Als Bottom-up-Initiative soll ClimateChange@ZHAW die Forschungszusammenarbeit rund um Themen des Klimawandels erleichtern. Mitinitiant Julien Anet erklärt im Interview, wie er sich das genau vorstellt.
Sie gehören neben anderen Forschenden zu den Initianten von ClimateChange@ZHAW – warum machen Sie sich dafür stark?
Julien Anet: Der Klimawandel gehört zu den dringendsten Herausforderungen, die es in den kommenden Jahrzehnten zu meistern gibt. Gleichzeitig ist die Adressierung dieser Herausforderung äusserst komplex, da verschiedenste Disziplinen ineinandergreifen müssen: Sei es, um die Gesellschaft zu unterstützen, damit diese sich an den Klimawandel anpassen kann, oder sei es, um neue Technologien durchzusetzen, um die Klimaerwärmung zu vermindern.
Ich bin überzeugt, dass die Fachhochschulen ein unverzichtbares Puzzlestück darstellen, da wir beispielsweise die Ingenieur:innen von morgen ausbilden und zudem angewandte Forschung in vielfältigen Themenfeldern betreiben. Interdisziplinäre Projekte können dank den vielen Kompetenzen ressourcenschonend bewältigt werden. So wurden in der Vergangenheit bereits zahlreiche Projekte im Bereich des Klimaschutzes durchgeführt: Sowohl intern als auch extern waren diese Aktivitäten allerdings nicht immer optimal sichtbar.
ClimateChange@ZHAW möchte nicht nur die Sichtbarkeit solcher Projekte erhöhen, sondern auch die Kollaboration innerhalb der ZHAW mittels verschiedener Aktivitäten unterstützen. Schliesslich möchten wir auch den Studierenden eine möglichst interdisziplinäre Arbeitsweise nahebringen.
Die ZHAW betreibt Klimaforschung – ist das nicht ein wenig dick aufgetragen?
Dies ist eine berechtigte Frage. Insbesondere in einer Zeit, während der von verschiedenen Seiten ein Klimaforschungs-Moratorium gefordert wird (siehe https://theconversation.com/scientists-call-for-a-moratorium-on-climate-change-research-until-governments-take-real-action-172690). Die grundlegenden Mechanismen sind seit 30 Jahren klar und wurden auch entsprechend kommuniziert: Leider ist in all der Zeit trotzdem viel zu wenig dagegen unternommen worden.
Die ZHAW soll daher auf keinen Fall weitere Grundlagenforschung zum Klimawandel betreiben. Das ist sowieso nicht die Aufgabe einer Fachhochschule. Die ZHAW kann aber zeitkritische, gesellschaftsrelevante Probleme angehen. Um nur einige zu nennen: Die Rolle der Umweltpsychologie in der Wissenschaftskommunikation, die Entwicklung zukünftiger Alternativen im Wintertourismus, einfach anwendbare Negativ-Emissionstechnologien in der Agronomie, zirkuläres Bauen alltäglich machen, die Optimierung der Kosten bei Emissionsreduktionsmassnahmen oder Hitzeminderungsmassnahmen im Städtebau.
Die Projektpartner von Fachhochschulen kommen aus der Privatwirtschaft, häufig aber auch aus Verwaltungseinheiten von Stadt-, Kantons- oder Bundesbehörden. Die Projektresultate der verschiedensten angewandten Klimaforschungsprojekte werden aufgrund kurzer Laufwege somit unmittelbar eingesetzt, was bei Minderungsmassnahmen des Klimawandels immens wichtig ist.
Was genau versprechen Sie sich davon, wenn die Klima-Fachleute an der ZHAW nun ihre Kräfte dank dieser Initiative bündeln?
Die Lösung der Klimakrise ist äusserst vielschichtig. Fragt man eine Energieforscherin, ist der Klimawandel hauptsächlich ein Problem des Energiehungers. Fragt man einen Agraringenieur, so ist der Klimawandel hauptsächlich ein Problem der Landnutzungsveränderung. Fragt man wiederum eine Umweltpsychologin, so ist das Klimaproblem grundsätzlich auf ein Verhaltensproblem der Menschheit zurückzuführen.
Sie sehen: die einzige Möglichkeit, die Klimakrise anzugehen, ist es, alle Disziplinen an einen Tisch zu bringen, und als forschende Person über den eigenen Tellerrand zu schauen. An der ZHAW gibt es glücklicherweise bereits gute Beispiele einer solchen interdisziplinären Zusammenarbeit, beispielsweise das ZERB.
Wir möchten diese Vernetzung mittels einer Kompetenzmatrix als Datenbank weiter ausbauen. Eine multidisziplinäre Herangehensweise von Forschungsprojekten ermöglicht es, potenzielle Fehlüberlegungen früh zu erkennen – einfach aus dem Grund, weil einzelne Forschende nur ein bestimmtes Fachgebiet abdecken können. Wenn eine Person aus dem technischen Fachbereich vom Wissen einer Person aus dem wirtschaftlichen Fachbereich profitieren kann, und dieses Wissen wiederum mit Kompetenzen aus der Verhaltensforschung komplettiert wird, entsteht für ein Projekt automatisch ein Mehrwert: Das daraus entstehende Produkt ist automatisch technisch, wirtschaftlich und gesellschaftlich optimiert worden.
Sie sprechen von einer Kompetenzmatrix – wie wenden die Forschenden diese Datenbank konkret an?
Lassen Sie mich ein Beispiel skizzieren: Dozentin A wird durch eine Behörde zu einem bestimmten klimarelevanten Thema kontaktiert. Sie erkennt früh, dass sich zwar gut 75% der notwendigen Expertise in ihrer Gruppe befindet. Für die restlichen 25% benötigt sie allerdings externe Unterstützung.
Bis anhin half die interne Suchfunktion nur bedingt. Viel eher profitiert die Dozentin von ihrem persönlichen Netzwerk, welches sie sich im Rahmen ihrer Anstellung an der ZHAW erarbeitet hatte. So kontaktiert Sie zuerst Dozent B, welcher ihr auch noch die Wissenschaftliche Mitarbeiterin C empfiehlt. Dass der neue PostDoc in Gruppe X allerdings noch geeigneter für diese restlichen 25% der Expertise gewesen wäre, ging hier aufgrund einer «Lücke» im Netzwerk unter.
Dies möchten wir vermeiden: Neu könnte die Dozentin von Anfang an in unserer Suchmaske die benötigten Kompetenzen eingeben. Ähnlich einer Suchmaschine wird unser Tool ihr die am besten geeigneten Expert:innen vorschlagen.
Und diese Datenbank ist dann auch für Forschende ausserhalb der ZHAW hilfreich?
Grundsätzlich ist das unser Ziel. Mit der Suchmaschine, die im Rahmen der Initiative ZHAW digital programmiert wird, müssen wir aber zunächst intern Erfahrungen sammeln, und sie dann Schritt für Schritt optimieren – wie das bei jeder neuen Produktentwicklung der Fall ist. Die Suchmaske wird nach dieser Pilotphase dann selbstverständlich auch für Forschende ausserhalb der ZHAW geöffnet.
Was für ein interdisziplinäres Projekt würden Sie sich persönlich wünschen?
Wenn ich mir Ostern und Weihnachten in einem wünschen könnte, dann wäre es ein Projekt, das die Planung einer realistischen energieeffizienten Gesellschaft angeht. Viel zu oft wurden in der Vergangenheit extreme Verhaltensänderungen als Lösungen des Klimaproblems vorgeschlagen. Natürlich – wenn die 1,5°C als Ziel erreicht werden sollen, dann müssen tiefgreifende Massnahmen getroffen werden, um jegliche Treibhausgasemissionen zu vermeiden. Allerdings zeigen zahlreiche Umfragen, dass unsere (westliche) Gesellschaft relativ preissensitiv ist und Veränderungen – z.B. der Erlass von neuen Verboten – gut überlegt erfolgen müssen.
Das Projekt sollte somit die Frage beantworten, wie ich nachhaltige Mobilität, energieeffizientes Wohnen, umweltschonende Arbeitsweise, und klimaschonende Ernährung so kombiniere, dass dies für die Mehrheit der Gesellschaft tragbar ist. Können wir in kleinen Schritten – im Rahmen eines «Geben und Nehmen»-Prinzips – unsere Gesellschaft zu einer klimafreundlicheren Lebensweise bewegen? Und, um diese vielleicht leicht deprimierende Frage gestellt zu haben: Ist es vielleicht sinnvoller, den Kampf um das Ziel 1,5°C aufzugeben und stattdessen ein leicht höheres, dafür realistischeres und vor allem gesellschaftsverträgliches Ziel anzustreben?