DIGITALE SPIELFORMEN IN DER PATIENTENSCHULUNG

Behandlungsschritte selbst zu übernehmen oder das Leben umzustellen, ist weder für die Patienten noch für die Gesundheitsfachleute, die sie dabei betreuen, einfach. Digitale Medien bieten beiden Seiten neue Möglichkeiten.

VON JOSÉ SANTOS

Wenn eine Lehrerin einem Schüler zum x-ten Mal die Satzzeichen der direkten Rede erklärt und der Lernerfolg ausbleibt, ist dies zwar ärgerlich, aber nicht lebensbedrohend. Gefährlich wird es hingegen bei einem chronisch kranken Patienten, der nicht lernt, sich selbst eine Injektion zu verabreichen. Ist er zu wenig beharrlich oder wurden ihm die Fertigkeiten dazu nicht adäquat vermittelt? Die richtige Schulung kann Leben retten.

Allzeit verfügbares Wissen
In der Patientenedukation beraten, informieren, instruieren und stärken Gesundheitsfachleute Patientinnen und Patienten bei lebenswichtigen Verhaltensänderungen. Chronisch Kranke, beispielsweise Diabetiker, Personen mit Herzinsuffizienz oder COPD-Betroffene, müssen eine Reihe von Anpassungs- und Bewältigungsleistungen vollbringen, um belastende Symptome zu reduzieren und sich im Leben zu arrangieren. Eine gelingende Patientenedukationstärkt sie in ihrem Selbstmanagement und entlastet damit die Gesundheitsversorgung. Ist das anzuwendende Wissen zudem räumlich und zeitlich unabhängig verfügbar, steigen die Erfolgschancen für eine dauerhafte Verhaltensänderung. Hier kommen die Vorzüge von digitalen Medien ins Spiel.
«Digitale Medien bieten neue Spielformen in der Patientenedukation», sagt Sabin Bührer, Psychologin und Leiterin des MAS in Patienten- und Familienedukation an der ZHAW. «Ein Video zeigt, wie eine Übung für den Rücken korrekt ausgeführt wird, ein Podcast informiert über Prostatakrebs, eine App erinnert an den Insulinbedarf und eine videounterstützte Bedienungsanleitung in Form eines Screencasts erklärt, wie man eine Injektion verabreicht.» Eine weitere Anwendung sind spezifische Chatforen von Spitälern, in denen Betroffene in virtuellen Selbsthilfegruppen Erfahrungen mit ihrer Krankheit und deren Behandlung austauschen.

Digitale Medien für die Gesundheit
Auch im Weiterbildungskurs von Sabin Bührer entstehen konkrete Anwendungen für die Praxis, etwa Screencasts und Videos, die in den Kliniken der Kursteilnehmenden zum Einsatz kommen. Justine Bouille, Pflegefachperson am Paraplegiker- Zentrum Nottwil, entwickelte beispielsweise eine Videoanleitung zum schonungsvollen Knie-Transfer für die Umlagerung von Patienten. «Mit meinem Video werden Spitex-Mitarbeiterinnen instruiert, welche die Technik nicht kennen», sagt sie. «So verstehen sie, wie ein Knie- Transfer abläuft und welche Bewegungen wichtig sind, um Komplikationen wie Stürze, Hautschädigungen beim Patienten oder Verletzungen beim Pflegepersonal zu vermeiden.»
Digitale Medien eignen sich gut zur Vermittlung von in sich geschlossenen Behandlungen oder Routinetätigkeiten wie Verbandanlegen oder Blutdruckmessen. Justine Bouille merkt, dass digitale Schulungseinheiten in der Praxis gut ankommen: «Die Patienten sind in der Regel offen. Es ist aber wichtig, richtig einzuschätzen, welche Medien sich für welche Patienten eignen. Vielen helfen Videos, sich die Sache besser vorzustellen. Andere hören lieber einen Podcast oder lesen einen Instruktionsflyer.»
Auch international eröffnet digital vermitteltes Gesundheitswissen neue Perspektiven. In Entwicklungsländern oder Krisenherden fehlt es oft an medizinischer Versorgung. Ein Handy hat aber auch dort fast jeder. So bringt die Initiative «Medical Aid Films» Gesundheitsexpertinnen und -experten mit Filmemachern zusammen. Sie entwickeln gemeinsam universal verständliche Animationsfilme, die zum Beispiel Laien bei der Geburtshilfe vor Ort unterstützen.

Wunderwaffe Digitalisierung?
In der Schweiz sollen Spitalaufenthalte verkürzt und damit Kosten gespart werden. Können digitale Medien auch die Effizienz im Gesundheitswesen steigern? Vor dieser Schlussfolgerung warnt Sabin Bührer: «Sicher, der Einsatz von digitalen Medien in der Patientenedukation ist sinnvoll und das Potenzial riesig. Jeder besitzt heute ein Smartphone und kann damit ortsunabhängig lernen und üben. Aber die digitale Patientenedukation ersetzt nicht die persönliche Behandlung, Betreuung oder Beratung durch eine Fachperson.»
Für Sabin Bührer hat sich das Verständnis von Patientenedukation in den letzten 15 Jahren stark gewandelt. «Früher wurden den Patienten Informationen und Tipps abgegeben in der Erwartung, dass sie diese umsetzen und sich entsprechend verhalten. Heute geht es vielmehr um Beratung auf Augenhöhe und Shared Decision Making.» //

«Vitamin G», Seite 32-33


Interprofessioneller Weiterbildungskurs «Digitale Medien in der Patientenedukation»
Inhalte: Gestalterische und technische Grundlagen / Planung mediendidaktischer Angebote / Audio-Podcast, Screencast oder Video produzieren
Zielgruppe: Pflegefachpersonen, Ergo- und Physiotherapeuten/-innen, Hebammen
Umfang: 8 Tage à 7 Lektionen
Nächster Start: 18. Juli 2018

www.zhaw.ch/gesundheit/weiterbildung


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