In den letzten Wochen bin ich an verschiedenen Veranstaltungen über den Begriff der Gesundheitskompetenz oder Health Literacy gestolpert: an der Swiss Public Health Conference im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie, an einer Tagung der ZHAW zum Thema Gesellschaftliche Integration sowie an einer Veranstaltung der Careum Stiftung zu genau diesem Thema – Grund genug, der Gesundheitskompetenz einen Blogbeitrag zu widmen. Oder wissen Sie, was mit diesem Begriff genau gemeint ist oder wie es um Ihre eigene Gesundheitskompetenz steht?
Gemäss dem European Health Literacy Consortium kann Gesundheitskompetenz definiert werden als «das Wissen, die Motivation und die Fähigkeiten von Menschen, relevante Gesundheitsinformationen in unterschiedlicher Form zu finden, zu verstehen, zu beurteilen und anzuwenden, um im Alltag in den Bereichen der Krankheitsbewältigung, Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung Urteile fällen und Entscheidungen treffen zu können, die ihre Lebensqualität während des gesamten Lebensverlaufs erhalten oder verbessern». Heutzutage gewinnt die digitale Gesundheitskompetenz, also die Fähigkeit, in digitalen Quellen Gesundheitsinformationen zu finden, verstehen und beurteilen zu können, immer mehr an Bedeutung.
Health Literacy Survey Schweiz 2019-2021
Im kürzlich vorgestellten Schlussbericht «Health Literacy Survey Schweiz 2019-2021» untersuchten die Careum Stiftung und das gfs Bern im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit die Gesundheitskompetenz der Schweizer Bevölkerung in einer repräsentativen Stichprobe. Das Projekt ist Teil des internationalen Projekts Health Literacy Europe. Basierend auf u.a. zwölf Fragen der Kurzversion des European Health Literacy Survey Questionnaires (HLS-EU-Q12) wurden verschiedene Indizes mit Werten zwischen 0 und 100 berechnet, z.B. ein Index für generelle Gesundheitskompetenz sowie Indizes für Krankheitsbewältigung, Krankheitsprävention und Gesundheitsförderung. Fast die Hälfte der Befragten (49%) berichteten über häufige Schwierigkeiten im Umgang mit Gesundheitsinformationen. Im Bereich der Krankheitsbewältigung war es für die Befragten insbesondere schwierig, die Vor- und Nachteile verschiedener Behandlungsmöglichkeiten zu beurteilen sowie zu entscheiden, ob die Einholung einer Zweitmeinung angebracht wäre. Im Bereich Krankheitsprävention empfand es mehr als die Hälfte der befragten Personen als schwierig oder sehr schwierig zu beurteilen, ob die Informationen über Gesundheitsrisiken in den Medien vertrauenswürdig sind. Im Bereich der Gesundheitsförderung berichteten die Befragten über weniger Schwierigkeiten. Am schwierigsten fanden sie es, Informationen zur psychischen Gesundheit zu verstehen. Die Befragten hatten generell weniger Probleme beim Finden und Verstehen von Informationen als beim Beurteilen und Anwenden.
Die Gesundheitskompetenz scheint auch mit dem Gesundheitsverhalten und der Gesundheit einer Person zusammen zu hängen. So gaben im Schlussbericht zur Gesundheitskompetenz der Schweizer Bevölkerung Individuen mit höherer genereller Gesundheitskompetenz an, mehr Sport zu treiben und sich gesünder zu ernähren als solche mit geringerer genereller Gesundheitskompetenz. Auch beurteilten sie ihren allgemeinen Gesundheitszustand besser und fühlten sich durch gesundheitliche Probleme weniger in ihren Aktivitäten eingeschränkt. Dies scheint sich auch auf die Beanspruchung von medizinischen Leistungen auszuwirken: Personen mit höherer genereller Gesundheitskompetenz berichteten über weniger Arztbesuche und Hospitalisationen als solche mit geringerer Gesundheitskompetenz.
Gesundheitskompetenz und die Health Professionals
Gesundheitskompetenz scheint also eine relevante Grösse im Umgang mit Gesundheit und Krankheit zu sein. Als Physiotherapeutin scheint mir dabei die Überlegung besonders wichtig, dass im Bereich Gesundheitskompetenz nicht nur das Individuum und seine Fähigkeiten, sondern auch das (medizinische) Umfeld eine wichtige Rolle spielt. Hier kommen medizinische Fachpersonen (health professionals) ins Spiel: Um adäquat mit einer Patientin oder einem Patienten kommunizieren zu können, ist es unerlässlich, deren Gesundheitskompetenz richtig einzuschätzen (Coleman, 2011). Eine neuere systematische Übersichtsarbeit zu diesem Thema (Voigt-Barbarowicsz und Brütt, 2020) zeigt, dass viele medizinische Fachpersonen die Gesundheitskompetenz ihrer Patientinnen und Patienten überschätzten (und zu einem geringen Anteil auch unterschätzten). Dies könnte in der Kommunikation dazu führen, dass die Patientinnen und Patienten die Informationen der Fachpersonen nicht korrekt oder vollständig verstehen können, da beispielsweise (zu) viele medizinische Fachbegriffe verwendet werden. Forschungsergebnisse zeigen darüber hinaus, dass dies auf mündliche und schriftliche Informationen zutrifft. Fachleute fordern daher eine Stärkung der Gesundheitskompetenz der Fachpersonen in den entsprechenden Aus- und Weiterbildungscurricula, insbesondere im Bereich der Kommunikation (Gesundheitskompetenz-Die Fakten).
Nach der vertieften Auseinandersetzung mit dem Thema scheint klar: Gesundheitskompetenz dürfte ein nicht zu unterschätzender Faktor sein, wenn es darum geht, die Qualität der Gesundheitsversorgung nachhaltig zu verbessern.
Brigitte Wirth ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Versorgungsforschung am WIG und Physiotherapeutin in einer Physiotherapiepraxis.
Vielen Dank für diesen tollen Beitrag und die Hervorherbung der Bedeutung der Gesundheitsfachpersonen in diesem Zusammenhang. Zukünftig gilt es gerade in diesem Bereich noch genauer hinzuschauen, über welche Kompetenzen sie verfügen, wo Verbesserungspotenzial besteht und wo in der Aus- und Weiterbildung der Gesundheitsfachpersonen noch gezielter investiert werden sollte, damit sie die Patientinnen und Patienten im Umgang mit ihrer Gesundheit noch besser unterstützen können.