Die Pandemie hat den Arbeitsalltag vieler Erwerbstätiger in der Schweiz in schwindelerregender Geschwindigkeit verändert. Von einem Tag auf den anderen wechselte man vom Büro ins Home-Office, von semi-analog zu komplett digital. Wie hat sich diese Veränderung der Arbeitswelt auf den Stress bei der Arbeit ausgewirkt? Und welche Rolle spielt dabei das Home-Office? Die Ergebnisse unserer beiden neusten Studien im Auftrag von Gesundheitsförderung Schweiz in Zusammenarbeit mit der Universität Bern geben dazu Antworten.
Konstanter Aufwärtstrend vor der Pandemie
Von 2014, als wir mit der Ermittlung der Stressbelastung und deren Auswirkungen begonnen haben, bis im Februar 2020 haben alle Veränderungen immer nur in eine Richtung gezeigt, nämlich in Richtung mehr Stress: So ist z.B. der Anteil der Personen, die im vergangenen Jahr einem Übermass an Arbeitsstressoren ausgesetzt waren und somit dauerhaft Stress erlebten, von 25% (2014) auf 30% (Feb 2020) angestiegen. Gleichzeitig haben die Folgen von Arbeitsstress bei den Schweizer Unternehmen zu einem Anstieg der gesundheitsbedingten Produktionsverluste von schätzungsweise 5.6 Mia. CHF (2014) auf 7.6 Mia. CHF (2020) geführt. Letztere erfassen stressbedingte Krankheitsabsenzen (Absentismus) und reduzierte Arbeitsleistung während der Arbeit (Präsentismus).
Die Pandemie hat den Aufwärtstrend gebrochen
Die Massnahmen der Pandemie und die Veränderungen in den Arbeitsbedingungen haben diesen Aufwärtstrend zumindest kurzfristig unterbrochen. So lag der Anteil der Personen mit einem Übermass an Stressoren im Februar 2022 bei 28%, zwei Prozentpunkte tiefer als kurz vor dem Ausbruch der Pandemie. Und die auf Arbeitsstress zurückzuführenden Produktionsverluste der Schweizer Unternehmen liegen wieder auf demselben Stand wie 2018, bei 6.5 Mia. CHF (Stand Februar 2022).
Was hat diese Verbesserungen verursacht? Unsere jüngste Analyse der Längsschnitterhebung (LS) liefert darauf erste Antworten. In dieser Erhebung wurden die unmittelbar vor dem Ausbruch der Pandemie befragten Personen ein Jahr später (im Februar 2021) und zwei Jahre später (im Februar 2022) erneut befragt.
Home-Office als zusätzliche Arbeitsressource
Die Ergebnisse der LS zeigen einerseits, dass die Arbeitsstressoren im Durchschnitt etwas abgenommen haben. Andererseits haben wir mit dem Home-Office, eine der grössten Covid-19-spezifischen Veränderung der Arbeitswelt, eine bedeutende Ressource dazu gewonnen. Gemäss unseren Regressionsanalysen führt eine Erhöhung des Home-Office-Anteils zu einer signifikanten Reduktion in den gesundheitsbedingten Produktivitätsverlusten. Am vorteilhaftesten erweist sich dabei eine Erhöhung von 0% auf 10%-50% der eigenen Arbeitszeit.
Abbildung 2 zeigt, wie sich die Anteile von Home-Office relativ zum Arbeitspensum über die drei Erhebungen verändert haben. Die Breite der Bänder (vertikal) entspricht dem relativen Anteil der jeweiligen Kategorie.
Eine etwas detailliertere Betrachtung zeigt allerdings auch, dass Home-Office nicht für alle Personengruppen gleichsam eine Ressource darstellt. So finden wir zum einen bei Führungspersonen gar keinen Effekt (weder einen positiven noch einen negativen). Zum anderen zeigten sich heterogene Effekte hinsichtlich des vor dem Ausbruch der Pandemie (Februar 2020) bestehenden Stressoren-Ressourcen-Verhältnisses. So wirkte ein Wechsel von 0% auf 100% Home-Office für Personen mit weniger Stressoren als Ressourcen als zusätzliche Ressource: Die Produktivitätsverluste gingen zurück. Für Personen mit einem Übermass an Stressoren passierte jedoch das Gegenteil: Die Produktivitätsverluste stiegen an.
Was lassen sich für Empfehlungen ableiten?
Aus Sicht des betrieblichen Gesundheitsmanagements könnte man aus unseren Ergebnissen folgende Empfehlung ableiten: Sofern es die Art der Tätigkeit erlaubt, sollte jedem Erwerbstätigen die Möglichkeit zu Home-Office von bis zu 50% des Arbeitspensums geboten werden. Ob und in welchem Ausmass er oder sie diese Möglichkeit wahrnimmt, sollte jedoch jedem selbst überlassen sein. Diese und weitere Ergebnisse, sowie Informationen zum methodischen Vorgehen finden Sie in den verschiedenen Publikationen von Gesundheitsförderung Schweiz: Grundlagen und Studien
Den Link zu einem früheren Blog zu diesem Thema finden Sie hier.
Beatrice Brunner wissenschaftliche Mitarbeiterin und Dozentin am Winterthurer Institut für Gesundheitsökonomie.