Ein Blick über die Landesgrenze – HTA-Prozesse in Schweden und den Niederlanden

Quelle: Adobe Stock

Von Cécile Grobet

Health Technology Assessments (HTAs) analysieren medizinische Technologien oder Verfahren umfassend und systematisch. Ziel ist es, Entscheidungsträgern eine transparente und neutrale Entscheidungsgrundlage zur Verfügung zu stellen. Jedes Land hat seine eigenen HTA-Prozesse. Wie werden in anderen Ländern zu evaluierende Themen ausgewählt? Wer erarbeitet die Empfehlungen basierend auf einem HTA und wer entscheidet schliesslich, ob die Leistung limitiert, gestrichen oder weiterhin finanziert wird? An der Herbst-Versammlung des Swiss Network for Health Technology Assessments hat die Schweizer HTA-Community, zu der das WIG auch zählt, über die Landesgrenze geschaut und einen interessanten Einblick in die Prozesse in den Niederlanden und Schweden erhalten.

Klare Trennung und nationale Entscheide in der Schweiz Seit 2017 gibt es beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) eine Sektion Health Technology Assessment (HTA). Mithilfe von HTAs werden in der Schweiz unter anderem, die Kriterien Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit (WZW-Kriterien) bei medizinischen Leistungen, die von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung vergütet werden, (re-)evaluiert. Dabei werden nicht wirksame, nicht zweckmässige oder nicht wirtschaftliche Leistungen in der Vergütungspflicht limitiert oder gestrichen. Eine Reduktion solcher Leistungen trägt zur Erhöhung der Qualität des Gesundheitswesens und zur Verringerung der Kosten bei.[1]

Schematische Darstellung der Entstehung und Verwendung von HTA-Berichten, Bundesamt für Gesundheit [2]

Die Themeneingabe für HTAs steht in der Schweiz allen offen. Die Eidgenössische Kommission für allgemeine Leistungen und Grundsatzfragen (ELGK) und die Eidgenössische Arzneimittelkommission (EAK) empfehlen der Sektion HTA aus den eingegangenen Eingaben die zu bearbeitenden Themen. Externe Auftragnehmer, zu welchen wir uns als WIG auch zählen dürfen, beantworten die Fragestellung, indem sie die wissenschaftliche Evidenz zur Wirksamkeit, Sicherheit, Wirtschaftlichkeit sowie rechtliche, soziale, ethische und organisatorische Aspekte analysieren. Die Eidgenössischen Kommissionen bewerten den HTA-Bericht und geben dem Eidgenössischen Department des Innern (EDI) oder bei Arzneimitteln dem BAG eine Empfehlung ab. Das EDI oder das BAG entscheiden dann über eine allfällige Streichung, Einschränkung oder Weiterführung der Leistungspflicht.[2]

Assessment und Bewertung aus einer Hand – Beispiel Niederlande

In den Niederlanden ist das ZIN für das HTA-Programm verantwortlich. Fünfzig Personen arbeiten für die Sektion HTA. Themen für HTAs können einerseits von allen eingegeben werden, andererseits gibt es auch vordefinierte Bereiche (z.B. ambulante Leistungen und teure stationäre Leistungen oder von Spitälern abgegebene, teure Spezialmedikamente), welche mittels HTA-Prozess überprüft werden müssen. Innerhalb von 90 bis 120 Tagen muss das ZIN das HTA durchführen, wobei die HTAs nicht so umfangreich sind wie beispielsweise in Schweden oder der Schweiz. Im Gegensatz zur Schweiz gibt das ZIN dem Gesundheitsministerium auch eine Empfehlung ab. Das ZIN deckt somit nicht nur die wissenschaftliche Komponente ab, sondern bewertet das HTA in einem zweiten Schritt und formuliert eine Empfehlung für die Vergütung der Gesundheitsleistung. Dabei sind die Kriterien mit unseren WZW-Kriterien vergleichbar. Das erste Kriterium der Wirksamkeit fungiert als «Knock-out»-Kriterium. Ist die Wirksamkeit der zu überprüfenden Leistung nicht gegeben, wird das Prozedere abgebrochen und die Leistung nicht vergütet. Erfüllt die Leistung die WZW-Kriterien, wird als nächstes die Auswirkung auf das Gesundheitsbudget (Budget Impact) geschätzt. Übersteigt diese 10 Millionen Euro pro Jahr während der ersten drei Jahre, muss eine Kosten-Nutzwert-Analyse durchgeführt werden. Ob die medizinische Leistung schlussendlich vergütet wird oder ob das Gesundheitsministerium die Preisverhandlung neu aufnehmen muss, entscheidet sich in den Niederlanden aufgrund der Krankheitslast. Ist die Krankheitslast eher gering, liegt die Zahlungsbereitschaft bei maximal 20’000 Euro/QALY. Ist die Krankheitslast gross, werden Leistungen bis zu einer Zahlungsbereitschaft von maximal 80’000 Euro/QALY vergütet.[3]

Älteste HTA Agency und regionale Entscheidungen – Beispiel Schweden

Schweden hat mit der SBU, die 1987 die HTA-Thematik aufgenommen hat, die älteste HTA Agency der Welt. 90 Personen arbeiten hier und zusammen mit 200 externen Personen führen sie HTAs zu medizinischen, aber auch sozialen Leistungen durch. Themen können vom Ministerium aber auch von allen anderen eingegeben werden. In der Regel dauert der HTA-Prozess zwei Jahre. Neben umfassenden HTAs verfasst die SBU aber auch Zusammenfassungen der vorhandenen Evidenz (z.B. HTAs aus anderen Ländern) oder bietet einen Auskunftsdienst an, welcher schnelle Antworten in drei bis sechs Monaten liefert. Zusätzlich zu den üblichen Inhalten von HTAs hat die SBU zwei Spezialkapitel in ihren HTAs eingeführt; einerseits patientenbasierte Evidenz und andererseits Wissenslücken. In Schweden ist die Involvierung von Patientinnen und Patienten sehr wichtig und wird bereits zu Beginn des HTA-Prozesses gemacht. Das Kapitel Wissenslücken zeigt auf, wo Forschungsbedarf besteht und die SBU führt aufgrund dieser Erkenntnisse eine Liste von Forschungsfragestellungen, die vorzugsweise bearbeitet werden sollen. Die Kommunikation der Ergebnisse spielt in Schweden eine wichtige Rolle. Die Ergebnisse werden über eine eigene Zeitschrift, die allgemeinen Medien und Fachzeitschriften intensiv verbreitet und diskutiert. Die Projektgruppen und nationalen Netzwerke sind auf lokaler Ebene aktiv, um sicherzustellen, dass die HTA-Berichte als Grundlage für die Entscheidungsfindung genutzt werden und die Ergebnisse in der Praxis Anwendung finden. Das Gesundheitssystem in Schweden ist dezentral organisiert. Entsprechend entscheidet jede der 21 Regionen selbständig, ob die medizinische oder soziale Leistung vergütet wird oder nicht.

Persönliches Fazit des Netzwerknachmittags

Es war sehr spannend zu erfahren, wie die Niederlande und Schweden, Länder mit langjähriger HTA-Erfahrung, den HTA-Prozess gestalten. Wo könnte die Schweiz allenfalls von den beiden präsentierten Ländern profitieren? Nachfolgend meine persönlichen Erkenntnisse, bei denen sich eine vertiefte Auseinandersetzung lohnen könnte:

  1. Ist eine Leistung nicht wirksam, sollte überlegt werden, ob der HTA-Prozess besser beendet und die Vergütung eingeschränkt wird, ohne dass weitere Kriterien untersucht werden.
  2. Patientinnen und Patienten sollten von Anfang an und intensiver in den HTA-Prozess einbezogen werden und nicht “nur” um Rückmeldungen zum HTA-Protokoll und HTA-Bericht zu geben.
  3. Die Kommunikation und Streuung der Resultate eines HTA könnte noch ausgeweitet werden, damit noch mehr Personen in der Schweiz über die Ergebnissen Bescheid wissen und erfahren, ob und unter welchen Umständen eine Leistung wirksam ist oder nicht, oder warum man aufgrund von Forschungslücken manchmal keine Schlussfolgerung ziehen kann.
  4. Manchmal wäre es sinnvoller das Geld in Forschungsarbeiten zur Schliessung von Wissenslücken zu investieren als in Leistungen, bei welchen die Wirksamkeit unsicher ist.

Vielen Dank dem Swiss Network for Health Technology Assessment für den interessanten und aufschlussreichen Netzwerkanlass.

Cécile Grobet ist stv. Leitung des Teams HTA und gesundheitsökonomische Evaluationen am WIG.

Referenzen:

[1] Webseite Health Technology Assessment (HTA) (admin.ch)

[2] Webseite HTA-Programm (admin.ch)

[3] Schurer, M et al. Varying Willingness to Pay Based on Severity of Illness: Impact on Health Technology Assessment Outcomes of Inpatient and Outpatient Drug Therapies in The Netherlands. 2022. Value in Health, Volume 25, Issue 1, 91 – 103. https://doi.org/10.1016/j.jval.2021.08.003


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