Während des European Nursing Modul sammeln Pflegestudierende aus dem Ausland viele neue Praxiserfahrungen in der Schweiz – und überraschen sich dabei manchmal selbst.
Von Lucie Machac
Leicht aufgedreht wirken sie, überwältigt von all den neuen Eindrücken, aber sichtlich zufrieden, wenn sie von den intensiven Erfahrungen erzählen, die sie in Winterthur erlebt haben. Es fallen Superlative wie: «Das Beste, was ich im Studium bisher gemacht habe.» Andere bekunden stolz: «In bin definitiv aus meiner Komfortzone ausgebrochen.» Die jungen Frauen kommen aus Bulgarien, Spanien, Dänemark, Rumänien und anderen europäischen Ländern und haben am diesjährigen European Nursing Modul ENM teilgenommen, einem Austauschprogramm zwischen dem ZHAW-Institut für Pflege und 34 Institutionen in ganz Europa. Dank diesem Netzwerk können hiesige Bachelorstudierende im Ausland studieren und jedes Jahr kommen auch ihre europäischen Pendants für zwei Wochen ans Departement Gesundheit, um Einblicke in einen fremden Pflegealltag zu erhalten und sich untereinander auszutauschen. Die meisten merken dabei schnell: Interkultureller Dialog ist weit mehr, als sich den ganzen Tag auf Englisch zu unterhalten.
Interkulturalität lässt sich trainieren
«Viele denken bei interkulturellem Dialog an Geschäftsleute oder Migranten. Aber Kultur findet in unserem ganz normalen Alltag statt, indem wir miteinander kommunizieren und uns in bestimmten Situationen auf eine bestimmte Weise verhalten», sagt Susan Schärli-Lim, Verantwortliche International Relations und Dozentin am Institut für Pflege. Ist man sich dessen nicht bewusst, sind die Missverständnisse vorprogrammiert. Deshalb beginnt die Dozentin das Modul mit dem «Interkulturellen Training», bevor es für die internationalen Studierenden in der zweiten Woche in die lokale Praxis geht – in Spitäler, Alters-und Pflegeheime oder zur Spitex, wo sie den Pflegefachleuten über die Schulter schauen und beobachtend lernen.
Gerade in der Pflege ist es laut Susan Schärli-Lim zentral, sich in andere hineinfühlen zu können, dafür aber müsse man überhaupt erst verstehen, dass nicht alle dieselbe Sichtweise auf scheinbar objektive Dinge haben. «Wir denken oft, was wir sehen und hören, sei für alle gleich. Dies trifft aber oft nicht zu.» Wie unterschiedlich Wahrnehmung sein kann, verdeutlicht sie im «Interkulturellen Training» mit einem Bild: Die einen sehen eindeutig eine Frau vor einem Fenster, andere wiederum eine Frau mit einem Kanister auf dem Kopf – je nach kulturellem Hintergrund. Mit Rollen- oder Kartenspielen lässt sie die Studierenden dann quasi am eigenen Leib erfahren, wie unterschiedlich wir alle ticken und dass selbst Smalltalk unzählige unausgesprochene Regeln birgt. «Da erleben die Studierenden sehr viele Aha-Momente», sagt Susan Schärli-Lim schmunzelnd.
Erhellende Duschen in Pflegeheimen
Nicht weniger aufschlussreich sind auch die Eigenheiten des Schweizer Gesundheitssystems und vor allem der berufliche Alltag, den die Studierenden in Spitälern, Alters- und Pflegeinstitutionen live kennen lernen. Vielen wird dadurch erst bewusst: Pflegefachfrau ist nicht gleich Pflegefachfrau. «Je nach Land haben die Pflegenden unterschiedliche Kompetenzen und Aufgaben, ganz andere Arbeitsbedingungen, flachere oder steilere Hierarchien», sagt Susan Schärli-Lim. Für Austauschstudierende aus Spanien sei es zum Beispiel ungewohnt, dass in der Schweiz Pflegende ihre Patienten auch waschen. «Wenn die Studentinnen dann aber sehen, dass man während einer Dusche ein Pflegeassessment in Bezug auf die Beweglichkeit, den Hautzustand oder die Stimmung des Patienten machen kann, sind sie ziemlich beeindruckt und finden das Waschen eine sehr sinnvolle Aufgabe.»
Die Erfahrungen aus acht Jahren European Nursing Modul wertet Susan Schärli-Lim als «durchwegs positiv». Sie ist überzeugt: «Es ist nicht nur eine grosse Bereicherung für Studierende und Dozierende, sondern auch für die Praxisinstitutionen. Dank einem frischen Blick sehen die Austauschstudierenden nämlich auch, was wir in der Schweiz besser machen könnten.» Zudem stellen sie den hiesigen Praxisleuten ihr eigenes Gesundheitssystem vor. «Zu solchen Präsentationen kommen nicht nur Pflegende oder die Ärzteschaft, sondern teilweise auch Spitalmanager», freut sich Susan Schärli-Lim. «Das ermöglicht einen Wissenstransfer auf allen Ebenen.» //