Von Cassandra Waech
Streaming ist so umweltschädlich wie Fliegen – so hiess es zumindest vor einigen Wochen in den Medien. Die Kritik daran liess nicht lange auf sich warten. Bereits einige Tage später wurden die Zahlen von anderen ExpertInnen relativiert. Die aktuelle Klimadebatte zeigt, dass vielen Menschen der Umgang mit Zahlen und Risikoangaben schwerfällt. Dabei ist beides gerade auch im Gesundheitswesen zentral.
Die Entscheidung für die eine oder andere medizinische Behandlung fällt vielen PatientInnen schwer: Soll ich mit den Knieschmerzen besser eine Kniearthroskopie machen, in die Physiotherapie gehen oder vielleicht einfach nur abwarten? Dabei hängt die Entscheidung von der persönlichen Risikobereitschaft ab – diese ist aber individuell unterschiedlich – und das Risiko gar nicht so einfach abzuschätzen…
Wie sehen Sie Ihr Risiko?
Mögen Sie Zahlen? Oder schrecken Sie schon beim Wort Statistik zurück? Falls ja, sind Sie damit nicht allein. Eine Abneigung gegenüber Zahlen und Daten ist vielen Personen eigen – entweder, weil sie nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen oder, weil sie nicht mit Restunsicherheiten konfrontiert werden möchten. Lieber nehmen sie ein gewisses bekanntes Risiko in Kauf, als einer ungewissen Situation gegenüberzustehen (Ellsberg-Paradoxon). Um Entscheidungen treffen zu können, gilt es aber, alle vorliegenden Fakten sinnvoll einzuschätzen.
Oft werden diese von Medien, Informationsdarstellern oder FachexpertInnen jedoch so komplex dargestellt, dass eine Beurteilung noch zusätzlich erschwert wird.
«Durch die Behandlung haben Sie ein um 50%
reduziertes Herzinfarktrisiko». Um eine derartige Aussage vernünftig
einschätzen zu können, benötigen Sie absolute Zahlen. Halbiert sich nämlich die
Sterberate bei 5000 untersuchten PatientInnen von 200 auf 100 oder aber von 2
auf 1, so schätzen Sie Ihr potentielles Krankheitsrisiko vermutlich anders ein.
Möchten Sie die Verantwortung über Ihre Gesundheit selber kompetent übernehmen?
Jeder wünscht sich wohl, eigenverantwortlich mit seiner Gesundheit umzugehen. Dazu gehört es, neben Informationen zum Krankheitsbild auch die Vor- und Nachteile möglicher Behandlungen zu kennen und gegeneinander abzuwägen sowie gegebenenfalls Zweitmeinungen einzuholen. Doch auch medizinische Informationen sind für Laien oft schwer verständlich, weil sie Fachbegriffe beinhalten und ebenfalls oft komplex dargestellt werden. Eine mögliche Herangehensweise zur vereinfachten Interpretation verschiedener Risiken liefert die vom Harding-Zentrum entwickelte Faktenbox. Mit der Zusammenfassung wissenschaftlicher Studien werden potentielle Nutzen und Schäden einer medizinischen Intervention einander tabellarisch gegenübergestellt und mit zusätzlichen relevanten Informationen ergänzt, z.B. zu Früherkennungs-/Vorsorgemassnahmen, Behandlungsoptionen etc. Versicherer möchten so auch Laien informierte Entscheidungen ermöglichen (Bsp. Kniearthroskopie).
Was heisst das für mich persönlich?
Die Interpretation und Risikoeinschätzung von statistischen Kennzahlen erfolgt erst am Schluss. Um eine ganzheitliche Aussage machen zu können, sollte vorgängig auch geprüft werden, woher die Resultate stammen, welche Studien hinzugezogen wurden und wie diese Studien aufgebaut waren. Einen sicheren Umgang mit Zahlen und Statistiken, den Vergleich verschiedener Studiendesigns und Beurteilung der Qualität einer wissenschaftlichen Studie (Critical Appraisal) können Sie sich im CAS Evidenzgrundlagen für Gesundheitsökonomie aneignen.
Dennoch, trotz aller wissenschaftlicher Studienergebnisse: Am Ende müssen Sie Ihre persönlichen Risiken abwägen. Ob eine Behandlung im Einzelfall Sinn macht, muss letztlich jeder für sich selbst entscheiden. Ein kritischer Blick lohnt sich daher nicht nur bei Zahlen zum Klima.
Cassandra Waech ist CAS Studienleitung am WIG.