Qualität medizinischer Gutachten: Einblicke in das neue SNF-BRIDGE-Discovery Forschungsprojekt

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von Dr. Szilvia Altwicker-Hámori

Das WIG hat in Zusammenarbeit mit der Universität Zürich ein neues SNF-BRIDGE-Discovery Projekt zur Qualität von polydisziplinären medizinischen Gutachten (PMG) gestartet.

In komplexen medizinischen Fällen setzt die Invalidenversicherung (IV) PMG ein. Ein PMG erfordert die Expertise von mindestens vier medizinischen Fachrichtungen und kann je nach Anzahl der involvierten Fachrichtungen bis zu CHF 20’000 kosten (IV, 2023). Diese Gutachten beurteilen die gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Betroffenen und deren Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit. Die Ausgaben für PMG sind hoch: Im Jahr 2022 wurden schweizweit 4’933 neue PMG-Aufträge von den IV-Stellen erteilt und im Durchschnitt kostete ein PMG knapp CHF 11’000 (Messi & Salamanca, 2023).

Warum sind diese Gutachten so wichtig?

PMG spielen eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, zu bestimmen, ob jemand Anspruch auf eine Invaliditätsleistung der IV hat. Sowohl die IV-Stellen als auch die Sozialversicherungsgerichte nutzen diese Gutachten in ihrem Entscheidungsprozess. Diese Gutachten sind daher ein zentraler Faktor für die Lebensperspektiven der Betroffenen.

Gutachten-Qualität stösst auf Kritik

Die Qualität der PMG ist von grosser Bedeutung und in der öffentlichen Diskussion oft ein Thema. Auch in der Politik ist das Thema stark präsent. So hat der Bundesrat im Januar 2022 die Eidgenössische Kommission für Qualitätssicherung in der medizinischen Begutachtung (EKQMB) ins Leben gerufen – eine unabhängige ausserparlamentarische Kommission, die sich mit der Qualität und der Qualitätssicherung in der medizinischen Begutachtung befasst. Erst kürzlich hat die EKQMB empfohlen, wegen formaler und inhaltlicher Mängel keine medizinischen Gutachtenaufträge mehr an die Gutachterstelle PMEDA zu vergeben. Die IV ist dieser Empfehlung gefolgt (BSV, 2023).

Was ist das Ziel des neuen SNF-BRIDGE-Discovery Forschungsprojekts?

Unser Projekt hat zum Ziel, neue evidenzbasierte Kriterien für die Qualität von PMG zu definieren und Vorschläge für deren Messung zu entwickeln. Das Innovative daran ist, dass wir uns erstmals quantitativ-empirisch mit der Qualität von PMG aus der Perspektive des Gerichts auseinandersetzen. Damit ergänzen wir den Qualitätsdiskurs um eine weitere Dimension. Ein Produkt des Projekts besteht in der Entwicklung eines Tools, welches die Arbeit der Gutachtenden erleichtern und dazu beitragen soll, dass diese Gutachten vor Gericht Bestand haben. Insgesamt soll das Projekt zur Kostensenkung beitragen, zu Effizienzsteigerungen im Gerichtsverfahren führen, einen Beitrag zur Qualitätssteigerung der PMG leisten und zur Verbesserung der Lebensqualität von Menschen mit Behinderungen beitragen.

Unser Vorgehen

Wir verbinden zwei wissenschaftliche Perspektiven: Sozialversicherungswissenschaft und Empirische Rechtsforschung. Unser innovativer «Mixed Method-Ansatz» integriert rechtswissenschaftliche Analyse, Experteninterviews und statistische Analyse von Gerichtsdaten des Sozialversicherungsgerichts Zürich.

Über die Ergebnisse des dreijährigen Projekts werden wir im WIG-Blog informieren.

Link zum Projekt «Qualitätsindikatoren polydisziplinärer medizinischer Gutachten aus der Perspektive der Sozialversicherungswissenschaft / des Sozialversicherungsrechts und der Empirischen Rechtsforschung»

Szilvia Altwicker-Hámori ist Senior Researcher im Team Versorgungsforschung am WIG.

Referenzen

Messi, M. & Salamanca D. (2023). IV-Gutachten: Ärztemangel führt zu Wartezeiten. Soziale Sicherheit CHSS.

Eidgenössische Invalidenversicherung IV. (2023). Rechnung für polydisziplinäre medizinische Gutachten. AHV-IV.

Bundesamt für Sozialversicherungen BSV. (2023). Medienmitteilung – Keine weiteren Aufträgen der IV für die Gutachterstelle PMEDA.  Eidgenössisches Departement des Innern EDI.


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