STRAPAZIERTER PFERDERÜCKEN

Physiotherapieforschende der ZHAW untersuchen in einer Kooperation mit der Vetsuisse-Fakultät der Universität Zürich, welchen Einfluss die körperliche Verfassung und die Kompetenz von Reitern auf die Gesundheit von Pferden haben.

VON ANOUK HOLTHUIZEN

Wenn das Zürcher Schul- und Sportdepartement jeweils seine Reitkurse für Kinder und Jugendliche ausschreibt, sind diese innert Stunden ausgebucht. Die Wochenkurse können sich auch jene Familien leisten, für die das Hobby hoch zu Ross im Rahmen von Privatunterricht zu kostspielig ist. Und so wird der Traum für zahlreiche Kinder, vor allem Mädchen, zumindest vorübergehend wahr. Wären die Kosten für diesen Sport nicht so hoch, würden wohl einige Tausend Leute mehr in der Schweiz in den Sattel steigen. Das Bundesamt für Statistik schätzte den sogenannten Equidenbestand, zu dem nebst Pferden auch Esel zählen, im Jahr 2016 auf rund 105’000. Der weitaus grösste Teil der Tiere wird für Freizeitaktivitäten genutzt.
Das Glück der Erde mag für Reiterinnen und Reiter auf dem Rücken der Pferde liegen, doch für die Tiere selbst hat das mitunter negative Auswirkungen – gerade auf ihren Rücken. Mehr als drei Viertel der Sport- und Freizeitpferde, die wegen Leistungsschwäche und Rittigkeitsproblemen von einer Tierärztin oder einem Tierarzt untersucht werden, leiden unter Erkrankungen des Bewegungsapparates, oft am Rücken. Als Reaktion auf ihre Schmerzen ändern sie ihre Haltung und es kommt zu Funktionseinschränkungen. Damit kompensieren die leidensfähigen Pferde Fehler in ihrer Ausbildung und Nutzung, die fehlende Kompetenz von Reitern und Trainern sowie eine mangelhafte Ausrüstung wie ein unpassender Sattel. Manchmal auch alles gleichzeitig.

Mit dem Bewegungslabor auf den Hof

Diese Situation hat die Vetsuisse-Fakultät der Universität Zürich veranlasst, gemeinsam mit der ZHAW-Forschungsstelle Physiotherapiewissenschaft die Rückengesundheit von Pferden zu untersuchen und zwar unter Berücksichtigung der Reitkompetenzen und der körperlichen Verfassung ihrer Reiter. Zurzeit läuft die Auswertung der gesammelten Daten. Von Frühling bis Herbst 2017 nahm das Forschungsteam mithilfe eines mobilen Bewegungslabors an verschiedenen Standorten der Deutschschweiz und der Romandie 236 Pferde- Reiter-Paare in den jeweiligen Reitanlagen unter die Lupe. Die Probanden bestanden je zur Hälfte aus Freizeit- und Sportreitern. Sie mussten im Vorfeld ausführliche Fragebogen zur eigenen körperlichen Gesundheit, zur Haltung und Bewegung des Pferdes sowie zu dessen Ernährung und Nutzung ausfüllen. Vor Ort wurden sie von Physiotherapeuten systematisch untersucht, während Veterinärmediziner eine orthopädische und chiropraktorische Untersuchung des Pferdes vornahmen. Schliesslich begaben sich die Reiter auf ihren Pferden in die Halle, wo mit einem standardisierten Protokoll die Reitkompetenz erhoben wurde. Sensoren massen dabei die Bewegungen und Kameras zeichneten die Sequenzen auf.

Zusammenspiel von Pferd und Reiter

Resultate liegen noch keine vor, doch Barbara Gubler, Projektmitarbeiterin und Leiterin des mobilen Bewegungslabors, sagt: «Wir vermuten, dass die körperliche Verfassung des Reiters einen Einfluss auf den physischen Zustand des Pferdes hat.» Daten zur Fitness von Reitern wurden bisher noch gar nie erfasst. Die aktuell laufende Studie soll dies ändern. «Ziel ist es, dass Reiter wissen, welche Minimumkompetenzen sie für den Reitsport mitbringen müssen und auch Reitlehrer entsprechend informiert und geschult werden können», so Gubler. Bis heute sei es so, dass die Pferde auf Leistung getrimmt werden, man aber noch wenig darüber wisse, was ein Reiter zur gesunden Leistungssteigerung beitragen könne. «Reiter sehen das körperliche Zusammenspiel von Pferd und Reiter noch zu wenig und können die Auswirkungen ihrer physischen Voraussetzungen auf das Pferd nicht abschätzen.»

Wachsende Sensibilität

Auch Professor Michael Weishaupt, Wissenschaftlicher Leiter der Abteilung für Sportmedizin Pferd am Departement für Pferde der Universität Zürich, weiss aus seiner Praxis: «Hat ein Pferd Rückenbeschwerden, fokussiert die Behandlung stark auf das Tier. Doch um seine Gesundheit nachhaltig zu verbessern muss man auch die Einflussfaktoren kontrollieren können.» Dieses Verständnis würde sich in der Sportmedizin seit einigen Jahren immer stärker entwickeln. Hilfreich sei auch die zunehmende Spezialisierung von Tierärzten, die umfassendere Abklärungen überhaupt erst zulasse. Die Beurteilung eines Sattels sei zum Beispiel nicht Teil des Grundstudiums von Veterinärmedizinern. Eine überraschende Erkenntnis war für die Forscher, wie breit das Spektrum körperlicher Fähigkeiten unter den Reitern und den Pferden ist. Nicht nur die Fitness, auch die Ausrüstung und die Pflege der Pferde erwiesen sich als höchst unterschiedlich. Und noch mehr: «Wir diagnostizierten bei vielen Pferden körperliche Beschwerden, obwohl wir Reiter mit gesunden Pferden einluden», sagt Michael Weishaupt. Die Reiter mit dem grössten Fachwissen hätten auch mehr Sensibilität und Sorgfalt im Umgang mit ihren Tieren gezeigt. Die Studie macht für ihn deutlich: «Idealerweise haben alle Berufspersonen rund um Pferde, also nebst Reitlehrern auch Sattler, Bereiter und Hufschmiede, einen Blick für die Kompetenzen von Pferd und Reiter und garantieren Qualitätsstandards. An diesem Entwicklungsprozess müssen wir dranbleiben.»
Die Resultate der Gesundheitserhebung zu Pferd und Reiter werden im Sommer 2018 publiziert. Ziel ist eine Auslegeordnung der Faktoren, die besonders wichtig sind, um ein Pferd gesund zu erhalten – damit das Glück der Erde kein Unglück für Pferde ist. //

«Vitamin G», Seite 29


RÜCKENGESUNDHEIT DER SCHWEIZER PFERDEPOPULATION

  • Leitung
    Christoph Bauer
  • Team
    Carole Pauli, Bettina Sommer, Barbara Gubler, André Meichtry, Andrea Aegerter, Bettina Friedrich, Kim Vetter
  • Partner
    Departement für Pferde, Vetsuisse-Fakultät, Universität Zürich
  • Finanzierung
    Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen

MOBILE MESSUNGEN UND ANALYSEN

Mit dem mobilen Bewegungslabor, welches das Institut für Physiotherapie 2015 lancierte, werden Forschungsaufträge und Dienstleistungsangebote in der Gesundheitsförderung und Prävention für externe Firmen, Vereine, Einrichtungen und Schulen angeboten. Mit moderner Technik und physiotherapeutischer Erfahrung lassen sich so umfassende Messungen und Analysen des Bewegungsapparats sowie entsprechende Beratungen durchführen und zwar in den Bereichen Aktivität, Beweglichkeit, Gleichgewicht, Muskelfunktion, Kraft, Leistungsdiagnostik und Ganganalyse.

zhaw.ch/gesundheit/bewegungsanalyse


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