Katja Mai beschäftigt sich seit Jahren mit maschineller Übersetzung. Sie leitet im Übersetzungsdienst der Europäischen Kommmission ein Experimentier-Lab zum Einsatz von Sprachtechnologien. In ihrem Gastbeitrag berichtet sie über ihre Erfahrungen mit maschineller Übersetzung und „künstlicher Intelligenz“ und darüber, welche Wünsche sie an „intelligente Übersetzungsmaschinen“ hat.
von Katja Mai, Übersetzerin bei der Europäischen Kommission in Brüssel.
Als Übersetzerin fand ich es immer schon spannend, zu entdecken, welche Möglichkeiten sich durch die neuen Technologien in unserem Beruf eröffnen. Mit dieser Neugier entstand auch der Wunsch, diesen Wandel aktiv zu begleiten und wenn irgend möglich auch mitzuprägen. Da kam mir vor vier Jahren das Angebot, in unserem Übersetzungsdienst mit einem kleinen Team ein “Lab” – sprich einen offenen Raum für Initiativen im Bereich Sprachtechnologie – einzurichten, gerade recht. Hier bieten wir einen Platz zum Experimentieren und Entdecken, der von unseren Kolleginnen und Kollegen rege genutzt wird, um auszuprobieren, wie wir unsere CAT-Toolbox noch weiter verbessern können.
Möglichkeiten und Grenzen des Übersetzungs-Recyclings
Schon seit Jahren bekommen wir den technologischen Wandel in unserem Arbeitsalltag deutlich zu spüren und vieles hat sich verändert: Da ist zum einen die Unterstützung durch unsere interne “Übersetzungs-Recycling-Maschine” eTranslation (unsere interne neuronale MÜ) mittlerweile ein wichtiger Faktor. Bei vielen Texten schalten wir die MÜ dazu – als Ergänzung zu anderen Ressourcen wie Übersetzungsspeicher und Termbanken. Dabei wäge ich immer je nach Textart ab, ob sich die Verwendung der MÜ lohnt oder ob ich lieber auf sie verzichten sollte. So ist die MÜ bei schwierigen Rechtstexten oder Texten, bei denen es viele Vorläufer gibt, deren Terminologie genau einzuhalten ist, oft weniger gut geeignet. Andererseits bekommen wir immer weniger Texte zu übersetzen, die komplett neu zu bearbeiten sind – meistens gibt es schon bestehende „Versatzstücke“, die wir allein schon aus Gründen der Kohärenz übernehmen müssen, wir haben immer mehr Möglichkeiten, in bestehendem Material zu suchen und zu filtern, Terminologie zu extrahieren, zusammenzustellen und zu überprüfen.
Maschinelle Übersetzung fordert neue Identität
Dabei finde ich es wichtig, klar zu sehen, dass dieser Wandel nicht nur neue Arbeitsweisen, sondern eine völlige Neuausrichtung und damit auch ein Verabschieden von unserem bisherigen Selbstverständnis als Übersetzende bedeutet. Für manche beinhaltet dies auch einen Ablösungsprozess: Manches, das Teil unserer Identität war, wie z. B. das Einbringen persönlicher Stärken, ob geschicktes Formulieren oder ein besonders gutes Gedächtnis, wird nun nicht mehr – zumindest nicht in gleichem Maße – verlangt und letztlich auch nicht mehr gepflegt.
Als Menschen denken wir immer mit
Wie sieht es vor dem Hintergrund dieses digitalen Wandels nun aus mit unserem Verhältnis zur Technik? Was können wir als Menschen zu dem Mix und der Begegnung zwischen Mensch und Maschine beisteuern, und was wird uns “die Maschine” dabei nicht abnehmen können? Ich denke hier vor allem an den kritischen Blick, die Intention, unsere Wünsche und Vorlieben, die Freude am Schaffen und Geschaffenen und nicht zuletzt an die typisch menschlichen Eigenschaften Humor und Spaß an Vielschichtigkeit. Auch wenn die Ergebnisse der automatisierten Übersetzung – insbesondere der NMT – je nach Sprachkombination oft gut brauchbar bis ausgezeichnet sind, bringen sie uns doch noch oft zum Lachen. Hier eines meiner Lieblingsbeispiele einer Übersetzung aus dem Englischen: Insgesamt waren 20,5 % der von den Parteien nominierten Parlamentskandidaten Frauen, doch da nur 17,3 % der Parlamentsmitglieder an der Spitze der Partei standen, sind Frauen Frauen.*
*Im englischen Original: Overall, 20,5% of party-nominated parliamentary candidates were female, but since few were placed high on the party lists only 17,3% of Members of Parliament are women.
Als Menschen denken wir beim Lesen (hoffentlich!) automatisch mit und integrieren Sinn, Weltwissen und Logik – vor allem auch über die Segmentebene hinaus: Wir haben den gesamten Text im Blick und uns fallen inhaltliche Widersprüche und sprachliche Inkohärenzen auf. Damit bieten wir übrigens auch einen geschätzten Dienst für die Verfasser: Häufig tragen unsere Nachfragen und unser Feedback dazu bei, die Originaltexte noch ein Stück zu verbessern.
Auch Ironie und sprachliches Feingefühl habe ich bei der Maschine – trotz künstlicher “Intelligenz” – bisher noch nicht entdecken können. Und zwischen den Zeilen lesen kann sie auch noch nicht. Also können wir uns gut ergänzen – und als Mensch sorgen wir damit für die wichtige Feineinstellung je nach Kontext und Adressatenkreis.
Wünsche an die intelligente Maschine
Was ich mir von “der intelligenten Maschine” als Nächstes wünsche? Eine schlaue und präzise “Röntgenaufnahme” der Originaltexte in ihrer gesamten Länge. Bitte Einzeltexte oder Text-Pakete einmal auf Themen scannen (zum Beispiel bei längeren Texten mit verschiedenen Kapiteln), auf neue Terminologie und sprachliche Komplexität, einschließlich zusammenhängender bzw. ähnlicher Passagen, und die Ergebnisse farblich abgestuft, visuell übersichtlich im Text veranschaulichen – damit wir so den Arbeitsaufwand bei größeren Projekten möglichst korrekt einschätzen und die Arbeit sinnvoll auf die Übersetzenden, z. B. nach ihrer Fachexpertise, aufteilen können. Dies böte eine gute Ergänzung zu den bisher verfügbaren arithmetischen Informationen zu Textvolumen und match rates.
„Empower the user“: Ich wünsche mir, dass wir uns die Chancen der digitalen Anwendungen zu eigen machen statt „die Maschine“ als Konkurrenz zu sehen. Der technische Wandel bietet uns neue Möglichkeiten der Arbeitsgestaltung, die wir kreativ nutzen können und sollten: Wir sind es, die denken und lenken und uns die Maschinen bauen, die wir brauchen.
Die Expertin für Sprachtechnologie, Katja Mai, hat das IUED Institut für Übersetzen und Dolmetschen im Rahmen eines internationalen Forschungs- und Praxisaustauschs besucht, um mit Studierenden des Masters Fachübersetzen unter anderem über die Möglichkeiten und Grenzen maschineller Übersetzung zu diskutieren. Umfassendes Wissen im Bereich der neuronalen maschinellen Übersetzung ist integraler Bestandteil der Ausbildung zukünftiger Fachübersetzerinnen und -übersetzer am IUED.
Nächster Info-Termin: 4. März 2020, 18 Uhr, ZHAW Angewandte Linguistik, Winterthur
- NMT, post-editing and evolving translator profiles
- Post-editing matters!
- «Den Menschen wird es immer brauchen bei Übersetzungen»
Im Master Fachübersetzen, einer Vertiefung des Masters Angewandte Linguistik, bildet das IUED Institut für Übersetzen und Dolmetschen der ZHAW ExpertInnen für die professionelle Sprachmittlung aus. Die Studierenden wählen zwischen den Schwerpunkten:
- Fachtextübersetzen
- Übersetzungsmanagement
- Barrierefreie Kommunikation / Audiovisuelles Übersetzen
Übersetzungsmanagement und Barrierefreie Kommunikation / Audiovisuelles Übersetzen können mit zwei Studiensprachen, d.h. mit der Grundsprache und einer Fremdsprache, studiert werden (Sprachkombination AC), Fachtextübersetzen mit mindestens drei Studiensprachen (Sprachkombination ACC).
Dass die maschinelle Übersetzung an ihre Grenzen kommt, wenn es um komplexere Rechtstexte geht, ist richtig. Auch bestimmte Redensarten werden oftmals Wort für Wort übersetzt, sodass die eigentliche Botschaft dahinter für den jeweils Anderssprachigen nicht ersichtlich wird. Wichtige Dokumente wie Urkunden sollten daher lieber einem professionellen Übersetzungsbüro überlassen werden.