Die Publikation unserer Stundenlohnstudie hat eine grosse mediale Aufmerksamkeit generiert. Die Verbreitung von Studienresultaten in der Öffentlichkeit ist grundsätzlich wünschenswert und sinnvoll. In diesem Fall hat sich das mediale Interesse jedoch überwiegend auf einen Aspekt der Studie fokussiert: Den Vergleich der Stundenlöhne verschiedener akademischer Berufe und der sich daraus ergebenden «Rangliste». So titelte etwa der Tagesanzeiger Ende letzter Woche publikumswirksam «Ärzte verdienen gleich viel wie Anwälte». Dieser enge Fokus lässt einerseits die aus unserer Sicht interessanteren Resultate zu den Arbeitszeiten der Berufsgruppen ausser Acht und er unterschlägt andererseits die Vorsicht, welche wir bei der Interpretation der Resultate angemahnt hatten.
Arbeitszeiten akademischer Berufsgruppen
Unsere Stundenlohnstudie zeigt, dass die Ärzte und Ärztinnen für ihre relativ hohen Einkommen überdurchschnittlich hohe Arbeitszeiten leisten. Unter den in der Schweizer Arbeitskräfteerhebung (SAKE) erfassten Personen arbeiten die Ärzte und Ärztinnen im Durchschnitt etwa 47 Stunden pro Woche. Der Median liegt bei 45.2 Stunden pro Woche. Damit liegen sie weit vor allen anderen in der SAKE erfassten akademischen Berufsgruppen. Dieses Resultat relativiert die vergleichsweise hohen Jahreseinkommen der Ärzte und Ärztinnen, welche in einer vom Bundesamt für Gesundheit in Auftrag gegebenen Studie errechnet und Ende letzten Jahres publiziert wurden. Es liefert daher einen wichtigen Beitrag in der Debatte um die Einkommen von Ärzten und Ärztinnen.
Interpretation der Resultate
Wir halten es für möglich, dass sich die Resultate zu den Arbeitszeiten und den Stundenlöhnen auf die gesamte Schweiz generalisieren lassen. Allerdings können wir diese Aussage nicht aufgrund der in der SAKE erhobenen Daten machen, was wir auch in der Studie transparent dargestellt haben. Im Detail bedeutet das, dass bei der Interpretation der Resultate zwingend zu beachten ist, welche Anzahl Beobachtungen die SAKE erhebt. Die SAKE ist bis jetzt die einzige Lohnerhebung, welche überhaupt die Berechnung von Stundenlöhnen und Arbeitszeiten nach Berufsgruppen zulässt. Doch die SAKE ist eine Stichprobe. Sie ist zwar in der Gesamtheit repräsentativ, aber, wenn man die Daten nach Berufsgruppen analysiert, ist die Anzahl der Beobachtungen pro Gruppe relativ klein und die Repräsentativität dadurch nicht mehr gewährleistet. Das bedeutet, dass gerade sehr ähnliche Resultate bei einer erneuten Erhebung möglicherweise unterschiedlich ausfallen würden. Da die Verteilungen der Stundenlöhne der Ärzte, Zahnärzte und Richter/Anwälte sehr ähnlich sind, könnte die «Rangliste» der Stundenlöhne anders aussehen, wenn zufälligerweise einige Personen einer Berufsgruppe mehr oder weniger an der Befragung teilnehmen würden.
Weitere Analysen sind notwendig
Die Bestimmung der Stundenlöhne bzw. der Arbeitszeiten der
akademischen Berufsgruppen liefert einen wichtigen Beitrag zu einer Versachlichung
der Diskussion der Ärzte- und Ärztinnenlöhne. Die Resultate der
Stundenlohnstudie auf Basis der SAKE liefern dafür einen nützlichen
Ausgangspunkt. Dies ist jedoch nur ein erster Schritt. Weitere Analysen sollten
repräsentativere Erhebungen, wie zum Beispiel die FMH-Statistik oder
Vollerhebungen wie die MAS (Statistik der Arztpraxen und ambulanten Zentren)
verwenden. Um dies zu ermöglichen, müssen diese Erhebungen aber die
Arbeitszeiten auf Stundenbasis erfassen. Dies wäre ein sinnvoller nächster
Schritt, um auf den ersten Erkenntnissen aus unserer Lohnstudie aufzubauen.
Beatrice Brunner ist Dozentin, Projektleiterin und Stellv. Leiterin der Fachstelle Gesundheitsökonomische Forschung am WIG.