Fragestellungen entwickeln, Interviews transkribieren oder grosse Datenmengen analysieren: Künstliche Intelligenz (KI) ist in Forschung und Lehre angekommen, so etwa auch am Institut für Pflege am Departement Gesundheit. Die Technologie bietet viele Vorteile, ihrem Einsatz müssen jedoch auch Grenzen auferlegt werden.
von Marion Lohner
An der ZHAW wird KI in den verschiedensten Forschungsbereichen eingesetzt, um innovative Ideen zu entwickeln und komplexe Probleme zu lösen. KI kann in jedem Forschungsschritt greifen: von der Formulierung der Fragestellung über die Wahl des geeigneten Analyseverfahrens bis hin zur Interpretation und Einordnung der Daten. Nicht zuletzt kann sie genutzt werden, um die zu publizierende Arbeit zu erstellen. «Ein Vorteil von KI in der Forschung liegt darin, grosse Datenmengen schnell und präzise zu analysieren und Muster zu identifizieren, die für Menschen nur schwer zu erkennen sind», sagt Rebecca Brauchli, Leiterin ZHAW digital.
In der Lehre spielt KI ebenfalls eine grosse Rolle – insbesondere, seit sie durch die Einführung von ChatGPT und anderen Large Language Models (LLM) vor zwei Jahren eine rasante Entwicklung erfahren hat. «KI hat unsere Perspektive auf schriftliche Leistungsnachweise verändert», sagt Brauchli. Hochschulen haben darauf unterschiedlich reagiert. Die ZHAW suchte von Anfang an nach sinnvollen und kreativen Wegen, um KI in die Lehre einzubetten – sowohl im Unterricht als auch in einer Überarbeitung und Neuausrichtung von Leistungsnachweisen. «Der Ansatz der ZHAW, einen offenen und gleichzeitig kritisch-reflektierten Umgang mit KI zu pflegen, wird sich langfristig auszahlen», ist die Leiterin ZHAW digital überzeugt. «Auch wenn wir seitens unserer Forschenden und Dozierenden bisweilen eine gewisse Ungeduld spüren.»
Richtlinien sind schnell überholt
Rebecca Brauchli betont, dass beim Umgang mit KI ethische und datenschutzrechtliche Aspekte besonders zu beachten sind. «Es ist wichtig, dass die Daten, die für KI-Modelle verwendet werden, repräsentativ und frei von Verzerrungen sind, um faire und genaue Ergebnisse zu gewährleisten.» Die Algorithmen sollten transparent und nachvollziehbar sein, um Vertrauen in die Forschungsergebnisse zu fördern. Zudem müssten die KI-Modelle ständig überwacht und validiert werden. «Nur so können wir sicherstellen, dass sie erwartungsgemäss und ohne unerwünschte Nebenwirkungen funktionieren.» ZHAW digital setze sich dafür ein, gemeinsam mit allen relevanten Akteur:innen wie Hochschulleitung, Ressort Forschung und Entwicklung, Ressort Bildung oder ICT eine hochschulweite Haltung zu kreieren, welche die grundsätzlichen Werte der ZHAW abbilden sowie Forschenden und Dozierenden Orientierung geben soll. «Von zu vielen Richtlinien halte ich wenig. Einerseits, weil sie angesichts der schnellen Entwicklungen im Bereich KI bereits morgen wieder überholt sein könnten», sagt die Expertin. «Andererseits ist es uns wichtig, unseren Forschenden und Dozierenden Freiheiten zu lassen.»
«Wir haben Barrieren eingebaut»
André Fringer, Co-Leiter Masterstudiengang und Forschung & Entwicklung am Institut für Pflege, befasst sich am ZHAW Departement Gesundheit mit dem Thema KI. Der Datenschutz zählt für ihn zu den herausforderndsten Aspekten in der Debatte. In Abstimmung mit dem Rechtsdienst der Hochschule und dem Datenschutzbeauftragten des Ressorts Forschung hat er ein Grundlagenpapier erarbeitet, das unter anderem klären soll, in welchem Umfang Studierende beispielsweise Transkriptionssysteme und weitere KI-gestützte Assistenztools verwenden dürfen. «Wir hatten vergangenes Jahr den Fall, dass Studierende Interviews für ihre Masterarbeit über irgendein Tool aus dem Internet transkribieren liessen, ohne uns Bescheid zu geben. Das hatte zur Folge, dass der Datenschutz des Kantons und unserer Hochschule verletzt wurde», erzählt er. «Als einige Studierende uns das ‹gebeichtet› hatten, mussten wir grossen Aufwand betreiben, um den Datenschutz wiederherzustellen.» Die Künstliche Intelligenz biete den Studierenden viele Möglichkeiten der Entlastung und Unterstützung, diese dürften aber nicht uneingeschränkt genutzt werden. «Deshalb haben wir Barrieren eingebaut», sagt André Fringer. So schreibt der Master Pflege den Studierenden bei den empirischen Masterarbeiten aufgrund von «besonders schützenswerten Daten» vor, welche KI-Tools sie verwenden dürfen.
Im Bereich der qualitativen Forschung ändere sich mit KI das gesamte Methodenspektrum der Analyse-Ansätze. «KI kann eine Kategorie oder einen Code erzeugen, aber die Forschenden müssen wissen und reflektieren können, ob das auch stimmt, was sie macht», erläutert Fringer. Wissenschaftler:innen können dabei auf ihre Erfahrungen zurückgreifen, Studierende nicht. «Deshalb müssen ihnen die Dozierenden dieses Wissen in Form von Einschätzungs- und Entscheidungskompetenzen vermitteln.» Hierfür werden in die verschiedensten Etappen bei der Erstellung einer Masterthesis «Schritte der Reflexion» eingebaut. «Studierende müssen KI als Unterstützung und Assistenz sehen und nicht als ein Tool, das ihnen die ganze Arbeit abnimmt», sagt André Fringer.
Eine Arbeit, die sich für die Studierenden und Forschenden einschneidend verändert: Ein grosser Teil der Fleissarbeit wie Literaturrecherche und Transkription wird die KI-Assistenz übernehmen können. Dadurch bleibt mehr Zeit für die Feinanalyse, beispielsweise für Ansätze zu Vergleichsanalysen und Typenbildung. Für Fringer ist dies ein grosser Zugewinn. «Wer mehr Zeit zum Reflektieren und Vergleichen hat, kommt eher auf neue Erkenntnisse.»
KI übernimmt repetitive Aufgaben
So sieht es auch Rebecca Brauchli. «Die Rolle der Forschenden wird sich dahingehend verändern, dass mehr Fokus auf die Interpretation und kritische Bewertung der von KI gelieferten Ergebnisse gelegt wird und weniger auf die Datenanalyse», sagt sie und betont gleichzeitig: «Es ist aber weiterhin wichtig, dass die Forschenden die in ihrem Gebiet relevanten Analyseverfahren bestens kennen und in der Lage sind, deren Vor- und Nachteile abzuwägen.» Forschende würden zunehmend als Übersetzer:innen oder Bindeglied zwischen Technologie und menschlichen Bedürfnissen agieren und sicherstellen, dass der Einsatz von KI den ethischen und wissenschaftlichen Standards entspricht. «Kreativität, strategisches Denken und interdisziplinäre Zusammenarbeit werden an Bedeutung gewinnen, während repetitive Aufgaben stärker von KI übernommen werden.»
In der Lehre wird KI künftig einen stärkeren Einfluss auf schriftliche Leistungsnachweise haben. Daher sollten gemäss der beiden Expert:innen neue oder alternative Prüfungsformate entwickelt werden, die klassische und KI-basierte Methoden sinnvoll kombinieren. «Mündliche Prüfungen, Projektarbeiten und simulationsbasierte Aufgaben können Problemlösungsfähigkeiten, kritisches Denken und kreative Wissensanwendung besser abbilden», sagt Rebecca Brauchli. Zudem sei es essenziell, die Studierenden in der ethischen Bewertung von KI-Inhalten zu schulen. «Der Lehrfokus wird sich in Zukunft noch verstärkt auf praxisnahe wissenschaftliche Fragestellungen und ethische Verantwortung richten.» //