Wie nachhaltig und widerstandsfähig ist unser Gesundheitswesen? Das WIG hat den Schweizer PHSSR-Bericht erstellt


Quelle:  PHSSR

Von Matthias Maurer

Wir haben in den letzten Monaten für die Partnership for Health System Sustainability and Resilience (PHSSR) den Bericht zum Schweizer Gesundheitswesen verfasst – dieser ist nun erschienen.

Sie fragen sich vielleicht, warum es einen weiteren Bericht über den Zustand und die Probleme des Gesundheitssystems der Schweiz braucht? Wir haben uns vom Ansatz der PHSSR überzeugen lassen. Zum einen sollen die bei PHSSR beteiligten Länder voneinander lernen, dies ist das primäre Ziel von PHSSR. Wir haben den Bericht aber auch für die Schweizer Leserschaft verfasst. Denn mit der «neuen Brille» ‘Nachhaltigkeit und Resilienz’ auf der Nase kommen wir teilweise zu anderen Schlüssen als bisherige Berichte. Diese haben überwiegend einen Schwerpunkt: die Finanzierung der steigenden Kosten und wie diese gedämpft werden könnten.

Zum Aspekt Finanzierung so viel vorweg: Wir glauben, dass das Schweizer Gesundheitswesen finanziell nachhaltig aufgestellt ist. Wie wir zu dieser Aussage gekommen sind und wie wir andere Aspekte beurteilen, soll dieser Blog als «Trailer» zum ganzen Bericht aufzeigen.

Nachhaltigkeit (Sustainability) und Widerstandsfähigkeit (Resilience)

Bei PHSSR geht es um die Frage, wie Gesundheitssysteme nachhaltiger und resilienter (d.h.  widerstandfähiger) gemacht werden können. Auch wenn Nachhaltigkeit und Resilienz beides Modebegriffe sind, hat PHSSR Definitionen gewählt, die unserer Ansicht nach sinnvoll sind. So ist Nachhaltigkeit nicht nur auf die natürliche Umwelt bezogen, sondern ist viel weiter zu verstehen: die Analyse umfasst neben den Finanzen weitere Themen wie Governance, die Leistungserbringung, das Gesundheitspersonal und die natürliche Umwelt. Auch wenn die COVID-19-Pandemie ursprünglich die Motivation für die Lancierung von PHSSR gewesen ist, bezieht sich auch die Resilienz nicht nur auf Pandemien, sondern generell auf die Reaktionsfähigkeit des Gesundheitssystems auf Schocks. 

Zu den verschiedenen Themen haben wir Beurteilungen abgegeben und über 20 Empfehlungen für die Schweiz formuliert.

Ausgewählte Beurteilungen…

Der föderalistische und dezentrale Ansatz der Schweiz, der zudem noch eine direktdemokratische Basis aufweist, hat sowohl Stärken als auch Schwächen. Als Stärke sehen wir die geteilte Verantwortung und Zuständigkeiten. Dies verhindert extreme Positionen. Zudem bietet der dezentrale Ansatz Raum für Experimente und kleinräumig angepasste Lösungsansätze (z.B. Impfzentren als Public Private Partnerships). Die Kehrseite dieses Systems zeigt sich dadurch, dass manchmal eine klare und kohärente Linie fehlt und alles langsam geht.

Wie eingangs erwähnt beurteilen wir die Finanzierung als nachhaltig, weil diese durch verschiedene und voneinander unabhängige Quellen sichergestellt wird (Sozialversicherungen, Steuern, Privatversicherungen, eigenes Portemonnaie). Problematischer hingegen sind die mit den reichhaltig sprudelnden Quellen verknüpften Ineffizienzen, wie z.B. klinisch wenig wirksame oder nicht zweckmässige Eingriffe. Wo wir unsicher sind: wie sozialverträglich sind die Kopfprämien in der OKP auf längere Sicht?

Die Schweiz hat im Verhältnis zur Bevölkerung im Vergleich zu anderen Ländern viel Gesundheitspersonal und dieses ist gut bezahlt. Das vielleicht grösste Problem des Schweizer Gesundheitswesens ist der immer grössere Mangel an qualifiziertem Personal. Die Gründe hierfür liegen in der Kombination der Abnahme des Angebots wegen Teilzeit und frühen Berufsaustritten sowie einer alterungsbedingt steigenden Nachfrage nach Leistungen.

Und natürlich kommen auch wir zum Ergebnis, dass die Schweiz eine grosse Schwäche beim Datenaustausch zwischen den Leistungserbringern hat und ein Mangel an strukturierten und damit weiterverwendbaren Gesundheitsdaten besteht.

… und Empfehlungen

Die Zusammenarbeit zwischen Bundesrat und den Kantonsregierungen sollte schneller erfolgen und inhaltlich besser abgestimmt sein. Und dies gerade nicht nur in Notsituationen wie einer Pandemie. Wir verweisen hier auf einen konkreten Vorschlag eines “Gemeinsamen Führungsorgans von Bund und Kantonen” von Freiburghaus & Vatter.

Eine frühere Spezialisierung an den medizinischen Fakultäten soll gefördert werden, damit die Effizienz der medizinischen Ausbildung gesteigert und die Rolle der Allgemeinmediziner gestärkt wird.

Auch wenn sich die Gesundheit der Bevölkerung insgesamt enorm verbessert hat, haben Menschen mit geringem Bildungsstand eine deutlich schlechtere Gesundheit. Deshalb sollten sich Leistungserbringer besser auf Personen mit geringen Gesundheitskompetenzen einstellen, z.B. mit Übersetzungsdiensten.

Und als Institut für Gesundheitsökonomie weisen wir darauf hin, dass die kontinuierliche Umsetzung von WZW (Wirksamkeit, Zweckmässigkeit, Wirtschaftlichkeit) in der Grundversicherung durch eine praxisbezogene Operationalisierung der Kriterien sowie die verstärkte Einbindung der medizinischen Fachgesellschaften zu verbessern ist.

Fazit

Wie viele Gesundheitswesen steht auch das Schweizer Gesundheitswesen vor grossen Herausforderungen. Insgesamt ist unser föderalistisches und dezentralisiertes Staats- und Gesundheitssystem sowohl in Bezug auf Nachhaltigkeit als auch Widerstandsfähigkeit eine Stärke und sollte in dieser Form weiterentwickelt werden. In einigen Themenbereichen kann aber ein zentralisierter nationaler Ansatz durchaus sinnvoll sein.

Matthias Maurer ist stv. Institutsleiter am WIG und Leitung Bildung & Gesundheitspolitik WIG.


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