die eine Krankheit begünstigen. Aber auch der Lebensstil hat einen grossen Einfluss auf die Gesundheit einer Person.
  2. Wahrnehmung: Die Wahrnehmung der Umwelt und die eigene Wahrnehmung kann einen Einfluss darauf haben, ob eine Krankheit überhaupt erkannt wird.
  3. Gesundheitsverhalten: Verhalten bezüglich Prävention oder die Inanspruchnahme einer medizinischen Leistung kann variieren.
  4. Diagnostik: Ausprägungen der Symptome der gleichen Krankheit variieren je nach Geschlecht.
  5. Therapie: Für eine erfolgreiche Therapie muss diese auf die Bedürfnisse angepasst werden. Diese Erfolgschancen können von den unterschiedlichen Geschlechtsdimensionen beeinflusst werden

Fazit:

Insgesamt beschränkt sich die Gendermedizin nicht auf die Frau und wie sich diese biologisch vom Mann unterscheidet, sondern um eine geschlechtssensible oder -spezifische Medizin. Das bedeutet, dass nicht nur die Unterschiede bei körperlichen Merkmalen berücksichtigt werden, sondern die durch das Geschlecht geprägte Interaktion einer Person mit ihrer Umwelt und deren unterschiedlichen Folgen für die Gesundheit.

In zwei weiteren Blogeinträgen werden wir auf explizite medizinische Fallbeispiele und auf die Unterschiede der Trainierbarkeit zwischen Männern und Frauen eingehen.

Quellen:

Volm, Tanja (2023, 9. März) Gender Medizin – Krankheitsbilder aus der Praxis [Weiterbildungsunterlagen der Medbase Fortbildung: Gendermedizin 2023].
Schulze, Jan (20233, 9. März) Geschlechtervielfalt in der Praxis: Entwicklung, Konzepte und Kontroversen [Weiterbildungsunterlagen der Medbase Fortbildung: Gendermedizin 2023].
Hübscher, Evianne (2023, 3. Juni). Dimensionen von Geschlecht. Geschlechter-Radar.

Rebecca Duewell ist wissenschaftliche Assistentin und Golda Lenzin ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Team Gesundheitsökonomische Forschung am WIG.


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