Für eine Reha,die Spass macht

Exergames fordern, motivieren und unterhalten. Die ZHAW will ihren Nutzen in der Physiotherapie bekannter machen. «Fachleute und Patient:innen sollten wissen, wie sie wirken und eingesetzt werden», sagt Eveline Graf, Professorin am Institut für Physiotherapie.

von Eveline Rutz

Wer sich am Knie verletzt hat, braucht Geduld. Neun bis zwölf Monate dauert etwa nach einem Kreuzbandriss die Rehabilitation, bei der Betroffene einzelne Bewegungen immer wieder üben müssen. Das Risiko, sich erneut zu verletzten, ist hoch. In eine virtuelle Welt einzutauchen, kann da hilfreich sein. «Exergames können langwierige Therapien optimal ergänzen», sagt Eveline Graf, Leiterin des Bewegungslabors am Institut für Physiotherapie (IPT). Exergames seien nicht nur unterhaltsam und motivierend, sondern ermöglichten es zudem, verschiedene Fähigkeiten gleichzeitig zu trainieren. Nutzer:innen würden körperlich und kognitiv herausgefordert: Sie müssten beispielsweise auf gewisse Reize reagieren und andere ignorieren. So trainierten sie Aufmerksamkeit und Reaktion. In einem herkömmlichen Setting sei es schwieriger, zusätzliche Aufgaben zu stellen, sagt Graf. «Die klassische Physiotherapie fokussiert stark auf physische Abläufe.»

Situationen, die nah am Alltag sind

Exergames können gerade in einer fortgeschrittenen Phase der Rehabilitation sinnvoll sein. Sie fordern Nutzer:innen heraus, physiotherapeutische Übungen korrekt auszuführen, auch wenn Unerwartetes geschieht. Sie kreieren Situationen und provozieren Bewegungen, die nah am Alltag sind. Damit können die Games die Rückkehr in den Sport erleichtern und möglicherweise die Gefahr erneuter Verletzungen reduzieren. «Sie bereiten Patient:innen auf diesen so wichtigen Übergang vor», sagt Eveline Graf.

Die ZHAW-Professorin und ihr Team haben ein Spiel für die Rehabilitation nach einem Kreuzbandriss mit entwickelt. Für «The Dome» haben sie mit dem Departement für Design der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) und der Sphery AG zusammengearbeitet. Von der Digitalisierungsinitiative der Zürcher Hochschulen (DIZH) sind sie finanziell unterstützt worden. «Kreuzbandrisse kommen häufig vor, sind schwer und erfordern mehrere Monate Physiotherapie», sagt Graf. Entsprechend gross sei das Bedürfnis, in der Behandlung dieser Verletzung über ein zusätzliches Werkzeug zu verfügen.

Games werden zielgerichtet eingesetzt

«The Dome» lässt einen virtuell in eine Stadt eintauchen. In steigendem Tempo geht es an modernen Häuserfronten vorbei. Mal steht man auf einem, mal auf zwei Beinen, mal muss man sich ducken, mal in die Höhe springen. Gleichzeitig gilt es, vorbeiziehende Punkte anzutippen, und schliesslich wechselnde Farbflächen zu erwischen. Die Anforderungen nehmen laufend zu – das spornt an und bringt ins Schwitzen. «Die Therapeut:innen bestimmen, wie anspruchsvoll und intensiv trainiert wird», betont Eveline Graf. Sie evaluierten, ob sich ein Game für eine Person eignet, passten die Einstellungen individuell an und überwachen das Training. «Das überlässt man nicht der Maschine.»

Trainiert wird in einem so genannten Exercube. Die Athlet:innen positionieren sich in der Mitte des würfelartigen Trainingsgeräts. Sie sind nun auf drei Seiten von hohen Wänden umgeben, auf die das Videospiel projiziert wird. Damit Kameras und Sensoren ihre Bewegungen erfassen können, tragen sie Tracker an den Hand- und Fussgelenken. Wie gut Nutzer:innen einzelne Übungen meistern, erfahren sie dank akustischen und optischen Signalen unmittelbar. Am Ende des Spiels zeigt ihnen der Exercube eine Zusammenfassung der erbrachten Leistung an. Anhand der Daten können Anpassungen vorgenommen und der Verlauf einer Therapie kann über einen längeren Zeitraum nachvollzogen werden. Wie Graf betont, werden auf dem Gerät keine sensiblen Informationen gespeichert. «Man kann anonym trainieren.»

Um «The Dome» zu entwickeln, sind im Bewegungslabor der ZHAW zahlreiche Messungen vorgenommen worden. Wie solche anonymisierten Bewegungsdaten nach dem Prinzip von «Open Research Data» öffentlich zugänglich gemacht werden können, wird im Projekt «MoveD» untersucht. Im Rahmen des laufenden Projekts haben sich Forschende des IPT gemeinsam mit dem Team von «ZHAW Services Forschungsdaten» sowie Schweizer Bewegungslaboren unter anderem mit Fragen des Datenschutzes und technischen Aspekten befasst und entsprechende Guidelines erarbeitet (siehe Zweittext «Daten sind zum Teilen da»). «Dank den Leitlinien sollen Labormessungen zugänglicher werden», sagt Projektleiterin Graf. Grosse, anonymisierte Datensätze ermöglichten es, neuen Fragestellungen nachzugehen.

Das Bewusstsein für Vorteile fördern

«The Dome» kann in einzelnen Kliniken, Praxen und beim Hersteller des Exercubes bereits genutzt werden. Der Kreis der Anwendenden ist allerdings noch überschaubar. Dies nicht zuletzt, weil dafür gewisse finanzielle Investitionen anfallen. «Günstigere Lösungen, die sich schneller verbreiten, wären sicher wünschenswert», räumt Graf ein. Einige Produkte seien auch als mobile Varianten erhältlich, die zu Hause eingesetzt werden könnten. «Exergames haben in der Sportrehabilitation enormes Potenzial, das bei Weitem noch nicht ausgeschöpft wird.» Es fehle sowohl im Gesundheitswesen als auch in der Bevölkerung an Know-how.

Um dies zu ändern, entwickeln Mitarbeitende der ZHAW und der ZHdK zurzeit unter anderem eine Website. Diese soll aktuelle Informationen zusammentragen und allgemein über die digitale Therapieform informieren. Das Projektteam konzipiert des Weiteren spezifische Workshops für einzelne Zielgruppen aus dem Gesundheitswesen und dem Bildungsbereich. Es tritt auf Messen sowie Kongressen auf und plant für 2025 einen öffentlichen Anlass. All diese Massnahmen sollen Interessierten die Möglichkeit geben, Exergames niederschwellig kennenzulernen und auszuprobieren. «Fachleute und Patient:innen sollten wissen, wie Exergaming wirkt und eingesetzt wird», sagt Eveline Graf. Sie sollten sich der Vorteile des video-unterstützten Trainierens bewusster werden. «The Dome» löse überwiegend positive Reaktionen aus, sagt die Bewegungswissenschaftlerin zufrieden. Das spielerische und unterhaltsame Training mache Spass. Es müsse allerdings professionell begleitet werden. «In der Rehabilitation gehören Exergames in die Hände von Fachleuten.» //

Vitamin G, S. 12-14

Magazin «Vitamin G – für Health Professionals mit Weitblick»


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