Von Beatrice Brunner
Zu Beginn der Pandemie lag der Fokus auf dem Gesundheitsschutz. Menschenleben sollten gerettet werden – whatever it takes. Anfang März hat der Bundesrat deshalb unter Notrecht den Lockdown beschlossen. Die Kurve der Neuansteckungen ist daraufhin schnell abgeflacht. Das Gesundheitswesen hielt stand. Jetzt befindet sich die Schweiz auf dem Weg in eine «neue Normalität». Doch was sind die wirtschaftlichen (und sozialen) Konsequenzen des Lockdowns? Nachdem wir in unserem Blog vor einigen Wochen die Auswirkungen der Pandemie auf die Gesundheitskosten diskutiert haben, wollen wir nun anhand von eigens erhobenen Daten die Produktionsverluste beleuchten.
Die Krise nach der Krise
Was vorerst kaum ein Thema war, wird nun immer wichtiger: Die drohende Wirtschaftskrise. Der Abbau der staatlichen Corona-Schulden dürfte 25 Jahre dauern (NZZ Artikel). Auch die sozialen Kosten sind nicht zu unterschätzen: Gemäss dem Covid-19-Social-Monitor haben 7% der Schweizer Angst, als Folge von Covid-19 den Job zu verlieren. Bis im April ist die Arbeitslosigkeit um 1%-Punkt gestiegen und die Beschäftigungsaussichten der Unternehmen sind düster. Gemäss einem NZZ Artikel vom 27. Mai rechnet der Bund mit einer Arbeitslosenquote, die mit derjenigen während des Zweiten Weltkriegs vergleichbar ist.
Wirtschaftliche Konsequenzen der Einführung und Aufhebung von Massnahmen
Über den Effekt des Lockdowns wird seit Monaten in verschiedenen Ländern hitzig debattiert. Epidemiologische Daten waren zeitnah verfügbar. Auch wenn die Qualität aufgrund unterschiedlicher Vorgehensweisen und der hohen Dunkelziffer nicht ideal ist, liessen sich die Effekte der Massnahmen doch relativ schnell abschätzen. Zeitnahe wirtschaftliche Daten sind weit weniger schnell verfügbar und führten bei den politischen Entscheidungsträgern zu grossen Unsicherheiten bezüglich des Trade-offs zwischen Gesundheitsschutz und Schutz der Wirtschaft.
Wenig überraschend polarisierte daher die Diskussion zwischen harten und möglichst liberalen Massnahmen. Beispielsweise hat das stark auf Eigenverantwortung setzende schwedische Modell auch in der Schweiz zahlreiche Befürworter. Mittlerweile deutet aber einiges darauf hin, dass die schwedische Wirtschaft nicht weniger in Mitleidenschaft gezogen wird als diejenige von Ländern mit restriktiveren Lockdown-Massnahmen.
Während also die Pandemie wohl in allen betroffenen Ländern zu einer starken Verminderung des Wirtschaftswachstums bis hin zu einer Rezession führt, fehlen bisher ausreichende Daten für die Beurteilung einzelner Massnahmen. Dies ist umso relevanter, als solche Daten auch Politikentscheidungen für weitere Lockerungsschritte oder, im Falle einer zweiten Welle, die sukzessive Wiedereinführung von Massnahmen unterstützen können.
Daten und Analysen zu einzelnen Massnahmen
Aus diesem Grund hat das WIG hat im Rahmen des Covid-19-Social-Monitors seit Beginn des Lockdowns regelmässig Daten zur Arbeitsproduktivität erhoben. Für alle bisherigen Massnahmen lassen sich daraus die Produktivitätsverluste für die Schweiz insgesamt und pro Branche abschätzen. Die ersten Resultate werden hier nun vorgestellt.
Die durch Covid-19 verursachten Produktivitätsverluste wurden mittels eines validierten Instruments, dem Work Productivity and Activity Impairment Questionnaire (WPAI) erhoben. Diesen haben wir für unsere Zwecke leicht abgeändert, sodass er die Produktivitätsverluste von Covid-19 misst, und zwar in Form von 1) direkten Arbeitsausfällen und 2) verringerter Produktivität während der Arbeit. Letztere tritt beispielsweise auf, weil Kinder die Arbeit im Home Office beeinträchtigen, oder weil bestimmte Fertigungsteile nicht lieferbar sind und deshalb Wartezeiten oder Leerläufe entstehen.
Die Produktivitätsverluste im zeitlichen Überblick
Die Arbeitsproduktivität lag während des vollen Lockdowns durchschnittlich bei 54% des Üblichen. Oder umgekehrt formuliert: die Produktivitätsverluste betrugen durchschnittlich 46%. Davon waren etwas weniger als die Hälfte auf Arbeitsausfälle und etwas mehr als die Hälfte auf verringerte Produktivität während der Arbeit zurückzuführen.
Durch die schrittweise Lockerung ist die Arbeitsproduktivität wieder stetig angestiegen und lag in der Woche vom 4.-13. Mai bei 63%, 17% höher als während des vollen Lockdowns. Die Erhöhung ist dabei überwiegend auf die Reduktion von Arbeitsausfällen und kaum auf die Erhöhung der Produktivität während der Arbeit zurückzuführen.
Am stärksten betroffen sind die Branchen Gastgewerbe/Tourismus (65%) Unterhaltung/Kunst/Kultur/Sport (55%) und Handel/Reparatur Motorfahrzeuge (51%). Sie wiesen auch in der Woche vom 4.- 13. Mai noch einen Produktivitätsverlust von über 50% auf. Bei den ersten beiden Branchen sind die Produktivitätsverluste überwiegend auf die Arbeitsausfälle zurückzuführen. Das Bildungswesen folgt mit 44%. Am wenigsten betroffen sind die Branchen Energieerzeugung/-versorgung (17%), Land-/Forstwirtschaft/Gartenbau/Fischerei (21%) gefolgt von den Banken (27%).
Eine grobe Hochrechnung ergibt wöchentliche Produktionsverluste im vollen Lockdown von 6.2 Mia CHF (700 Mia. CHF (BIP) / 52 (Wochen) * 0.46 (Produktivitätsverlust)). Diese Resultate erscheint nicht unplausibel, vergleicht man sie mit den Schätzungen des KOF und Avenir Suisse, welche die monatlichen Wertschöpfungsverluste auf 20-30 Mia. CHF schätzen.
Auf Basis dieser Daten lassen sich die wirtschaftlichen Kosten der einzelnen Massnahmen besser abschätzen und in Beziehung setzen mit den gesamten Kosten des Lockdowns. Die politischen Entscheidungsträger erhalten damit eine vollständigere Informationsbasis, um die Reichweite und Sequenzierung von Massnahmen und Lockerungen im Fall einer zweiten Welle oder einer neuen Pandemie zu bestimmen. Und nicht zuletzt helfen die Erkenntnisse die Diskussion über angemessene Massnahmen zu versachlichen.
Beatrice Brunner ist Co-Leiterin der Fachsteslle Gesundheitsökonomische Froschung am WIG.