Von Louisa Cakir
Wenn ein Kind chronisch oder schwer erkrankt, rückt diese Tatsache sowie auch die Behandlung des Kindes oft in den Mittelpunkt einer Familie. Die Forschung zeigt jedoch, dass in solchen Fällen nicht nur der Gesundheit des Kindes Beachtung geschenkt werden soll, sondern auch jener der Eltern und Geschwister – denn die Erkrankungen der Kinder stehen auch in Zusammenhang mit einer verminderten psychischen sowie physischen Gesundheit der Familienmitglieder. Dies kann wiederum Konsequenzen für das psychische Wohlbefinden des erkrankten Kindes haben. Die familienzentrierte Behandlung soll diesem Zusammenhang Rechnung tragen.
Genetische Krankheitslast, aber nicht nur
Krankheiten können sich innerhalb von Familien aus genetischen Gründen häufen. So scheint es nicht überraschend, dass sich in Familien mit erkrankten Kindern auch häufiger erkrankte Eltern finden lassen. Doch es wird angenommen, dass auch andere mit der Erkrankung des Kindes in Verbindung stehende Faktoren die Gesundheit der Eltern beeinflussen. Mögliche Faktoren wären zum Beispiel die Sorge um das Kind, die soziale Isolation, ein zunehmender finanzieller Druck (durch Reduktion des Arbeitspensums) und damit zusammenhängend der erhöhte Stress (Cohn et al., 2020). So zeigt eine Übersichtsstudie, dass Eltern eines chronisch oder schwer erkrankten Kindes, unter Berücksichtigung weiterer Faktoren, häufiger an Depressionen und Angststörungen leiden als Eltern gesunder Kinder (Cohn et al., 2020). Weitere Studien zeigen auch die psychische Belastung der Geschwister chronisch kranker Kinder auf (Fredriksen et al., 2023).
Doch nicht nur psychische Erkrankungen treten häufiger auf: Eine Studie aus Dänemark zum Beispiel findet bei Müttern, deren Kinder an einem schwerwiegenden Geburtsgebrechen leiden, ein erhöhtes Risiko für vorzeitige Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Cohen et al., 2018). Es ist hierbei trotzdem wichtig anzumerken, dass die meisten Studien aufgrund ihres statistischen Designs keine kausalen Aussagen zulassen. Dieses Problem besteht, weil zum Beispiel auch eine gemeinsame genetische Prädisposition, welcher in der Studie nicht Rechnung getragen wird, dafür verantwortlich sein könnte, dass sowohl das Kind als auch ein Elternteil erkrankt. Eine Untersuchung aus Kanada findet jedoch auch einen Zusammenhang zwischen der Erkrankung eines Kindes und der angegebenen verminderten gesundheitlichen psychischen und physischen Verfassung von nicht-biologischen Eltern, was zumindest im Kontext dieser Studie eine gemeinsame genetische Ursache ausschliessen lässt (Brehaut et al., 2009).
Die negativen Effekte erkrankter Eltern
Die oben aufgeführten Erkenntnisse sind auch aus einem weiteren Grund relevant – einige Studien argumentieren nämlich wiederum, dass das Bewältigungsverhalten der Eltern die Anpassung ihrer Kinder an die Krankheit beeinflussen. Eine Studie zeigt zum Beispiel, dass die psychische Belastung der Eltern einen signifikanten Einfluss auf die depressiven Symptome von Kindern mit rheumatischen Erkrankungen hatte. Dies traf in den Fällen zu, bei welchen die Kinder berichteten, dass ihre Krankheit ihr Leben in einer Vielzahl von Bereichen beeinträchtigt (Wagner, 2003).
Lösungsansätze müssen weiter erforscht werden
Viele Studien der genannten Studien weisen auf die Wichtigkeit von familienzentrierten Ansätzen oder der psychologischen Begleitung der Eltern und Geschwister hin. Inwiefern und unter welchen Umständen diese Ansätze jedoch hilfreich und effektiv sind, muss weiter erforscht werden.
- Brehaut, J. C., Kohen, D. E., Garner, R. E., Miller, A. R., Lach, L. M., Klassen, A. F., & Rosenbaum, P. L. (2009). Health Among Caregivers of Children With Health Problems: Findings From a Canadian Population-Based Study. American Journal of Public Health, 99(7), 1254–1262. https://doi.org/10.2105/AJPH.2007.129817
- Cohen, E., Horváth-Puhó, E., Ray, J. G., Pedersen, L., Ehrenstein, V., Adler, N., Vigod, S., Milstein, A., & Sørensen, H. T. (2018). Cardiovascular Disease Among Women Who Gave Birth to an Infant With a Major Congenital Anomaly. JAMA Network Open, 1(5), e182320. https://doi.org/10.1001/jamanetworkopen.2018.2320
- Cohn, L. N., Pechlivanoglou, P., Lee, Y., Mahant, S., Orkin, J., Marson, A., & Cohen, E. (2020). Health Outcomes of Parents of Children with Chronic Illness: A Systematic Review and Meta-Analysis. The Journal of Pediatrics, 218, 166-177.e2. https://doi.org/10.1016/j.jpeds.2019.10.068
- Fredriksen, T., Marie Vatne, T., Bjartveit Haukeland, Y., Tudor, M., & Fjermestad, K. W. (2023). Siblings of children with chronic disorders: Family and relational factors as predictors of mental health. Journal of Child Health Care, 27(1), 145–159. https://doi.org/10.1177/13674935211052157
- Wagner, J. L. (2003). The Influence of Parental Distress on Child Depressive Symptoms in Juvenile Rheumatic Diseases: The Moderating Effect of Illness Intrusiveness. Journal of Pediatric Psychology, 28(7), 453–462. https://doi.org/10.1093/jpepsy/jsg036
Louisa Cakir ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Team Gesundheitsökonomische Forschung am WIG.