Von Olivia Malek
Covid-19 zeigt uns auf, was bereits seit langem Teil unseres Alltags ist und uns doch erst aufgrund der Konsequenzen dieser Pandemie wirklich bewusst wird: Wir sind im digitalen Zeitalter angekommen und ein Widerstand gegenüber der Digitalisierung ist absolut nicht mehr zeitgemäss. Wir arbeiten im Homeoffice, verbringen etliche Stunden in Videokonferenzen und teilen Dokumente über Plattformen und WebServices. Vor allem bin ich (positiv) überrascht, mit welch hoher Geschwindigkeit Prozesse und Strukturen umgestaltet wurden und wie scheinbar unveränderliche Vorgaben auf die neuen Rahmenbedingungen adaptiert werden konnten. Doch was wird davon bleiben?
Digitalisierung im Gesundheitswesen
Um diese Frage mit Blick in die Zukunft beantworten zu können, müssen wir zunächst wissen, wie weit fortgeschritten die Digitalisierung im Schweizer Gesundheitswesen ist. Und da ist erfreulicherweise festzustellen, dass sich eine Vorwärtsbewegung abzeichnet. Allen voran stehen patientenseitige Technologien im Vordergrund, wie das elektronische Patientendossier (EPD), Wearables oder bei der Physio, die mit mobilen Geräten ihre Übungen an den Patienten bringen. Auch auf der Fachkräfteebene zeigen sich vermehrt digitale Arbeitsweisen wieder, indem z.B. der Austausch zwischen der Ärzteschaft online stattfindet oder Vitalparameter der Patienten durch digitale Tools gemessen und ausgetauscht werden. Selbst auf der Organisationsebene wird das Klinikinformationssystem fleissig und gewissenhaft gepflegt. Lassen wir uns als nicht von den Nachrichten über die faxfreudigen Hausärzte beirren.
Was ändert sich für das Lernen?
Wir können also feststellen, dass es auch für Gesundheitsfachpersonen normal geworden ist digitale Technologien in variantenreichen Formen zu nutzen. Die Hemmungen sind geringer geworden. Es gibt allerdings eine grosse Herausforderung bei der Digitalisierung: das Tempo des technologischen Wandels! Was wir heute lernen ist morgen schon wieder hinfällig. Die Digitalisierung verlangt von uns höchste Flexibilität. Um mithalten zu können, ist es essenziell, dass wir offen für Neues sind und stets mitdenken. Informationskompetenz, also das Wichtige vom Unwichtigen unterscheiden zu können, ist das Stichwort. Und genau hier setzt das «neue (digitale) Lernen» an. Die Gesundheitsinstitutionen müssen bestrebt sein, diese für die fortschreitende Digitalisierung wichtigen Fähigkeiten bei ihren Mitarbeitenden zu fördern. Dies scheint auf den ersten Blick komplex zu sein, da es sich um Kompetenzen handelt, welche man nicht mit einer kurzen fachlichen Weiterbildung stärken kann. Hier müssen die Organisationen an die Förderung der Selbstkompetenz ihrer Fachpersonen ansetzen, was mit einer Veränderung der gesamtorganisatorischen Lernkultur einhergeht.
Was braucht es für diese neue (digitale) Lernkultur?
Damit diese neue digitale Lernkultur entstehen kann, braucht es die richtigen Rahmenbedingungen. Denn nur vor diesem Hintergrund können sich die Mitarbeitenden mit den Neuerungen der digitalen Welt auseinandersetzen. Was könnten folglich diese besonderen Rahmenbedingungen sein? Das swiss competence center for innovations in learning (scil) der Universität St. Gallen hat ein kompaktes Tool entwickelt, um die Lernkultur in Organisationen zu erfassen. In Bezug auf die digitalen Kompetenzen im Gesundheitswesen können folgende Gestaltungsvariablen identifiziert werden:
- Kollektiven Wissensaustausch ermöglichen
- Individuellen Wissensaustausch ermöglichen
- Bedeutung formellen Lernens anerkennen
- Informelles Lernen ermöglichen und fördern
- Erwartungen an eigenverantwortliches Lernen kommunizieren
- Lernbedarf ermitteln
- Feedback als Lerngelegenheit nutzen
Die hier aufgeführten Gestaltungsvariablen verdeutlichen, dass die Etablierung einer neuen digitalen Lernkultur die unterschiedlichsten Dimensionen einer Organisation betreffen.
Neben der Förderung der Eigenverantwortung, indem die Mitarbeitenden aktiv am Lernprozess teilnehmen und diesen mitgestalten, hat auch die Einbindung der Führungskraft einen hohen Stellenwert. Die Führungsperson ist nämlich der Treiber, um eine lernförderliche Umgebung zu ermöglichen. Beispielsweise treffen wir uns im Institut in regelmässigen Abständen zum sogenannten Brown Bag Lunch. Hier wird uns eine Plattform zur Verfügung gestellt, wo wir vom Wissen der anderen Kollegen profitieren und Neues dazulernen können.
Und schliesslich braucht es auch das Management der Organisation. Denn nur durch die entsprechenden Anpassungen von Strukturen, Prozessen und Verantwortlichkeiten lassen sich die notwendigen Rahmenbedingungen und Voraussetzungen für eine neue digitale Lernkultur schaffen.
Lassen wir uns nicht davon abschrecken, dass alle Ebenen der Lernkultur gleichzeitig verändert werden müssen. All die erwähnten Anpassungen können in kleinen Schritten umgesetzt werden. Vielleicht braucht es Zeit. Vor allem braucht es Geduld, Ressourcen und den Mut etwas zu versuchen, doch handelt es sich letztendlich um ein gutes Investment in die Zukunft einer Organisation im Gesundheitswesen.
Olivia Malek ist Studienleitung CAS am WIG.
Weiterführende Quellen zum Thema:
Angerer, A. und Lienhard, S. (2020). 18 Digital Health Talk – Digitale Kompetenzen. Abgerufen von https://gesundheitswesen.org/18-digital-health-talk-digital-skills
Britnell M., Bakalar R. und Shehata A. (2016). Digitale Gesundheit: Fluch oder Segen? Working Paper. Zürich: KPMG.
Meier, C. (2019). Lernkulturanalyse – Ergebnisdarstellung mittels Netzdiagramm. Abgerufen von https://www.scil.ch/2019/10/29/lernkulturanalyse-beispiel-fuer-eine-ergebnisdarstellung/