Bewegung als Therapie in der Schweiz – was braucht es dafür?

Quelle: Eigene Darstellung

Von Maria Carlander und Dr. Renato Mattli

Körperliche Aktivität ist nicht nur eine kosten-wirksame Intervention zur Vermeidung verschiedener nichtübertragbarer Krankheiten (NCDs; z.B. Diabetes, Krebs, Herz- und Kreislauferkrankungen), sondern auch eine kosten-wirksame Therapie für Personen, die von NCDs, psychischen Erkrankungen oder Suchtproblemen betroffen sind. Dennoch wird diese Therapieform in der Schweiz bislang wenig eingesetzt. Mit Kollegen des Departements Gesundheit der ZHAW haben wir kürzlich dazu Handlungsempfehlungen für die Schweiz erarbeitet.

Diese Handlungsempfehlungen für eine strukturierte Einführung von Bewegung als Therapie in der Schweiz wurden in einer Studie im Auftrag des Bundesamts für Gesundheit (BAG) ausgearbeitet. Das BAG möchte Bewegung als Therapie stärker in der Gesundheitsversorgung verankern. Deshalb führten wir zuerst eine Situationsanalyse der Schweiz durch. Dann wurden Interviews mit Experten ausgewählter Länder geführt. Basierend auf diesen Ergebnissen wurden anschliessend gemeinsam mit Experten aus der Schweiz die Handlungsempfehlungen erarbeitet.

Situationsanalyse Schweiz

In der Schweiz können strukturierte Rehabilitationsprogramme ärztlich verordnet werden. In diesen Rehabilitationsprogrammen sind Bewegungsinterventionen oft enthalten. Die Programme sind grundsätzlich von der Grundversicherung gedeckt. Bei fast allen NCDs können im Anschluss an die strukturierten Rehabilitationsprogramme krankheitsspezifische strukturierte Langzeit-Angebote oder Sportgruppen verordnet werden, die nicht von der Grundversicherung, aber teilweise durch Zusatzversicherungen finanziert werden. Gezielte Bewegungsinterventionen als Therapieoption für alle Phasen der untersuchten Erkrankungen fehlen aber bislang in der Grundversorgung. Zudem fehlen für solche Interventionen etablierte Finanzierungsmöglichkeiten unabhängig vom Versicherungsstatus.

Analyse der Erfahrungen ausgewählter Länder

Wir analysierten zehn Länder, in denen Bewegung als Therapie bereits eingesetzt wird. Diese Analyse zeigte, dass im Rahmen der Grundversorgung körperliche Aktivität als therapeutische Intervention nicht nur als Rehabilitationsprogramm und Langzeit-Angebot, sondern basierend auf einer gesetzlichen Grundlage bei Vorhandensein einer entsprechenden Diagnose auch in Form eines Bewegungsrezepts verschrieben werden kann. Dies ist zum Beispiel in Schweden der Fall. Bewegungsrezepte können von Ärztinnen und -ärzten verschrieben werden; in einigen Ländern darüber hinaus auch von anderen Gesundheitsfachpersonen. Diese Bewegungsrezepte dienen zur Verschreibung von spezifischen Bewegungsprogrammen (z.B. GLA:D für Arthrose) oder der Beratung der Betroffenen zu den möglichen Bewegungsangeboten. In Australien wird Betroffenen mit NCDs jährlich eine begrenzte Anzahl Sitzungen vergütet, die sie für ein Coaching in verschiedenen Bereichen des Krankheitsmanagements, wie z.B. Bewegung und Ernährung, einsetzen können.

Handlungsempfehlungen für die Schweiz

Das Gremium der Expertinnen und Experten aus der Schweiz formulierte zwei zentrale übergeordnete Handlungsempfehlungen, um körperliche Aktivität als Therapie in der Gesundheitsversorgung besser zu integrieren:

  1. Gründung der Dachorganisation Exercise is Medicine Schweiz (EIM-CH; vgl. EIM Europa) unter Einbezug therapeutischer und ärztlicher Fachgesellschaften sowie Bildungsinstitutionen und des BAG
  2. Erarbeitung eines umfassenden Konzepts für Bewegung als Therapie, durch EIM-CH, in Zusammenarbeit mit Betroffenenorganisationen

Für die Erarbeitung des Konzepts wurden folgende Elemente identifiziert:

  • Erarbeitung Indikationsliste für körperliche Aktivität als Therapie
  • Entwicklung des Bewegungsrezepts und Verschreibungsmöglichkeiten
  • Entwicklung, Verbreitung, Durchführung und Evaluation der Bewegungsangebote
  • Identifizierung der involvierten Leistungserbringer, Definition ihrer jeweiligen Verantwortung und Organisation der Zusammenarbeit
  • Definition von Aufgaben, Rollen und Kompetenzen der Koordinatoren der Verschreibungen
  • Definition von Aufgaben, Rollen und Kompetenzen der Bewegungsfachpersonen, welche die Bewegungsangebote leiten
  • Individualisierung, Ausgestaltung und Begleitung der Bewegungsintervention

Zudem wurden spezifische Handlungsempfehlungen definiert, welche die einzelnen Elemente des Konzepts weiter vertiefen und Rahmenbedingungen schaffen. Dazu gehört beispielsweise die Klärung von Finanzierungsmöglichkeiten und die Implementierung von Finanzierungsmodalitäten.

Wir sehen ein grosses Potential für Bewegung als Therapie in der Schweiz. Mit simplen kosten-wirksamen Interventionen können nicht nur die Lebensqualität und Lebenserwartung der Betroffenen positiv beeinflusst, sondern auch Kosten im Gesundheitswesen eingespart werden.

Den Schlussbericht und das zusammenfassende Faktenblatt zur Studie finden Sie hier.  

Maria Carlander ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Versorgungsforschung am WIG.

Renato Mattli ist Teamleiter der Fachstelle HTA und gesundheitsökonomische Evaluationen am WIG.


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