«DAS MENTALE IST ENTSCHEIDEND»

Daniela Eugster kommt in der Welt herum. Die Physiotherapeutin begleitet Spitzensportler in Trainingslager und an Wettkämpfe. Sie fiebert mit ihnen mit und hört ihnen zu, wenn es harzt.

VON EVELINE RUTZ

Kopfzerbrechen bereitet Daniela Eugster jeweils nur das Packen. Am meisten Zeit braucht sie für den Koffer mit den Bandagen, Tapes, Kühlbeuteln, Medikamenten, Crèmen und den Physioliegen. Hat die Sportphysiotherapeutin alles geplant, gekauft und verstaut, geniesst sie es jedoch, unterwegs zu sein. «Es reisst mich aus dem Alltag heraus.»
Die 31-Jährige verreist beruflich drei bis vier Wochen pro Jahr. Sie betreut unter anderem die Mountainbikerinnen der Schweizer Nationalmannschaft und die Nationalliga-A-Unihockeyaner Waldkirch-St.Gallen in Trainingslager und an Wettkämpfen. Sie verbringt viel Zeit mit den Teams und lernt einzelne Mitglieder auch von ihrer privaten Seite kennen. «Die Sportler sind manchmal froh, wenn sie jemandem ihre Sorgen mitteilen können», sagt Eugster. Sie vertrauten ihr teilweise Dinge an, die sie dem Trainer nicht sagten. «Ich komme den Menschen bei meiner Arbeit halt sehr nahe.»

Selbst Rückschläge erlebt

Die Thurgauerin, die 2011 an der ZHAW den Bachelor und zwei Jahre später den Weiterbildungslehrgang Sportphysiotherapie spt abgeschlossen hat, bringt viel Verständnis mit. Sie hat früher selbst Leistungssport betrieben: Sie war als Geräteturnerin, Mittelstreckenläuferin und Triathletin aktiv. Daher weiss sie zum Beispiel, was es heisst, durch eine Verletzung auf dem Weg nach oben gestoppt zu werden. Sie hat selbst erlebt, wie sich in einem solchen Moment der Blick auf die Welt verengen kann. «Da ist das Mentale entscheidend», sagt sie. Gerade jungen Leuten kann sie diesbezüglich etwas mitgeben.
Der intensive Kontakt in den Trainings kommt ihr an den Grossanlässen zugute. Sie kennt die körperlichen Schwachstellen der Sportler dann bereits und weiss, was diese von ihr erwarten. «Das beruhigt mich», sagt sie. Immerhin habe sie auch eine gewisse Verantwortung.

In unterschiedlichen Rollen im Einsatz

Letztes Jahr reiste Daniela Eugster mit der Schweizer Mountainbike-Nati an die Weltmeisterschaften nach Australien, wo Jolanda Neff und Nino Schurter Gold holten. In einem Dreier- Team war sie für 25 Athleten verantwortlich. Sie betreute einzelne Sportler vor und nach den Wettkämpfen physiotherapeutisch, hielt ihnen Eisbeutel bereit und arbeitete an Verpflegungsposten mit. «Ich erledige jeweils vieles, das eigentlich nichts mit meinem Beruf zu tun hat», sagt sie und berichtet von «langen, aber spannenden Tagen». Während eines anderen Rennens begleitete sie eine gestürzte Juniorin ins Spital. Da die Fahrerin minderjährig war, stand sie in engem Kontakt mit den Eltern. Sie vermittelte zwischen Ärzten und Familie und unterschrieb, was zu unterschreiben war. «Da hatte ich wieder eine ganz andere Rolle.»
Wie erfolgreich «ihre» Teams abschneiden, bekommt Daniela Eugster manchmal erst verzögert mit, so stark fokussiert sie auf einzelne Mountainbiker oder Unihockeyaner. «Zu wissen, wie eine Verletzung geschehen ist, kann für meine Arbeit hilfreich sein.» Auch von den Austragungsorten sieht die Physiotherapeutin wenig. Sie bewegt sich vor allem zwischen der Unterkunft und dem Trainings- beziehungsweise Wettkampfareal. Dennoch entdeckt sie viel Neues, lernt von den anwesenden Ärzten und tauscht sich mit Berufskollegen anderer Teams aus. «Das ist eine gute Abwechslung zur Arbeit im 30 Minuten-Takt in der Praxis.»
Seit ihrem Studienabschluss ist Daniela Eugster im Zentrum für Medizin und Sport Medbase beim Säntispark in Abtwil SG tätig. Ihr Arbeitgeber hat ihr die Engagements, die mit Auswärtseinsätzen verbunden sind, vermittelt. Er unterstützt sie, indem er bereit ist, immer wieder auf sie zu verzichten. Sie nimmt in dieser Zeit Ferien, unbezahlten Urlaub oder baut Überstunden ab.

WM in der Schweiz

Es sei spannend, sowohl mit Einzel- als auch mit Mannschaftssportlern zu arbeiten, sagt Eugster: «Sie ticken ganz unterschiedlich.» Erstere machen alles für den Tag X. Sie können sich nicht in einem Team verstecken und sind sich gewohnt, ihr Training selbst zu strukturieren. Übungen, die ihnen die Physiotherapeutin aufträgt, machen sie diszipliniert, während Mannschaftssportler eher mal kneifen.
In diesem Jahr freut sich die ZHAW-Absolventin besonders auf die Bike-WM Anfang September in der Lenzerheide. Zu Hause werde ein solcher Wettkampf sicher anders sein als im Ausland, vermutet sie. Sie hat 2016 an der Triathlon-EM in Genf den Medienrummel um Nicola Spirig miterlebt. «Das war schon extrem, wir mussten sie regelrecht abschirmen.» Durch ihre Arbeit kommt die Physiotherapeutin den Stars näher und sieht, was hinter den Erfolgen steckt. «Sie leisten Extremes, haben aber auch ihre Ängste und Sorgen.» //


MENSCHEN MIT BEEINTRÄCHTIGUNGEN FAHREN SKI

Gesundheitsfachleute betreuen nicht nur Spitzensportler unterwegs, sondern begleiten auch Menschen mit Krankheit oder Behinderung bei Aktivitäten ausserhalb des täglichen Lebensumfelds. So zum Beispiel Janet Curran Brooks, Ergotherapeutin und Dozentin an der Tufts University (USA), die an der diesjährigen Winter School des Departements Gesundheit ein Kooperationsprojekt ihrer Universität mit der Organisation für Behindertensport New England Disabled Sports vorstellte. Das Programm ermöglicht Menschen mit körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen das Skifahren mithilfe von angepasstem Equipment und speziell geschulten Instruktoren. Unter Letzteren sind regelmässig auch Ergotherapiestudierende der Tufts University, die ihr Praktikum absolvieren. Für Janet Curran Brooks eine Win-win-Situation: Die Studierenden bringen ihr ergotherapeutisches Fachwissen ein, etwa im Bereich Bewegungsanalyse und -kontrolle, Hilfsmittelanpassung und Zielformulierung. Gleichzeitig erleben sie bei den Projektteilnehmern und deren Familien, wie viel Selbstvertrauen und Lebensqualität eine Aktivität, die Freude bereitet, bewirken kann.

«Vitamin G», Seite 23


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