MIT KOMPLEMENTÄREN HEILMETHODEN DIE BEHANDLUNG BEREICHERN

Akupunktur, Wickel, Heilkräuter oder Globuli: In der Schweiz nehmen die Therapien mit komplementären Heilmethoden zu. Ein neues CAS am Departement Gesundheit vermittelt das Wissen zu den vier in der Grundversicherung enthaltenen integrativen Behandlungsansätzen.

VON URS INA HULMANN

Seit Jahrtausenden nutzen Menschen Pflanzen, um Beschwerden zu lindern. In den westlichen Ländern hat sich zwar die Schulmedizin durchgesetzt, viele schulmedizinische Arzneimittel wurden jedoch auf Grundlage von Pflanzen entwickelt. Das Schmerzmittel Aspirin zum Beispiel entstand auf der Basis eines Wirkstoffs der Weidenrinde. Trotzdem ist das Wissen über die Pflanzenheilkunde bei uns zum Teil verloren gegangen. In anderen Kulturen ist die traditionelle Heilkunde hingegen lebendig geblieben: Im asiatischen Raum gehören etwa Behandlungen der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM) zur Grundversorgung.

Die Schulmedizin ist funktionsbasiert, orientiert sich an der Krankheit und setzt unter anderem auf Medikamente, die jedoch oft Nebenwirkungen haben. Komplementäre Heilmethoden (siehe Kasten) sind hingegen ganzheitlich. Diese und weitere Gründe führen dazu, dass in der Schweiz die Behandlungen mit diesen Heilmethoden seit Jahren stetig zunehmen, wie etwa die Gesundheitsbefragung des Bundesamts für Statistik zeigt. Sara Kohler, Pflegefachfrau und Leiterin des neuen CAS Integrative und komplementäre Behandlungsansätze, führt aus: «In der Onkologie beispielsweise nehmen 40 bis 50 Prozent aller Patientinnen und Patienten komplementäre Behandlungen in Anspruch, bei Brustkrebspatientinnen sind es bis zu 90 Prozent.»

Heilkräutergarten und rhythmische Einreibungen

Da immer mehr Menschen komplementäre Heilmethoden in Ergänzung zur Schulmedizin nutzen, sollen Gesundheitsfachpersonen in der Weiterbildung fundiertes Wissen über den Einsatz, den Nutzen und die Risiken der Behandlungsgrundlagen erhalten. Vier Ansätze, deren Leistungen in der Schweiz seit 2017 durch die Grundversicherung abgedeckt sind, stehen dabei im Fokus: die Anthroposophische Medizin, die Homöopathie, die Phytotherapie und die Traditionelle Chinesische Medizin. Neben den theoretischen Grundlagen gehören auch praktische Erfahrungen zum CAS. So ist ein Besuch im Heilpflanzengarten geplant, Ohr-Akupunktur oder rhythmische Einreibungen werden unter Anleitung aneinander durchgeführt. In einem Workshadowing haben die Teilnehmenden ausserdem Gelegenheit, sich mit der ausgewählten Behandlungsmethode in der Praxis vertraut zu machen. Zudem lernen sie, die komplementären Ansätze in den eigenen fachlichen Kontext zu übertragen, um Patientinnen und Patienten gut beraten zu können. «Wir hoffen, dass sich das Angebot herumspricht, wir auch eher skeptische Personen erreichen und so mehr Offenheit gegenüber komplementären Heilmethoden entsteht» so Sara Kohler über die Ziele der Weiterbildung. Das CAS ist für alle Berufsgruppen im Gesundheitswesen offen.

Patienten über komplementäre Heilmethoden aufklären

Medizinerinnen und Mediziner sind oft zurückhaltend gegenüber komplementären Behandlungen, das zeigt sich auch in der wissenschaftlichen Literatur. Viele seien vorsichtig, da sie selbst nicht viel zu den Heilmethoden wissen, sagt Sara Kohler. Die fehlende wissenschaftliche Evidenz ist ein weiterer Kritikpunkt. Die grösste Sorge ist aber die Angst vor Interaktionen mit Arzneimitteln. «Diese Angst ist nicht ganz unbegründet», erklärt Kohler.

So können etwa phytotherapeutische Behandlungen gefährliche Interaktionen hervorrufen. Johanniskraut zum Beispiel hat unter anderem eine stimmungsaufhellende Wirkung. Eine Behandlung mit der Heilpflanze kann aber die Wirkung der Antibaby-Pille ausser Kraft setzen. Die Einnahme erhöht zudem die Lichtsensibilität, was bei Strahlentherapien zu Verbrennungen der Haut und weiteren Nebenwirkungen führen kann. «Dieses Beispiel zeigt deutlich, wie wichtig es ist, Patientinnen und Patienten über komplementäre Heilmethoden aufzuklären und gut zu beraten», führt Sara Kohler aus. «Da so viele Menschen komplementäre Medizin in Anspruch nehmen, wäre es beinahe fahrlässig, dies zu unterlassen.»

Es gebe Naturheilärzte, die haarsträubende Angebote machen, erzählt Sara Kohler. Zum Beispiel Kuren, die den Krebs aushungern sollen. «Besonders schlimm daran ist, dass sie den Patientinnen und Patienten sagen, dass sie etwa keine Chemotherapie machen dürfen und ihren Arzt nicht informieren sollen», führt sie aus. «Das ist gefährlich und ich möchte mich ganz klar davon distanzieren. Solche Angebote meine ich nicht, wenn ich von komplementärer und integrativer Medizin spreche.»

Durch ganzheitliche Methoden mehr Möglichkeiten

Sara Kohler selbst ist durch Zufall zur Anthroposophischen Medizin gekommen. Sie hat mehrere Jahre als Pflegefachfrau und Fachverantwortliche in der Klinik Arlesheim gearbeitet. In dieser wird die Schulmedizin durch ganzheitliche Methoden der Anthroposophischen Medizin ergänzt. «Mir hat die Art gefallen, wie dort den Menschen begegnet wird. Darum habe ich mich in diese Richtung weitergebildet», erzählt sie. Neben der medikamentösen Therapie habe sie als Pflegefachperson mit den komplementären Heilmethoden mehr Möglichkeiten zur Verfügung. Bei Schlafstörungen etwa Fusseinreibungen mit Lavendelöl. Lavendel hat eine beruhigende Wirkung, eine Fusseinreibung hilft, zu entspannen und Gedanken in die Füsse abzuleiten. «Bei kranken Personen kommen viele Schlafstörungen davon, dass die Gedanken sich im Kreis drehen», sagt Sara Kohler. Die Wärme und die Berührungen bei einer Fusseinreibung helfen ihnen, zur Ruhe zu kommen. //


IN VERBINDUNG MIT DER SCHULMEDIZIN

Im Volksmund wird komplementäre und alternative Medizin oft gleichbedeutend verwendet. Die komplementäre Medizin arbeitet aber immer in Verbindung mit der Schulmedizin, während die alternative Medizin die Schulmedizin ersetzt. Bei der integrativen Medizin wiederum sind komplementäre Behandlungsmethoden integraler Bestandteil der Therapie, sie gehören also von Anfang an zum Behandlungskonzept.

Anthroposophische Medizin

Rudolf Steiner, der Begründer der Anthroposophie, entwickelte gemeinsam mit der Ärztin Ita Wegmann auch die Anthroposophische Medizin. Diese basiert auf der Schulmedizin und wird durch das ganzheitliche Verständnis der Anthroposophie ergänzt. Das Ziel ist, die gesunden Kräfte des Menschen zu aktivieren, seine Selbstheilungskräfte zu unterstützen und so den Krankheitsprozess positiv zu beeinflussen. Therapeutische Behandlungsmethoden sind zum Beispiel rhythmische Einreibungen, Wickel oder Kompressen, aber auch Therapien für den Geist, zum Beispiel Musik- oder Maltherapie, gehören dazu.

Homöopathie

Die Homöopathie wurde vor über 200 Jahren vom Arzt und Apotheker Samuel Hahnemann entwickelt. Es handelt sich um eine ganzheitliche Therapie, die Erkrankungen nicht als isolierte, organische Störungen betrachtet, sondern als Blockierung der Lebenskraft. Dabei gilt der Grundsatz, «Ähnliches durch Ähnliches zu heilen»: Eine Substanz, die bei einem gesunden Menschen Beschwerden auslöst, hilft, einen kranken Menschen gesund zu machen. Um homöopathische Mittel herzustellen, werden Substanzen nach einem vorgeschriebenen Verfahren in mehreren Schritten verdünnt. Je höher die Verdünnung, desto stärker die Heilkraft.

Phytotherapie

Die Pflanzenheilkunde oder Phytotherapie ist eine der ältesten medizinischen Therapien. Sie wird in allen Kulturen auf allen Kontinenten praktiziert und nutzt die heilende Wirkung von Kräutern und Heilpflanzen, um körperliche und seelische Beschwerden zu lindern. Die pflanzlichen Wirkstoffe werden extrahiert und zu Tees, Tinkturen, Salben oder Ölen verarbeitet.

Traditionelle Chinesische Medizin (TCM)

Als TCM wird jene Heilkunde bezeichnet, die sich in China über mehr als 2000 Jahre entwickelt hat. Vereinfacht erklärt, beruht TCM auf einem System von Lebensenergien im Körper (Qi), die auf Meridianen, also Leitbahnen im Körper, zirkulieren und Einfluss auf sämtliche Körperfunktionen haben. Wird dieser Energiefluss durch eine Krankheit gestört und in ein Ungleichgewicht gebracht, können mit gezielten Behandlungen Blockaden gelöst werden. Behandlungselemente der TCM sind unter anderem Akupunktur und Akupressur, Tuina-Therapie, Pflanzenheilkunde, Diätetik sowie Qigong, eine Meditations-, Konzentrations- und Bewegungsform.

Vitamin G, S. 36-37


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Magazin «Vitamin G – für Health Professionals mit Weitblick»


1 Kommentar

  • Interessant, dass die TCM zur Grundversorgung im asiatischen Raum gehört. Neulich erst habe ich erfahren, dass Asiaten ebenfalls viel seltener krank werden. Ich wurde besonders in diesem Jahr oft krank und ich möchte zukünftig selbst Alternativmedizin anwenden und mich in einer Apotheke beraten lassen.


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