Von Mélanie Stamm
Viele geflüchtete Personen sind aufgrund von traumatischen Erlebnissen im Heimatland, auf der Flucht und nach der Ankunft in der Schweiz psychisch belastet. Die psychomedizinische und soziointegrative Versorgung dieser Zielgruppe stellt eine Herausforderung für das schweizerische Gesundheits- und Sozialsystem dar [1].
Es ist mittlerweile breit anerkannt, dass für die Behandlung dieser Zielgruppe neben der psychotherapeutischen Traumatherapie auch niederschwellige, psychosoziale Angebote eingesetzt werden sollen, um die Betroffenen zu unterstützen und zu stabilisieren [2][3]. Zudem wird eine kultursensible und mehrsprachige psychotherapeutische Behandlung benötigt, die insbesondere in der stationären Versorgung oft fehlt. Ausserdem sind stationäre Aufenthalte kostspielig und oft wenig zielführend.
Eine Herausforderung bei der Finanzierung solcher psychosozialer Angebote besteht allerdings darin, dass diese (ausser bei den bisher seltenen kantonalen Lösungen) in jeder Gemeinde unterschiedlich geregelt ist. Zusätzlich sind die Prozesse für die fallführenden Stellen oft aufwändig und unverhältnismässig kompliziert. Die häufigen Unsicherheiten bei der Finanzierung von psychosozialen Angeboten kann in Verbindung mit einem hohen administrativen Aufwand dazu führen, dass vermehrt rein psychiatrische und psychotherapeutische Behandlungen verschrieben werden, die einfach über die Krankenversicherung abgerechnet werden können, obwohl es spezialisierte, zielführendere, und günstigere Optionen gäbe. Dies ist weder im Interesse der Betroffenen noch der Kantone, die mindestens 55% der Kosten der stationären Behandlungen tragen.
Im Rahmen des Swiss Learning Health Systems (SLHS) und in Zusammenarbeit mit dem NCBI haben wir vom WIG daher einen Policy Brief zum Thema erarbeitet. In diesem wird die vorhandene Literatur zum Thema zusammengefasst, die zugrundeliegende Herausforderung detaillierter erklärt und es werden – basierend auf der Literatur und Gesprächen mit Fachpersonen – Handlungsempfehlungen für die nachhaltigere Finanzierung von psychosozialen Angeboten formuliert.
Der Policy Brief gibt folgende Handlungsempfehlungen:
- Finanzierungslösungen mit kantonaler Einbindung fördern
- Transparenz für Anbietende und fallführende Stellen erhöhen
- Transparenz zu Kosten der Gesundheits- und Sozialversorgung von Geflüchteten und möglichem Einsparpotenzial schaffen
Insbesondere zur ersten Handlungsempfehlung wurden im Policy Brief auch verschiedene mögliche Finanzierungslösungen vorgestellt.
Der Policy Brief und die Handlungsempfehlungen wurden anschliessend an einem Stakeholder Dialog diskutiert, zu dem acht Fachpersonen aus verschiedenen Kantonen und mit unterschiedlichen Hintergründen (kantonale Verwaltung, Psychiatrie/Psychologie, Sozialarbeit) eingeladen wurden. Die Resultate dieser Diskussionen sind in der Zusammenfassung des Dialogs, welche ebenfalls auf der Webseite des SLHS veröffentlicht wurde, einsehbar.
[1] Siehe beispielsweise den kürzlich erschienenen Artikel im Tagesanzeiger von Liliane Minor, «Eritreer brauchen oft sehr lange, bis sie psychiatrische Hilfe suchen» (15.02.2023).
[2] Müller, F., K. Thorshaug, und M. Stamm, Niederschwellige Kurzinterventionen für psychisch belastete Asylsuchende und Flüchtlinge, BAG. 2020, Interface Politikstudien Forschung Beratung: Luzern.
[3] Baff, Lots*innen, Peers und Laienhilfer*innen: (Neue) Unterstützungskonzepte in der psychosozialen Arbeit mit Geflüchteten. 2019: Berlin. p. 2-13.
[4] Shehadeh, M.H., et al., Cultural adaptation of minimally guided interventions for common mental disorders: a systematic review and meta-analysis. JMIR mental health, 2016. 3(3): p. e5776.
Mélanie Stamm ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Team Gesundheitsökonomische Forschung am WIG.