Inklusion ist alternativlos, findet Julia Vielle von der Stabsstelle Diversity. Im Interview erklärt sie, warum hindernisfreie Didaktik mehr Menschen angeht als man denkt.
Was für Hindernisse und Barrieren bestehen für Studierende an der ZHAW?
Julia Vielle: Grundsätzlich sehe ich drei grosse Themen: Die bauliche Beschaffenheit der Gebäude an allen unseren Standorten, die Zugänglichkeit aller digitalen Formate und Kanäle sowie die hindernisfreie Didaktik. Letztere ist allerdings nicht möglich ohne die ersten beiden Themen. Damit hindernisfrei gelehrt werden kann, müssen bereits die Räumlichkeiten und die digitalen Lehrmittel barrierefrei zugänglich sein.
Das sind die Grundlagen. Was braucht es weiter?
Julia Vielle: Hindernisfreie Didaktik muss auch in den Köpfen der Lehrenden stattfinden. Sie sollte stets mitgedacht werden. Beispielsweise ist bei der Erarbeitung der Lehrmittel auf eine klare Struktur zu achten, damit sie auch mit Hilfsmitteln wie Vorleseprogrammen kompatibel sind. Bei der Farbwahl braucht es genügend Kontraste, damit visuelle Unterschiede für alle gewährleistet sind. Es geht aber über die physischen Dinge hinaus auch um das eigene Verhalten. Berücksichtige ich beispielsweise bei Gruppenarbeiten die Bedürfnisse von Studierenden mit Autismus? Spreche ich als Lehrperson mehrere Sinne im Unterricht an, z.B. bei Grafiken? Drücke ich mich klar und strukturiert aus? Solche Aspekte schaffen übrigens für alle einen Mehrwert.
Ist es nicht eine grosse Herausforderung für Dozierende, all diesen Vorgaben gerecht zu werden?
Julia Vielle: Doch. Gerade deshalb braucht es klare Unterstützungsangebote für die Lehrenden. Als Stabsstelle Diversity wollen wir Mitarbeitende für das Thema sensibilisieren und dabei die grösstmögliche Unterstützung bieten. Wir haben dafür einige Angebote geschaffen: Es gibt den MOOC zur hindernisfreien Didaktik. Wir bieten Infoveranstaltungen und Beratungen an. Im Web gibt es Merkblätter, die einen Überblick über Behinderungsarten verschaffen. Man darf zudem nicht vergessen, dass der grösste Teil unserer Studierenden mit Behinderungen von Beeinträchtigungen betroffen ist, die äusserlich nicht sichtbar sind, wie zum Beispiel ADHS, Dyskalkulie oder Dyslexie.
Das heisst, Dozierende merken vielleicht gar nicht, dass sie Studierende mit Behinderung unterrichten?
Julia Vielle: Nicht alle Dozierenden wissen, wer beispielsweise einen Nachteilsausgleich aufgrund einer Behinderung hat. Und viele Studierende teilen aus Angst vor Stigmatisierung ihre Diagnosen den Dozierenden nicht mit. Insofern müssen Dozierende immer damit rechnen, vor Studierenden mit Behinderungen zu stehen. Die Massnahmen müssen aus diesem Grund nicht nur individuell, sondern auch strukturell umgesetzt werden.
Was für Erfahrungen habt ihr bisher mit dem neuen Beratungsangebot gemacht?
Julia Vielle: Wir prüfen derzeit, wie das Angebot noch präzisiert werden kann, so dass die Lehrenden möglichst konkret und niederschwellig in der Umsetzung einer hindernisfreien Lehre unterstützt werden. Dazu sind wir auch im Austausch mit dem Ressort Bildung, welches den Bedarf an hindernisfreien Inhalten auf Moodle feststellt und sich ebenfalls überlegt, wie man unsere Lehrenden unterstützen kann. Sehr gut kam unser Webinar zu Neurodiversität im Hochschulkontext an, das von rund 80 Personen besucht wurde. In der Beratung oder Weiterbildung zur Gestaltung von barrierefreien Dokumenten sehen wir viel Potenzial.
Mehr zum Beratungsangebot, dem neuen Informationsfilm sowie zu anderen wichtigen Angeboten für Lehrende und Studierende erfahren Sie auf der Website der Stabsstelle Diversity oder im ZHAW-Intranet.
Interview: Matthias Kleefoot