Braucht die Schweiz weiterhin ein Pflicht­lager für antivirale Medikamente?

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Von Linda Vinci

Antivirale Medikamente können in der frühen Phase einer Pandemie – bevor ein spezifischer Impfstoff verfügbar ist – eine wichtige Rolle spielen. Sie können dazu beitragen, die Ausbreitung des Virus einzudämmen und wichtige Einrichtungen aufrechtzuerhalten. Da die Nachfrage nach solchen Medikamenten im Pandemiefall rasch und massiv ansteigen kann, hat die Schweiz im Jahr 2012 ein Pflichtlager des antiviralen Medikaments Oseltamivir angelegt. Inzwischen wird jedoch hinterfragt, ob dieser Vorrat weiterhin erforderlich ist.

Einsatz antiviraler Medikamente in der Schweiz

In der Schweiz sind die antiviralen Medikamente Oseltamivir (Tamiflu®), Baloxavir Marboxil (Xofluza®) und Zanamivir (Relenza®) zur Behandlung und Vorbeugung von Grippe (Influenza A und B) zugelassen. Die weltweite Produktion von Zanamivir wurde aber inzwischen eingestellt. Derzeit ist keines der drei Medikamente in der Spezialitätenliste der obligatorischen Krankenversicherung aufgeführt, was bedeutet, dass sie nicht standardmässig erstattet werden. Eine Vergütung im Einzelfall ist jedoch möglich und im Pandemiefall könnten die antiviralen Medikamente allenfalls auch erstattet werden.

Die vorbeugende Anwendung wird für exponierte Personen, wie medizinisches Personal, sowie für Risikogruppen empfohlen. Die therapeutische Anwendung erfolgt vor allem bei Verdacht oder bestätigter Infektion bei Risikopatient:innen oder hospitalisierten Personen. Von einem grossflächigen Einsatz wird abgeraten, um die Entstehung resistenter Virusvarianten zu verhindern.

Neue Bewertung antiviraler Medikamente

Im Auftrag des Bundesamtes für Gesundheit hat das WIG kürzlich ein Health Technology Assessment (HTA) zur Wirksamkeit und Sicherheit der antiviralen Medikamente Oseltamivir und Baloxavir Marboxil erstellt. Im Gegensatz zu den üblichen HTAs lag der Schwerpunkt auf der Analyse der Wirksamkeit – die Wirtschaftlichkeit sowie ethischen, rechtlichen, sozialen und organisatorischen Aspekte wurden nicht berücksichtigt. Dieses HTA dient nicht als Entscheidungsgrundlage für Vergütungen, sondern soll bei der Entscheidung unterstützen, ob das bestehende Pandemiepflichtlager mit Oseltamivir beibehalten, durch Baloxavir Marboxil ersetzt oder gänzlich aufgehoben werden soll.

Wissenschaftliche Evidenz zur Wirksamkeit und Sicherheit

Unsere Literatursuche ergab, dass die Behandlung mit Oseltamivir im Vergleich zu Placebo das Risiko, dass die Grippeerkrankung zu weiteren gesundheitlichen Komplikationen führte, von 13% auf 8% verringerte. Sowohl Oseltamivir als auch Baloxavir Marboxil verkürzten zudem die Dauer der Krankheitssymptome im Vergleich zu Placebo ungefähr um einen Tag. Die Einnahme von Oseltamivir reduzierte im Vergleich zu Placebo auch den Einsatz von Antibiotika (von 15% auf 10%). Bezüglich Nebenwirkungen gab es zwischen Oseltamivir und Placebo keine Unterschiede, allerdings traten mit Oseltamivir häufiger Nebenwirkungen auf als mit Baloxavir Marboxil.

Bei der vorbeugenden Anwendung senkte Oseltamivir im Vergleich zu Placebo das Risiko überhaupt an Grippe zu erkranken von 14% auf 8% und Baloxavir Marboxil von 14% auf 2%. Die Häufigkeit der Nebenwirkungen unterschied sich nicht.

Über die Sterblichkeit und die Häufigkeit der Spitalaufenthalte wurde in den eingeschlossenen Studien nur selten berichtet. Dort wo sie analysiert wurden, scheint es, dass die Medikamente möglicherweise keinen Nutzen in Bezug auf Sterblichkeit und Häufigkeit der Spitalaufenthalte haben.

Fazit

Oseltamivir und Baloxavir Marboxil sind in Bezug auf Wirksamkeit und Sicherheit ähnlich, jedoch bietet Baloxavir Marboxil einige Vorteile, wie die einfachere Anwendung in Form einer Einzeldosis, was die Behandlungstreue der Patient:innen verbessern könnte. Das HTA wird aktuell für die evidenzbasierte Entscheidungsfindung im BAG und der Eidgenössischen Arzneimittelkommission verwendet.

Die Studie kann hier heruntergeladen werden.

Linda Vinci ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Team HTA und Gesundheitsökonomische Evaluationen am WIG.


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