Die Einwohnerkontrolle ist die erste Anlaufstelle für Menschen aus dem Ausland. Diego Serrano ist es wichtig, ihnen verständnisvoll zu begegnen. Dabei hilft ihm sein ZHAW-Studium in Angewandten Sprachen.
von Andrea Söldi, freie Journalistin aus Winterthur
In Sachen Fremdsprachen hatte Diego Serrano bereits einen Heimvorteil: Als Sohn einer eingewanderten Familie aus Spanien wurde ihm das Spanisch in die Wiege gelegt. Später lernte der Winterthurer Italienisch, Französisch und Englisch. Heute kann er sich in fünf Sprachen fliessend verständigen. «In meinem Job habe ich jeden Tag Gelegenheit, meine Sprachkenntnisse anzuwenden», freut sich der Leiter Publikumsdienste der Einwohnerkontrolle Winterthur. «Wir bedienen eine grosse Vielfalt an Kunden aus verschiedensten Ländern.» Während Schweizer die meisten Geschäfte heute online erledigen können, müssen neu zugewanderte Ausländer persönlich am Schalter erscheinen. Zum Beispiel, um eine Aufenthaltsbewilligung zu beantragen. Viele von ihnen sprechen zu diesem Zeitpunkt noch kaum Deutsch. Insgesamt decken die sieben Mitglieder des Schalterteams elf Sprachen ab: Neben Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch auch Portugiesisch, Türkisch, Albanisch, Griechisch, Russisch und Arabisch.
Anspruchsvolle Aufgabe
Für die anspruchsvolle Aufgabe qualifizierte sich Serrano durch das Bachelor-Studium Angewandte Sprachen mit Vertiefung Mehrsprachige Kommunikation an der ZHAW, das er 2013 abgeschlossen hat. «Mein Traumjob wäre das Untertiteln von Filmen gewesen», sagt der 36-Jährige und lächelt. Doch er habe bald gemerkt, dass die Berufsaussichten in diesem Bereich nicht rosig sind. Wie bereits während des Studiums arbeitete er nach dem Abschluss zunächst im Weinhandel.
Von der Vakanz auf der Einwohnerkontrolle, wo der gelernte Kaufmann bereits früher gearbeitet hatte, erfuhr er von ehemaligen Arbeitskollegen. «Die Berufsaussichten nach dem Studiengang sind nicht so eindeutig», weiss Serrano. Es handle sich aber um eine solide Basisausbildung, die viele Möglichkeiten biete. Man müsse sich seiner Talente und Interessen bewusst werden und Netzwerke nutzen. Hilfreich können auch die studienspezifischen Alumni-Vereinigungen sein.
Manchmal wird es emotional
Anfang 2015 trat Serrano seine neue Stelle an. Zu seinen ersten Aufgaben gehörte die Mitarbeit beim Umzug in den Superblock im Sulzerareal, wo die Stadt Winterthur damals einen Grossteil ihrer Verwaltung konzentrierte. Die Raumverhältnisse seien hier viel geeigneter als am früheren Standort, findet der Teamleiter. Vor allem gewähren die voneinander abgetrennten Schalterkabinen wesentlich mehr Diskretion. «Wir haben es manchmal mit tragischen Schicksalen zu tun», erklärt Serrano. Wenn jemand etwa keinen festen Wohnsitz angeben kann, erhält er keine Aufenthaltsbewilligung und kann somit auch kein Bankkonto eröffnen, das er dem Arbeitgeber für den Lohn angeben kann. Folglich fehlt auch das Geld für eine Wohnung – ein Teufelskreislauf. Wenn Kunden ihre Situation beschreiben und ihre Anliegen vorbringen, hören er und seine Teammitglieder gut zu und versuchen, im Rahmen des rechtlichen Handlungsspielraums pragmatische Lösungen zu finden. «Die Dargebotene Hand können wir aber nicht spielen», sagt Serrano.
Manchmal würden Kunden auch laut, zum Beispiel wegen anfallender Gebühren. Für bedrohliche Situationen wurde an den Schaltern ein Notfallknopf installiert. Gebraucht wurde er aber noch nie. Mit einer geschickten Kommunikation sei es bisher immer gelungen, erhitzte Gemüter zu beruhigen, erzählt Serrano. Für einen friedlichen Umgang spielten auch nonverbale Elemente wie Mimik und Gestik eine bedeutende Rolle, ist er sich bewusst. Dies versucht er stets auch seinen Mitarbeitenden weiterzugeben. «Scheinbare Kleinigkeiten, wie etwa den Augenkontakt mit dem Kunden suchen statt den Blick auf den Bildschirm richten, können einen grossen Unterschied ausmachen.» Zudem hat Serrano an der ZHAW einiges gelernt darüber, wie man Menschen aus anderen Kulturen am besten begegnet. Die Kundschaft kommt aus allen Teilen der Welt – rund 150 Nationen sind in Winterthur vertreten. Und sie stammt aus verschiedenen sozialen Schichten: vom Asylbewerber, der seine Aufenthaltsgenehmigung ausdehnen will, bis zum Konzernchef einer international tätigen Firma, der seine Familie in die Schweiz bringen möchte.
Ausgehtipps gratis inklusive
Auch die ZHAW zieht jährlich Hunderte von Austauschstudierenden nach Winterthur. Sie müssen sich bei der Stadtverwaltung anmelden und eine Kurzaufenthaltsbewilligung beantragen. Aufgrund seines Erasmussemesters während des Studiums im spanischen Salamanca hat Serrano Verständnis für ihre Lage. «Gerne komme ich mit dieser Kundschaft ins Gespräch und gebe auch Ausgehtipps», sagt der kommunikative junge Mann. Obwohl er zeitlebens in der Schweiz gelebt hat, schimmert das südländische Temperament noch ein wenig durch. In seinem Job seien aber typisch schweizerische Tugenden wie etwa Genauigkeit ebenfalls extrem wichtig, betont der Secondo. «Wenn wir einen Fehler machen, entsteht ein langer Rattenschwanz von Problemen.» Die Einwohnerkontrolle ist die erste Anlaufstelle, welche die Daten aufnimmt; unter anderem amtiert sie als Schnittstelle zum kantonalen Migrationsamt.
Für ein besseres Verständnis der Rechtslage beim Thema Migration innerhalb der EU ist Serrano das begonnene Masterstudium in Europastudien an der Universität Fribourg äusserst hilfreich. Fribourg verlangt von Fachhochschulabgängern lediglich einen Mehraufwand von 30 ECTS, bei den meisten anderen Hochschulen liegen die Hürden höher. In Seminararbeiten setzte er sich etwa mit dem Freizügigkeitsabkommen, der Entstehungsgeschichte der EU oder den Verhältnissen in der Ukraine und Georgien auseinander. Auch die Masterarbeit, die demnächst ansteht, will er einem Thema widmen, das ihm beruflich von Nutzen ist. Konkrete Ideen hat er aber noch nicht.
Weiterbildung im Teilzeitmodus
Der anspruchsvolle Vollzeitjob und die Weiterbildung – seit 2015 im Teilzeitmodus – nehmen Diego Serrano zeitlich stark in Anspruch. Zum Ausgleich spielt er Volleyball oder fährt Ski. Viel Zeit für andere Aktivitäten bleibe ihm momentan nicht, bedauert er. Sobald er den Mastertitel in der Tasche hat, möchte er aber wieder mehr reisen, um andere Kulturen auch vor Ort zu erleben. Sein nächstes Ziel ist Lateinamerika. Verständigungsschwierigkeiten wird er dort sicher keine haben.
Dieser Beitrag wurde im Hochschulmagazin ZHAW-Impact Nr. 42 erstveröffentlicht. Danke ZHAW-Impact für die Erlaubnis zur Zweitveröffentlichung.