Die Zukunft der Baukultur liegt im Kreislauf, betont Adrian Kiesel, ZHAW-Alumni und Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut Konstruktives Entwerfen. Wie dieser Wandel konkret gestaltet werden kann, erläutert er in seinem Gastbeitrag.
Die Transformation der Bauindustrie von einem linearen zu einem zirkulären Modell zählt zu den zentralen Herausforderungen unserer Zeit. Angesichts des fortschreitenden Klimawandels, der Verknappung natürlicher Ressourcen, des steigenden Abfallaufkommens und des Verlusts an Biodiversität wird die Erhaltung bestehender Materialien und Ressourcen zunehmend unverzichtbar. Dieser Paradigmenwechsel hin zu einer widerstandsfähigeren und adaptiveren Bauweise fordert, dass Gebäude – insbesondere tragende Strukturen – nicht mehr als statische Endprodukte, sondern als temporäre Stationen in einem kontinuierlichen Materialkreislauf betrachtet werden.
Beyond Recycling
Im Kern dieses Wandels steht die Idee, Tragstrukturen nicht als Endprodukte zu betrachten, die bestenfalls dem Recycling zugeführt werden, sondern als temporäre Zustände in einem fortlaufenden Kreislauf von Nutzung und Wiedernutzung. Dieser Paradigmenwechsel verlangt von Bauunternehmen eine Neuausrichtung, weg von linearen Prozessen hin zu zirkulären. Zugleich müssen Planerinnen und Planer – insbesondere Architektinnen und Architekten – innovative Konstruktionsansätze entwickeln, die demontierbar und wiederverwendbar sind, ohne Abstriche bei Sicherheit, Stabilität oder Ästhetik zu machen.
Das Wiederverwenden von Bauteilen bietet im Gegensatz zum Recycling den Vorteil, dass die ursprüngliche Form, die mechanischen Eigenschaften und die chemisch-physikalischen Merkmale der Materialien erhalten bleiben. Dadurch wird die direkte Integration in neue Strukturen erleichtert, was zu einer signifikanten Einsparung von Ressourcen und Energie führt.
Abbildung 2: Schema zirkuläres Bauen im Kreislauf; Quelle: Stricker, E., Brandi, G., Sonderegger, A., Angst, M., & Buser, B., Massmünster, M., (2021). Bauteile wiederverwenden: Ein Kompendium zum zirkulären Bauen. S10
Den richtigen Kontext schaffen
Ein zentrales Element in diesem Wandel sind effiziente Wertschöpfungsketten für wiederverwendete Betonteile. Dies umfasst die sorgfältige Planung, beginnend bei der Identifizierung geeigneter Abbruchobjekte, über die schonende Demontage und Aufbereitung der Materialien bis hin zum Wiedereinsatz in neuen Bauprojekten. Der Erfolg dieser Ansätze hängt entscheidend davon ab, robuste Netzwerke zwischen Bauherren, Architektinnen und Architekten, Ingenieurinnen und Ingenieuren sowie Wiederverwendungsunternehmen zu etablieren, die durch gemeinsame Zielsetzungen und transparente Kommunikation getragen werden.
Der Wille, nachhaltige und kreislauffähige Strukturen zu schaffen, spart nicht nur erhebliche Mengen an grauer Energie, sondern steht auch im Einklang mit der Kreislaufwirtschaftsstrategie der Stadt Zürich sowie mehreren Zielen der nachhaltigen Entwicklung (SDGs) der Vereinten Nationen. Insbesondere wird auf „verantwortungsvolle Konsum- und Produktionsmuster“ (SDG 12) und „Massnahmen zum Klimaschutz“ (SDG 13) Bezug genommen. Durch die Reduktion von Treibhausgasemissionen und die Förderung der Ressourceneffizienz trägt dieser Ansatz zur nachhaltigen Entwicklung in den Bereichen Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt bei.
Beton wiederverwenden
Während seiner Studienzeit an der ZHAW hatte Adrian Kiesel die Möglichkeit, sich in seiner Masterarbeit am Institut für Konstruktives Entwerfen (IKE) intensiv mit der Wiederverwendung von Betonstrukturen zu beschäftigen. Unter dem Titel „Beton wiederverwenden! – Das Potenzial einer Wiederverwendung bereits vergossener Betonstrukturen für eine nachhaltige Baukultur“ plante er eine neue Produktionsstätte in Zürich Hard, die vollständig aus wiederverwendeten Betonstrukturen verschiedener Abrissobjekte in der Schweiz zusammengesetzt ist.
Durch den Einsatz von wiederverwendeten Bauteilen konnten in diesem Projekt 80 % der Treibhausgasemissionen eingespart werden – konkret 1688,86 Tonnen CO2-Äquivalent im Vergleich zu einem Neubau. Aufgrund der aktuell noch aufwendigen Rückbautechniken war das Gebäude allerdings um 19 % teurer als ein konventioneller Neubau. Mit dieser Arbeit konnte Adrian Kiesel die Jury des SIA Masterpreises 2022 überzeugen und erhielt eine Anerkennung.
Abbildung 3: Wiederverwendete Bauteile und ihre Verbindungen; Quelle: Adrian Kiesel
Abbildung 4: Wiederverwendete Bauteile und ihre Verbindungen; Quelle: Adrian Kiesel
Abbildung 5: Wiederverwendete Bauteile und ihre Verbindungen; Quelle: Adrian Kiesel
Nach Abschluss seines Studiums nutzte Adrian Kiesel die Gelegenheit, das Forschungsprojekt „Neue Kreisläufe für bestehende Betonstrukturen“ am Institut für Konstruktives Entwerfen (IKE) zu initiieren, das auf den Erkenntnissen seiner Masterarbeit aufbaut. Ziel des Projekts ist es, die technischen Herausforderungen der Wiederverwendung von Betonteilen durch innovative Ansätze zu bewältigen und Lösungen für die spezifischen Probleme im Zusammenhang mit ihrer Integration in neue Tragwerke zu finden.
Abbildung 6: Wiederverwendete Bauteile und ihre Verbindungen; Quelle: Adrian Kiesel
Abbildung 7: Wiederverwendete Bauteile und ihre Verbindungen; Quelle: Adrian Kiesel
Durch die Implementierung dieser Innovationen in praxistaugliche Baukonzepte kann die Bauindustrie erhebliche Fortschritte in Richtung Nachhaltigkeit erzielen. Im Auftrag der Fachstelle für Umweltgerechtes Bauen der Stadt Zürich begleitet das IKE im Rahmen dieses Forschungsprojekts den Neubau des städtischen Recyclingzentrums im Juch-Areal wissenschaftlich und stellt dem Planerteam seine umfangreiche Expertise in der Wiederverwendung von Bauteilen zur Verfügung.
Es ist klar, dass die Zukunft der Bauindustrie in der erfolgreichen Verknüpfung von Nachhaltigkeit, Innovation und interdisziplinärer Zusammenarbeit liegt. Mit unserer Forschung am IKE hoffen wir, einen bedeutenden Beitrag zu einer nachhaltigen und kreislauforientierten Bauweise leisten zu können.
Abbildung 8: Wiederverwendete Bauteile und ihre Verbindungen; Quelle: Adrian Kiesel
Text: Adrian Kiesel
Zum Weiterlesen – ZHAW Impact – Die Graue Energie Die graue Energie mitdenken: https://impact.zhaw.ch/de/artikel/die-graue-energie-mitdenken – SIA Masterpreis: https://www.espazium.ch/de/node/31361 |