Die Akut- und Übergangspflege wäre eine gute Idee – warum sie in der Praxis trotzdem nicht funktioniert

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Von Flurina Meier

In einer meiner Vorlesungen berechne ich zusammen mit den Studierenden die Kosten mehrerer Langzeitpflegefälle. Ein spezieller Fall ist dabei die «Akut- und Übergangspflege» (AÜP). Was kompliziert tönt, ist eigentlich eine ziemlich gute Idee. Gerade ältere Menschen brauchen nach einer Behandlung im Spital oft länger, um sich vollständig zu erholen. Wer noch einigermassen fit ist, kann dies in einer Rehaklinik tun. Für gebrechliche Personen ist dieser Weg jedoch gesetzlich versperrt. Genau hier möchte die AÜP ansetzen und ermöglichen, dass sich diese Patient:innen in einem Pflegeheim oder mit Spitex-Unterstützung zu Hause erholen können.

In der Praxis funktioniert das jedoch kaum. Viele Spitäler berichten, dass sie für genau diese Patient:innengruppe keine Nachbehandlungslösung finden. Denn AÜP wird selten angeboten. Was sind die Gründe dafür?

Finanzielle Fehlanreize

Das Problem liegt wohl hauptsächlich in den finanziellen Fehlanreizen der AÜP. Unter der AÜP übernimmt die obligatorische Krankenversicherung (OKP) gemeinsam mit dem Kanton zwar die Pflegekosten im Pflegeheim, nicht aber die Kosten für Unterkunft und Verpflegung. Diese machen jedoch den grössten Teil der gesamten Pflegeheim-Kosten aus. Im Spital (und in der Rehaklinik) werden die Kosten für Kost und Logis hingegen vom Kanton und der OKP übernommen. Die Rechnung für die Patient:innen ist im Pflegeheim daher deutlich höher als im Spital. Sie haben somit einen starken finanziellen Anreiz, im Spital zu bleiben.

Für die Pflegeheime wiederum ist die AÜP unattraktiv, weil sie dieselbe Vergütung erhalten wie für reguläre Bewohner:innen, obschon sie die Patient:innen der AÜP deutlich intensiver versorgen müssen. Zumindest, wenn das Ziel eine Rückkehr ins angestammte Zuhause ist. Das erfordert genügend Fachpersonal und führt zu höheren Aufwänden, die durch die heutige Finanzierung kaum gedeckt sind (Meier et al. 2019).

Die Spitäler wären froh, wenn sie für ihre älteren Patient:innen eine gute Nachsorgelösung hätten und ihre Spitalbetten schneller frei würden. Zudem sind diverse Versicherer dazu übergegangen, den Spitälern in solchen Fällen nur die Pflegeheimkosten und nicht die (höheren) Spitalkosten zu vergüten, was den finanziellen Druck auf die Spitäler erhöht.

Regelt lediglich die Finanzierung und läuft nur für zwei Wochen

Zusätzlich regelt die AÜP ausschliesslich die Finanzierung, ihr liegt kein Versorgungsmodell zugrunde. Pilotprojekte, die eine langsame Rehabilitation (rehabilitative Übergangspflege oder «slow-stream rehabilitation») für diese Patient:innen in der Schweiz umgesetzt haben, lieferten gute Ergebnisse. Sie zeigten, dass mit dieser Versorgung mehr ältere Menschen nach Spitalaufenthalt nach Hause zurückkehren konnten, anstatt dauerhaft im Pflegeheim zu bleiben (Meier et al. 2018, Schubert et al. 2022). Diese Pilotprojekte konnten sich jedoch bisher nicht flächendeckend durchsetzen, vermutlich auf Grund der oben genannten finanziellen Fehlanreize.

Ein weiteres Problem ist die Dauer: die AÜP ist auf zwei Wochen beschränkt. Schon früh wiesen Fachorganisationen darauf hin, dass dies bei älteren Personen nicht ausreiche, damit sich diese nach einem Eingriff wieder möglichst vollständig erholen (IG Pflegefinanzierung, 2018). In den oben genannten erfolgreichen Pilotprojekten betrug die maximale Aufenthaltsdauer denn auch zehn respektive zwölf Wochen (Koppitz et al., 2022; Meier et al., 2018).

Fazit

Am Ende hätten wohl alle Beteiligten Vorteile durch eine funktionierende AÜP. Die Spitäler könnten ihre Betten schneller wieder frei bekommen, die Patient:innen könnten sich in einer ruhigeren Umgebung erholen und hätten bessere Chancen, wieder nach Hause zurückzukehren. Ob es sich auch für die Kostenträger lohnt, müsste noch genauer untersucht werden. Falls nach einem Spitalaufenthalt mehr ältere Personen langfristig nach Hause zurückkehren können, ist die Wahrscheinlichkeit dafür jedoch hoch.

Um das Potential der AÜP voll auszuschöpfen, müsste sie jedoch reformiert werden: so müssten die finanziellen Anreize überarbeitet, ihre Dauer verlängert und eines der erprobten Versorgungskonzepte breit umgesetzt werden. Ohne diese Anpassungen bleibt die AÜP eine eigentlich gute Idee, die schlecht umgesetzt ist und in der Praxis keine Wirkung entfaltet.

Flurina Meier ist Co-Leitung Gesundheitsversorgungsforschung am WIG.

Quellen:

IG Pflegefinanzierung. 2018. Pflegefinanzierung – Kostendeckende Finanzierung durch Krankenversicherer und Kantone gefordert; Bern. Verfügbar unter https://www.spitex.ch/Verband/News/Forderungen-der-IG-Pflegefinanzierung/ol2izQSN/P7sQ3/

Koppitz, A. L., Suter-Riederer, S., Bieri-Brünig, G., Geschwinder, H., Senn, A. K., Spichiger, F., & Volken, T. (2022). Prevention Admission into Nursing homes (PAN): Study protocol for an explorative, prospective longitudinal pilot study. BMC Geriatrics, 22(1), 227. https://doi.org/10.1186/s12877-022-02885-z

Meier, Flurina; Huber, Andrea; Höglinger, Marc; Schmidt, Marion; Mattli, Renato. 2018. Begleitevaluation der neuen Versorgungsangebote von Thurvita: Älter werden im Quartier und Thurvita Care Studienbericht «Thurvita Care». Winterthur: ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften.

Meier, Flurina; Huber, Andrea; Höglinger, Marc; Schmidt, Marion; Mattli, Renato; du Bois-Reymond, Alard, 2019. Mit hohem Pflegebedarf in der eigenen Wohnung – Quartierstützpunkte und Thurvita Care : Erfahrungsbericht der Thurvita AG und Zusammenfassung der wissenschaftlichen Begleitstudie 2014-2018. Winterthur: ZHAW Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften. Verfügbar unter: https://doi.org/10.21256/zhaw-3380

Schubert Maria, 2022. The long-term effectiveness of geriatric slow-stream rehabilitation – insights from the quantitative study part [oral presentation in Symposium 2: «Prevention of Admission to Nursing Homes (PAN) a longitudinal Study of Slow-Stream Rehabilitation in Swiss Nursing homes»] In: 6th Nursing Home Research International Conference, Toulouse, 2-3 Juni 2022.


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