In der Pflege zeigt der Humor erstaunliche Effekte – etwa bei der Schmerztherapie. Doch nicht nur für Patient:innen, auch für Pflegefachpersonen kann Lachen eine wertvolle Ressource sein.
Von Denise Jeitziner
Anruf in der Notaufnahme des Spitals: Gleich werde ein Mann auf die Intensivstation eingeliefert, er sei in eine Schlägerei verwickelt gewesen. Und nun stecke ihm ein Messer im Kopf. Isabelle Koch und ihre Kolleg:innen auf der Intensivstation machten eilig alles bereit. Sie waren auf das Schlimmste gefasst, vermutlich würden sie das Opfer intubieren müssen. Die diplomierte Pflegefachfrau kann sich noch gut an die angespannten Minuten erinnern.
«Und dann ging der Lift auf. Aber statt auf einem Schragen zu liegen, lief der Mann mitsamt Messer im Kopf aus dem Lift und konnte überhaupt nicht verstehen, warum er ins Spital kommen musste», erzählt Isabelle Koch und lacht. «Er meinte, er habe ja nicht einmal Kopfschmerzen!» In jenem Moment sei es überhaupt nicht lustig gewesen, gleich anschliessend dafür umso mehr. «Es war eine so abstruse Situation! Wir nahmen ihm das Messer aus dem Kopf und dann ging er tatsächlich einfach wieder nach Hause.» Die Anspannung entlud sich später im Gelächter.
Galgenhumor hilft
Geschichten wie diese weiss die Luzernerin, die aktuell an der ZHAW einen CAS in gerontologischer Pflege absolviert, allerhand zu erzählen. In ihren über 20 Berufsjahren in der Geriatrie, auf der Intensivstation, der onkologischen Abteilung, im Hospiz oder im Pflegeheim hat sie viele absurd-komische Episoden erlebt. Da waren etwa die zwei dementen Frauen, die sich täglich stundenlang angeregt unterhielten – die eine sprach ausschliesslich Spanisch, die andere pflichtete ihr jeweils auf Mundart bei, obwohl sie kein Wort verstand. Da war der krebskranke Mann im Hospiz, der Isabelle Koch darüber aufklärte, dass Sterben nichts für Weicheier sei. Oder der Bauer mit dem halb abgetrennten Bein, der wissen wollte, ob er tags darauf wieder Traktor fahren könne.
Aus solchen Momenten zieht die Pflegeexpertin jeweils Kraft. «Ich habe gemerkt, dass mir das Lachen über solche Episoden hilft, herausfordernde Situationen besser auszuhalten und zu verarbeiten», erklärt sie und meint damit beispielsweise anstrengende Nachtdienste, in denen weder Zeit zum Trinken noch fürs WC bleibt. Oder Situationen, die Ohnmacht bei den Pflegenden und Verzweiflung bei den Patient:innen auslösen. Isabelle Kochs Taktik: Allem mit Fröhlichkeit und Humor begegnen – für ihren eigenen Gemütszustand und das Wohlbefinden der Patient:innen. «Es sind aber immer nur Situationen, über die ich lache, niemals Menschen», betont sie.
Lachen lindert Schmerzen
Die Hypothese, dass Lachen eine positive Wirkung auf die Gesundheit hat, stellte der amerikanische Journalist Norman Cousins bereits Ende der 1970er-Jahre auf. Nachdem bei ihm eine chronische Entzündung der Wirbelsäule diagnostiziert worden war und er gelesen hatte, dass sich ein betrübter Gemütszustand negativ auf die Gesundheit auswirkt, schloss er daraus, dass Lachen einen positiven Effekt haben könnte. Um seine These zu testen, liess er sich systematisch zum Lachen bringen – zum Beispiel von witzigen Büchern oder Filmen. Und stellte fest, dass er danach für eine Weile weniger Schmerzen hatte.
Seine Erkenntnisse hielt Norman Cousins im Buch «Anatomy of an Illness As Perceived by the Patient» fest; seither gilt er als Begründer der Lachtherapie. Von ihm stammen Aussagen wie «Jeder Patient trägt seinen eigenen Arzt in sich» oder «Lachen ist inneres Jogging». Cousins Theorie löste zahlreiche Studien aus. Inzwischen geht die Gelotologie, also die Lachforschung, unter anderem davon aus, dass beim Lachen das Immunsystem und die Atmung gestärkt, Schmerzen reduziert sowie Herz- und Kreislaufbeschwerden vorgebeugt werden. Auch könne Lachen bei Stress, Ängstlichkeit, Anspannung und Depressionssymptomen hilfreich sein.
Ernsthaftigkeit rückt in den Hintergrund
Laut der Psychologin und Dozentin Jennifer Hofmann von der Universität Zürich ist die medizinische Wirkung von Lachen auf den Körper zwar noch unzureichend nachgewiesen. Diesbezüglich sind also noch mehr wissenschaftliche Studien nötig. «Gut belegt sind aber unter anderem die positive Wirkung auf die Resilienz und die psychische Gesundheit sowie die sozialen Effekte», sagt Hofmann, die auch an der ZHAW unterrichtet.
Diese Erkenntnisse macht sich unter anderem die Rehaklinik Bad Zurzach im Kanton Aargau zunutze. Seit 1999 wird im dortigen Schmerzzentrum eine Humortherapie angeboten, um Patient:innen im Rehabilitationsprozess zu unterstützen. «Der therapeutische Humor hat eine positive, schmerzdistanzierende Wirkung», heisst es bei der Rehaklinik. Humor wirke wie eine positive Bewältigungsstrategie und helfe den Patient:innen, einen neuen Zugang zu und Umgang mit ihrer Krankheit zu finden. In akuten Krisensituationen lasse sich damit ebenfalls eine entspannende Wirkung erzielen.
«Humor ist nicht die eierlegende Wollmilchsau und kein Mittel für alles und jeden», sagt die ZHAW-Dozentin Jennifer Hofmann. Es komme auf die Person an, auf ihre Persönlichkeit und Stimmung, aber auch auf ihre Schmerzen und ihre Beziehung zu den Pflegenden. «Humor kann aber eine wichtige Ressource sein, auch für Pflegende, die Humor als Stärke haben.»
Das kann Isabelle Koch aus ihrer langjährigen Erfahrung bestätigen. «Am meisten gelacht habe ich während meiner Zeit im Hospiz.» Also dort, wo das Sterben und der Tod so präsent sind wie nirgendwo sonst. «Ich habe sehr viele positive Rückmeldungen von Leuten erhalten, die sagten: Endlich mal jemand, der aufgestellt ist. Die Situation ist ja schon traurig genug.» In erheiternden Situationen könne die Ernsthaftigkeit und Anspannung für einen Moment in den Hintergrund rücken. Es brauche jedoch ein feines Gespür dafür, ob Humor angebracht sei, sagt Koch. «Wenn ich merke, dass die Stimmung bei einer Patientin schlecht ist, passe ich mich natürlich an. Hier ist viel Intuition und Erfahrung nötig.»
Es gibt zwar Trainings für den Umgang mit Humor in der Pflege; auch Isabelle Koch nahm vor Jahren an einem entsprechenden Vortrag teil. Wirklich erlernen kann man Humor ihrer Meinung nach jedoch nicht. Entweder sei er einem gegeben oder nicht. «Viele Patient:innen sind aber auch schon dankbar und aufgestellter, wenn man einfach fröhlich ist», ist Isabelle Koch überzeugt. «Dafür muss man kein Witzrepertoire auf Lager haben.» //