Wenn die Orientierung schwerfällt, hilft ein Job-Coaching

Ergotherapeut Albrecht Konrad bietet im Therapie-, Trainings- und Beratungszentrum Thetriz ein Job-Coaching an. Er unterstützt Menschen nach einer gesundheitlichen Krise dabei, ihre Stelle zu behalten oder wieder in den Arbeitsmarkt einzusteigen.

Von Ursina Hulmann

Albrecht Konrad weiss aus eigener Erfahrung, was es bedeutet, sich beruflich neu zu orientieren. Er hatte bereits zwei Ausbildungen absolviert, bevor er seine Berufung als Ergotherapeut fand. Im Arbeitsbereich Psychiatrie und Arbeitsrehabilitation hat er inzwischen rund 25 Jahre Berufserfahrung gesammelt. Zuvor hat der 55-jährige unter anderem auf dem Bau, als technischer Werbeassistent, im Spital, im Verkauf und in der Gastronomie gearbeitet. «Mein beruflicher Werdegang ist die Basis für meine heutige Tätigkeit als Job-Coach», so Albrecht Konrad. «Ich kenne die Anforderungen für unterschiedliche Berufe und weiss, was es heisst, sich in eine neue Branche einzuarbeiten.» Seit 2021 ist der Ergotherapeut Dozent an der ZHAW und arbeitet als Job-Coach im Therapie-, Trainings- und Beratungszentrum Thetriz (siehe Kasten). Hier unterstützt er Menschen nach psychischen Krisen oder Krankheiten darin, ihren bestehenden Arbeitsplatz zu behalten oder wieder in den Arbeitsmarkt einzusteigen.

Ein sensibler Prozess

Zusammen mit seinen Klient:innen entwickelt Albrecht Konrad alltagspraktische Lösungen. Der erste Schritt ist eine Auslegeordnung der aktuellen Lebens- und Arbeitssituation: Was hat die Person bisher gemacht? Was kann sie daraus für ihre Zukunft lernen? Welche Rahmenbedingungen braucht es, damit sie sich wohl fühlt und somit gute Arbeit leisten kann? «Andauernde Angst, Fehler zu machen, kann eine Person so hemmen, dass zum Beispiel ihre Arbeitsleistung sinkt», führt der Ergotherapeut aus. Als Job-Coach vermittelt Albrecht Konrad ausserdem zwischen Arbeitgeber:innen und -nehmer:innen und hat Klient:innen auch schon durch Kündigungsprozesse begleitet. Und er unterstützt Menschen nach einer Krise dabei, über ihre Situation so zu sprechen, dass sie sich bei einem Bewerbungsgespräch gut positionieren können.

«Es ist für mich ein grosses Geschenk, in die Lebenswelt von anderen Menschen zu sehen und mit ihren oft auch verborgenen Ressourcen etwas aufzubauen, was dann im beruflichen Alltag funktioniert», berichtet der Job-Coach. Es sei ein kreativer, aber auch sensibler Prozess, sich auf jemanden einzulassen und zu verstehen, wie sie oder er die Umwelt erlebt. «Besonders beeindruckend für mich ist, wenn sich wortkarge Menschen öffnen, ich dadurch ihre Art verstehen lerne und wir zusammen neue Lösungsstrategien erarbeiten können.»

Integriert bleiben

In der Schweiz hat man früher Personen mit chronischen gesundheitlichen Problemen entweder eine IV-Rente bezahlt und sie dadurch aus der Arbeitswelt ausgeschlossen. Oder dann arbeiteten die Betroffenen in Nischenarbeitsplätzen, etwa in Archiven oder Lagern, was nicht immer ihren Fähigkeiten entsprach. Eine weitere Möglichkeit war eine Umschulung. «Viele waren mit der Lösung unglücklich, da sie keinen neuen Beruf erlernen wollten», sagt Albrecht Konrad. «Die meisten Menschen wollen in ihrem angestammten Job arbeiten und so in ihrem Gesellschaftskreis integriert bleiben. Eine Arbeit mit passenden Anforderungen und ein wohlwollendes Umfeld unterstützen auch die Genesung.»

Mit der fünften IV-Revision wurden die Eingliederungsmassnahmen 2008 ausgebaut. Betroffene sollten seither, wenn immer möglich, einer Arbeit im ersten Arbeitsmarkt nachgehen, eventuell unter angepassten Rahmenbedingungen. Mit Hilfe eines Job-Coaches wie Albrecht Konrad wird zusammen mit den behandelnden Ärzt:innen und Therapeut:innen abgeklärt, ob und unter welchen Bedingungen jemand im regulären Arbeitsmarkt arbeiten kann. Die IV bietet verschiedene Eingliederungsmassnahmen an. Diese seien auch für Unternehmen wertvoll, weiss Albrecht Konrad. So könne zum Beispiel die Einarbeitungszeit verlängert werden, anfangs mit einem kleinem Pensum, das dann gesteigert werde. Er hat immer wieder mit Arbeitgeber:innen Kontakt, die Verständnis für Menschen mit gesundheitlichen Einschränkungen haben. «Sie wissen, dass eine makellose Bewerbung nur eine Scheinsicherheit ist. Auch völlig gesunde Menschen können jederzeit einen Schicksalsschlag erleiden, der sie aus der Bahn werfen kann.»

Albrecht Konrad coacht Menschen mit unterschiedlichen Erkrankungen, zum Beispiel nach einem Schlaganfall oder mit Long Covid. Er erzählt von einer Rechtsanwältin, die ihren Beruf liebte. Sie konnte aber wegen ihrer psychischen Erkrankung die Verantwortung für grosse Mandate nicht mehr stemmen. Also übernahm sie Rechercheaufträge für ein Anwaltsbüro. Er berichtet von einem Koch, dem das stressige Umfeld im Restaurant zu viel geworden war. In der Küche eines Altersheims ging es ihm deutlich besser. Oder von einem Sozialpädagogen, der nach einem Schlaganfall als Beistand weitergearbeitet hat.

Kein Röntgenbild der Seele

Konrads Fokus liegt in der Begleitung von Menschen mit psychischen Erkrankungen. Diese sind schwerer zu fassen als andere Krankheiten – es gibt kein «Röntgenbild der Seele». Im Gegensatz zu einem Knochenbruch gibt es auch keine genauen Prognosen zur Genesung. Psychische Erkrankungen beeinflussen Gefühle und Gedanken und führen zu geringer Stresstoleranz; ausserdem haben viele Betroffene weniger «Filter», um sich von den vielen Wahrnehmungen abzugrenzen. «Das kann für sie und ihr Umfeld sehr mühsam sein», sagt der Ergotherapeut. Er betont aber auch: Wie jemand, der an Diabetes leidet, kann jemand mit einer psychischen Erkrankung lernen, mit dieser zu leben.

Je mehr eine Person zu sich stehe und klar sagen könne, was sie benötige, desto besser werde sie vom Umfeld verstanden und akzeptiert, sagt Albrecht Konrad. «Das Coming-out hat eine grosse Kraft. Denn danach muss die Person nicht mehr so viel Energie aufwenden, um eine Fassade aufrechtzuerhalten und sich gegen die Krankheit zu wehren.» Dies hat der Ergotherapeut schon oft erlebt. Immer wieder freut es ihn, wenn seine Klient:innen trotz ihrer Erkrankungen praktikable Lösungen an ihrem Arbeitsplatz finden. «Mein Ziel ist es, mich als Job-Coach überflüssig zu machen», sagt er und schmunzelt. //

Vitamin G, S. 36-37


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