Beitrag von Alessandro Maranta
Foto: intern
Die Digitalisierung wird uns als Personen, als Berufstätige und als Gesellschaft verändern. Dies scheint gewiss. Die Aufgabe der ZHAW als Hochschule ist es, zu einem verantwortungsvollen Umgang mit der Digitalisierung beizutragen. Die Studierenden sollen in ihrer Ausbildung die Kompetenzen erwerben, damit sie die digitalisierte Zukunft sowohl selbst bewältigen als auch verantwortungsvoll mitgestalten können. Für die individuelle Bewältigung der Digitalisierung reichen digitale Kompetenzen, die auf die optimale Nutzung dieser neuen technischen Möglichkeiten fokussieren. Für die verantwortungsvolle Mitgestaltung braucht es darüber hinaus Kompetenzen, um die gesellschaftliche Einbettung neuer digitaler Möglichkeiten zu verstehen.
Am Dienstag, 9. Mai 2017, luden der Rektor der ZHAW, Jean-Marc Piveteau, und der Direktor des Departements für Angewandte Psychologie, Christoph Steinebach, zur Tagung «Lehren und Lernen nah am Menschen – oder sind wir schon digital?» ein. Inputreferate und analoge Chats mit den Teilnehmenden widmeten sich den Herausforderungen für die ZHAW, Studierenden die Kompetenzen zu vermitteln, damit diese die digitalisierte Zukunft verantwortungsvoll mitgestalten können.
In diesem Blogbeitrag werde ich ausgehend von den Tagungsbeiträgen der Frage nachgehen, inwieweit digitale Kompetenzen den Schlüssel bereithalten, um die Herausforderungen der Digitalisierung zu identifizieren und Lösungen gestalten zu können. Ich werde zu diesem Zweck die Unterscheidung zwischen Digitalisierung als Prozessoptimierung und Digitalisierung als disruptive Technologien auf die Akteure selbst anwenden: Auf der einen Seite stehen Selbstoptimierer, die kompetent die digitale Technik nutzen und ihre Handlungsmöglichkeiten dadurch verbessern. Diesen Digitalisierungsgewinnern stehen Personen gegenüber, die als Digitalisierungsverlierer aus neu gestalteten Arbeits- oder Kommunikationsformen verdrängt werden. Klärungsbedarf besteht dann, welche Personen und deren Bedürfnisse massgeblich sein sollen, wenn die erforderlichen Kompetenzen für die Curricula bestimmt werden. Sollen sich digitale Kompetenzen zunächst an den Selbstoptimierern ausrichten und die Studierenden dahingehend gefördert werden, die digitalen Möglichkeiten optimal zu nutzen? Oder sollen auch Kompetenzen berücksichtigt werden, mit denen sich Menschen in den bisherigen Arbeits- und Kommunikationsformen orientiert haben – auch wenn diese Kompetenzen durch die Digitalisierung in den Hintergrund geraten? Ich selbst orientiere mich an meinem eigenen fachlichen Hintergrund. Ich stütze mich bei dieser Argumentation auf Ergebnisse aus der Wissenschafts- und Technikforschung. So untersucht Social Construction of Technology (SCOT) Technologieentwicklungen insbesondere anhand der Vorstellung, dass technische Möglichkeiten und deren angemessene Entwicklung von verschiedenen relevanten Gruppen unterschiedlich interpretiert werden, bis sich diese Entwicklungen nicht nur technisch, sondern auch gesellschaftlich neu stabilisiert haben.
In diesem Sinn kann Innovation nur durch Verbindung von neuen Ideen mit bestehenden Strukturen erfolgreich sein: Innovatives Handeln beruht auf der Verbindung von Neuem und Altem. Darüber hinaus greife ich auf Ergebnisse aus der politischen Theorie zurück, die gezeigt haben, dass gesellschaftliche Konflikte rund um industrielle Revolutionen Kämpfe um Status und Anerkennung sind (namentlich die Überlegungen von Axel Honneth zu einer Philosophie der Anerkennung – beispielsweise in einem Interview in der Sternstunde Philosophie). Aus diesem Grund werde ich die Argumentation von digitalen Kompetenzen für Selbstoptimierer und vermutete Gewinner der Digitalisierung ergänzen und den Blick auf die vermeintlichen Verlierer der Digitalisierung erweitern. Damit will ich deutlich machen, dass es für die verantwortungsvolle Mitgestaltung auch Kompetenzen braucht, um die gesellschaftliche Einbettung neuer digitaler Möglichkeiten zu verstehen. Dann wird sich meines Erachtens auch zeigen, dass die Rede von Digitalisierungsgewinnern und –verlierern zu einfach ist. Denn eine solche Rhetorik ist gemäss SCOT typisch für die Auseinandersetzungen unter den relevanten Gruppen darüber, welches die angemessene Entwicklung für die in der Gegenwart herbeigeredete Zukunft ist. Die tatsächliche Zukunft wird die technischen Möglichkeiten der Digitalisierung in vielfältiger Weise gesellschaftlich umgeformt haben. Ich meine: Die ZHAW sollte ihre Studierenden darauf vorbereiten, derartige transformative Prozesse kompetent mitzugestalten. Die Studierenden sollten am Beispiel der Digitalisierung verstehen lernen, was es für unsere Gesellschaft mit in Europa verankerten Traditionen und Institutionen bedeutet, die digitale Revolution zu verarbeiten (voilà ein Beispiel zur Umsetzung der drei Ziele der Hochschulstrategie 2015-2025 der ZHAW, das jeder für sich in seinem eigenen Fachgebiet durchdenken und damit präzisieren mag).
Die Fortsetzung dieses Rückblicks finden Sie hier.
Beitrag von Alessandro Maranta