Wieso steigen die Gesundheitskosten? Neue WIG-Studie gibt wichtige Hinweise

Abbildung 1: Beitrag von sechs Faktoren zum Anstieg der Kosten pro Krankheitsgruppe in % (eigene Abbildung, basierend auf der Studie von Stucki 2021)

Von Michael Stucki

Eine neue WIG-Studie zeigt, welche Faktoren wie viel zum Wachstum der Gesundheitskosten beitragen. Untersucht wurde der Effekt von sechs Faktoren auf die Kostenentwicklung der stationären Behandlung im Kanton Zürich zwischen 2013 und 2017.

Rund ein Drittel der gesamten Zunahme von 14.7% war auf das Bevölkerungswachstum zurückzuführen. Die sinkende Aufenthaltsdauer im Spital wirkte dagegen kostendämpfend. Dieser Effekt wurde aber weitgehend durch die starke Zunahme der Kosten pro Behandlungstag im Spital neutralisiert.

In der kürzlich publizierten Studie wurden basierend auf einer vollständigen Erhebung aller stationären akutsomatischen Aufenthalte im Kanton Zürich zwischen 2013 und 2017 die Kosten nach 100 Krankheiten zerlegt. Dafür nutzten wir die routinemässig kodierten Diagnosen für jeden Fall. Danach schätzten wir für jede dieser 100 Krankheiten den Beitrag von sechs Faktoren zur Kostenveränderung.

Die sechs Faktoren waren:

  1. Das Bevölkerungswachstum,
  2. die Bevölkerungsstruktur (Altersstruktur),
  3. die Anzahl der behandelten Personen im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung,
  4. die Zahl der Spitalaufenthalte pro Patient/in (wegen einer bestimmten Krankheit),
  5. die Aufenthaltsdauer (Tage im Spital),
  6. die Kosten pro Tag im Spital.

Die Daten wurden bisher kaum für die Forschung verwendet. Der Datensatz enthielt für jeden Fall die tatsächlich angefallenen Kosten, also nicht die Vergütung auf Basis des DRG-Kostengewichts. Diese Kosten zeichnen ein besseres Bild der effektiv aufgrund einzelner Krankheiten verursachten Aufwände im Spital. Wir nutzten diese Informationen, um einzelne Kostenkomponenten wie Medikamentenkosten oder Kosten für ärztliche Leistungen für jede Krankheit separat zu untersuchen.

40% des Kostenanstiegs aufgrund kardiovaskulärer Erkrankungen und Krebs

Rund 70% des Kostenanstiegs waren auf nicht-übertragbare Krankheiten zurückzuführen. Die beiden Krankheitsgruppen mit dem höchsten Beitrag zum Wachstum waren kardiovaskuläre Krankheiten (22.5 Prozentpunkte) und Krebserkrankungen (18.2). Muskuloskelettale Krankheiten trugen 10.8 Prozentpunkte zum Kostenwachstum bei.

Unterschiede zwischen Krankheitsgruppen

Die Abbildung oben zeigt die Beiträge der sechs Faktoren zum gesamten Kostenwachstum (Spalte «Total») in Prozent für die zehn wichtigsten Krankheitsgruppen. Die Werte beziehen sich auf die Kosten im Basisjahr 2013 (Balken ganz rechts). Ein Lesebeispiel für kardiovaskuläre Krankheiten, die Krankheitsgruppe mit den höchsten Kosten im Jahr 2013: Die stationären Kosten wuchsen zwischen 2013 und 2017 um 19.7%, wovon 5.7 Prozentpunkte auf das Bevölkerungswachstum zurückzuführen waren; der Anstieg der Behandlungskosten pro Tag trug 8.5 Prozentpunkte zum Wachstum bei, der leichte Anstieg der durchschnittlichen Aufenthaltsdauer 0.2 Prozentpunkte.

Tiefere Aufenthaltsdauer, höhere Kosten pro Tag im Spital

Über alle Krankheiten gesehen ist ein klares Muster zu erkennen: Während die Aufenthaltsdauer bei fast allen Krankheitsgruppen gesenkt werden konnte, trug der Anstieg der Kosten pro Behandlungstag zu einem Kostenwachstum bei sämtlichen Krankheiten bei. Wir haben diese Beiträge der Faktoren über alle Krankheiten aufaddiert und so die Anteile am Gesamtwachstum von 14.7% berechnet: die Verringerung der Aufenthaltsdauer (-7.3%) wurde durch den Anstieg der Kosten pro Behandlungstag (+12.1%) überkompensiert; die Veränderung der Bevölkerungsstruktur (+1.4%), der Anteil behandelter Patienten (+1.9%) sowie die Anzahl Aufenthalte pro behandelten Patienten (+1.0%) trugen nur wenig zum Kostenwachstum bei.

Die Studie zeigt das Potenzial einer Kostenzerlegung nach Krankheiten. In mehreren Projekten untersucht das WIG die medizinischen Kosten einzelner Krankheiten. Wir planen, die gesamten Gesundheitskosten in der Schweiz nach Leistungsbereichen und nach Krankheiten zu zerlegen. Dies ermöglicht, die Treiber des Kostenanstiegs zu identifizieren und Verschiebungen zwischen Leistungsbereichen – z.B. von stationärer zu ambulanter Versorgung – auf Ebene einzelner Krankheiten zu erfassen. Wir halten Sie über diese Projekte auf unserem Blog auf dem Laufenden!

Michael Stucki ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Team Gesundheitsökonomische Forschung am WIG.

Stucki, M. Factors related to the change in Swiss inpatient costs by disease: a 6-factor decomposition. Eur J Health Econ 22, 195–221 (2021). https://doi.org/10.1007/s10198-020-01243-3


2 Kommentare

  • Sehr spannende Studie! Warum? Weil sowohl durch die Linse “medical condition” (meines Erachtens die Perspektive, welche aus Sicht Patient wirklich interessiert), als auch durch die Linse “Kostenblock” eine Aufschlüsselung geschieht – so kann das potentielle Problem erkannt und besser isoliert werden. Was jetzt noch interessant wäre: wie sieht die Korrelation zwischen den “Kosten / Tag” und dem “Outcome” aus? Lohnen sich die zusätzlichen Kosten / Tag?

    • Vielen Dank für die positive Rückmeldung zu unserer Studie. Wir teilen Ihre Meinung, wonach eine Aufschlüsselung der Gesundheitsausgaben (bzw. -kosten) nach Krankheiten einen hohen Mehrwert bietet und den bereits bekannten Dimensionen der Kostenerlegung (wie Leistungserbringer und Leistungsbereichen) die für den Patienten wichtigste hinzufügt. Schliesslich wird das Gesundheitssystem aus einem bestimmten Grund aufgesucht – dieser Faktor ist in offiziellen Statistiken nicht enthalten. Wir arbeiten deshalb auch an einer Kostenzerlegung in weiteren Leistungsbereichen, z.B. der ambulanten Versorgung.

      Sie sprechen einen weiteren sehr relevanten Punkt an: sind die zusätzlichen Kosten über die Zeit gut investiertes Geld? Wir wissen es leider nicht – wir hatten keine Outcome-Daten zur Verfügung. Es ist beispielsweise nicht bekannt, ob sich die Mortalität der behandelten Patienten über die Zeit verändert hat oder ob die Patienten durch die Behandlung mehr Lebensqualität zurückbekamen. Wir hoffen, dass wir in Zukunft die Ergebnisse der Kostenzerlegung nach Krankheiten mit Outcome-Daten werden verknüpfen können – im Sinne einer «krankheitsspezifischen Kosten-Wirksamkeits-Analyse».

      Michael Stucki


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