Generative KI und maschinelle Übersetzung fordern Sprachexpert:innen heraus. In der Bundesverwaltung ist das nicht anders. Braucht es also bald keine Übersetzer:innen mehr? Doch, sehr wohl, meint Eléonore Feuz, Leiterin der Sprachdienste des Eidgenössischen Finanzdepartements. Übersetzer:innen haben genau die richtigen Kompetenzen für jede Art von mehrsprachiger Kommunikation. Im Interview spricht sie über die Veränderungen beim Übersetzen, die Herausforderungen durch KI und die Kompetenzen und Perspektiven mehrsprachiger Kommunikationsprofis.
Autorin: Christa Stocker
Die Sprachdienste des Eidgenössischen Finanzdepartements übersetzen in einem Team von rund 50 Mitarbeitenden Fachtexte aus verschiedenen Bereichen, unter anderem zu Finanzen, Zoll und Steuern. Das verleiht der Arbeit eine starke internationale Komponente. Die Sprachdienste übersetzen deshalb nicht nur in die Amtssprachen Französisch, Italienisch und Deutsch, sondern vieles auch ins Englische. Die Themenvielfalt ist riesig. Die Übersetzer:innen haben dabei den Auftrag, die Qualität von Texten sicherzustellen.
Dazu sind sie – neben ihren sprachlichen Fähigkeiten – auf vielfältige Kompetenzen angewiesen: Kenntnis der Gesetzeslage, der Terminologie, der notwendigen Sprachtechnologien.
Eléonore Feuz, Sie leiten die Sprachdienste des Eidgenössischen Finanzdepartements. Wie hat sich die Arbeit der Übersetzenden durch die Entwicklungen in der Sprachtechnologie verändert?
Eléonore Feuz: Übersetzungssoftware, sprich CAT-Tools [CAT: Computer aided translation], sind nicht neu. Diese verwenden wir seit Jahrzehnten. Vor ein paar Jahren wurde für alle Sprachdienste der Bundesverwaltung das Übersetzungstool Transit eingeführt. Seither pflegen wir einen intensiven Austausch zwischen den Departementen, um die Synergien der gemeinsamen Verwendung zu nutzen.
Ausserdem besitzt die Bundesverwaltung DeepL Pro-Lizenzen für alle Mitarbeitenden.
Für uns in den Sprachdiensten ist DeepL einfach ein Tool mehr, das wir gezielt einsetzen, wenn es Sinn macht. Je nach Textart unterstützt maschinelle Übersetzung die Qualität und die Effizienz, teilweise aber auch nicht. Die Übersetzer:innen sind entsprechend ausgebildet. Sie haben die Expertise bei der Wahl der richtigen Tools und dafür, wie sie diese einsetzen, damit die Qualität stimmt.
Wozu wird DeepL in der Bundesverwaltung sonst verwendet?
Das Arbeitsumfeld in der Bundesverwaltung ist mehrsprachig, bei allen Mitarbeitenden. DeepL wird deshalb auch ausserhalb der Sprachdienste sehr rege genutzt, um im Alltag und in Projekten zusammenzuarbeiten. Es werden Millionen von Seiten maschinell übersetzt, um Texte besser zu verstehen und schneller zu sein. Diese Texte sind aber nicht für die Publikation bestimmt.
Haben sich dadurch die Anforderungen an die Sprachkompetenzen für Bundesangestellte verändert?
Nein. Die Anforderungen an die Sprachkompetenzen sind in der Bundesverwaltung dieselben geblieben: Mitarbeitende brauchen gute Kenntnisse zweier Amtssprachen, Kader ausserdem passive Kenntnisse einer dritten Amtssprache. Je nach Stelle sind zudem Englischkenntnisse erforderlich.
Wie sieht es mit der Auftragslage für die Sprachdienste aus?
Generell gab es in den letzten Jahren immer mehr zu übersetzen. Es ist nicht so, dass man mit DeepL dachte: «Ah ja, die Übersetzer:innen braucht man jetzt nicht mehr.»
Für Texte, die veröffentlicht werden, sind immer die Sprachdienste oder die Fachspezialist:innen verantwortlich. Natürlich übersetzen sie auch mit Hilfe von Tools. Aber immer sorgen Menschen für die notwendige Qualität. Wir entscheiden, welche Tools wir einsetzen und wie wir zum besten Ergebnis kommen. Sprachtechnologien helfen uns, die grosse Menge an Text zu bewältigen.
Was sind Texte, für die sich der Einsatz lohnt? Wann verzichten die Sprachdienste auf Übersetzungstools und generative KI?
Es gibt bestimmte Arten von Texten, für die Tools nicht zulässig sind: vertrauliche Texte, sensible Texte, Texte mit Personendaten usw. Ausserdem verzichten wir bei der Gesetzgebung auf den Einsatz von KI. Hier können Tools für Ideen nützlich sein, aber das sind dann eher CAT-Tools.
Wenn wir hingegen Texte übersetzen, für die es weniger formelle Vorgaben gibt, kann sich der Einsatz lohnen – zum Beispiel zur Unterstützung der eigenen Kreativität. Und wir nutzen KI und maschinelle Übersetzung für alles, was schnell gehen muss oder bei dem die Lebensdauer eher kurz ist.
Wo sehen Sie die Herausforderungen beim Übersetzen?
Die Herausforderungen liegen ganz klar im Bereich der KI.
- Viele Auftraggeber:innen erwarten, dass alles schnell geht: Wenn DeepL Tausende von Seiten in einem Klick übersetzen kann, dann ist vielen nicht mehr klar, warum sie ein paar Tage auf ihre Übersetzung warten müssen.
- Eine wichtige Aufgabe von Übersetzer:innen ist deshalb die Sensibilisierung: Was ist Übersetzung? Wie funktioniert sie? Welche Qualität braucht es in welchem Kontext? usw. Es braucht noch viel Aufklärungsarbeit. Die Aufgaben von Übersetzer:innen waren vermutlich auch bisher nicht allen klar. Seit sie selbst maschinelle Übersetzung nutzen, haben viele jedoch das Gefühl, sie wissen, was Übersetzung ist. So einfach ist es dann aber doch nicht.
- Übersetzer:innen in der Bundesverwaltung produzieren nicht nur Texte, die irgendwo in einer Broschüre oder im Internet landen. Sie leisten auch einen Beitrag zur Mehrsprachigkeit der Schweiz. Deshalb darf nicht eine Sprachversion weniger gut sein als die andere. Das wissen wir natürlich. Im Alltagsstress wird das von anderen aber manchmal vergessen.
- Eine weitere Herausforderung auch für uns in den Sprachdiensten ist, wie wir generative KI und Übersetzungstools so einsetzen, dass sie für die Arbeitseffizienz und die Qualität etwas bringen.
- Und schliesslich müssen wir uns die Frage stellen, wie wir uns in einem Berufsfeld bewegen, das sich im Umbruch befindet: Wie organisieren wir unsere Arbeit? Wie arbeiten wir zusammen? Wie kommunizieren wir? Welche Kompetenzen brauchen Übersetzer:innen noch immer? Welche neuen Kompetenzen brauchen sie?
Das sind alles grosse Herausforderungen. Es gibt viel Gestaltungsraum. Das ist sehr spannend, weil man sich einbringen und die Entwicklung mitprägen kann.
Welche Kompetenzen brauchen Übersetzer:innen also heute und in Zukunft?
- Die wichtigsten Kompetenzen sind hervorragende redaktionelle Fähigkeiten in der Erstsprache: Man muss wirklich gut schreiben können.
- Und man muss verstehen, was zu übersetzen ist. Dafür muss man die anderen Sprachen sehr gut beherrschen.
- Da wir Fachthemen übersetzen, die nicht immer ganz einfach sind, muss man neugierig sein und dazulernen wollen.
- Zudem braucht es Teamorientierung: Man hat vielleicht das Gefühl, wir seien Einzelgänger:innen, die am liebsten alleine arbeiten. Das Arbeiten im Team gewinnt aber immer mehr an Bedeutung, zum Beispiel um gemeinsam Lösungen zu erarbeiten, sowohl was Übersetzungen als auch Arbeitsabläufe angeht.
- Auch werden die Kommunikationsfähigkeiten wichtiger. Der Austausch mit unseren Auftraggeber:innen kann sehr komplex sein. Zum Beispiel, wenn wir einen Text nicht gut verstehen und deshalb nicht eindeutig übersetzen können. Dann melden wir ihnen das für den Originaltext zurück. Sie wundern sich dann manchmal: «Ah, ich wusste nicht, dass die Sprachdienste noch eine Qualitätskontrolle der Ausgangssprache machen». Die Zusammenarbeit mit den Autor:innen gehört aber natürlich zu unserer Arbeit dazu.
- Für den Alltag sehr wichtig ist ausserdem, dass Übersetzer:innen Eigenverantwortung übernehmen: Sie müssen Zeitmanagement, Aufgabenmanagement, Qualitätsmanagement und Risikomanagement im Griff haben. In diesen Bereichen müssen sie sehr fit sein, Entscheidungen treffen und verhandeln können.
Und bezüglich Sprachtechnologien: Die Entwicklung der Sprachtechnologien geht sehr schnell. Deshalb muss man offen sein, viel Neues dazulernen können und wollen und sich in verschiedenen Bereichen weiterbilden, die in der Branche von Nutzen sind.
Was ist das Besondere an Ihrer Arbeit für die Sprachdienste der Bundesverwaltung?
Die Qualitätsansprüche! Wir müssen immer höchste Qualität liefern – in allen Sprachen. Trotzdem müssen wir schnell und kostengünstig sein. Wenn die Qualität nicht stimmt, haben wir unsere Arbeit nicht richtig gemacht. Wir arbeiten für die Schweizer Bevölkerung – und wir werden von uns allen bezahlt. Dadurch tragen wir sehr viel Verantwortung und sind stolz, dass wir uns für das gegenseitige Verständnis der Sprachgemeinschaften einsetzen können.
Alles, was wir übersetzen, ist öffentlich – zumindest auf einer Internetseite. Und wir arbeiten immer an ganz aktuellen Themen, über die in den Medien berichtet wird. Das ist schon etwas Besonderes.
Nun lesen wir in den Medien «Übersetzer:innen braucht es bald nicht mehr». Ist das auch bei Ihnen ein Thema?
Bei uns in der Bundesverwaltung hat man das vor ein paar Jahren gehört. Jetzt nicht mehr. Die Tätigkeit des Übersetzens hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Mit ihr haben sich auch die Menschen in diesem Beruf weiterentwickelt.
Auch wenn es irgendwann keine Übersetzer:innen mehr brauchen sollte, weil «die Maschine» das super macht, dann braucht es immer noch Menschen, welche die gleichen Kompetenzen haben wie Übersetzer:innen, damit «die Maschine» überhaupt so gute Ergebnisse liefern kann.
Wenn die Qualität stimmen muss, muss es zwingend eine menschliche Kontrolle geben. Diese ist ebenfalls sehr anspruchsvoll. Übersetzer:innen haben dafür genau die richtigen Kompetenzen.
Wohin geht aus Ihrer Sicht die Entwicklung beim Übersetzen und im Berufsfeld?
Obwohl durch KI in der gleichen Frist mehr Dokumente übersetzt werden können, wird es auch in Zukunft nicht weniger Übersetzer:innen brauchen, denn das Übersetzungsvolumen steigt und insbesondere auch der Anteil an fachlich komplexen Texten. Zudem gibt es viele Arbeitsfelder, in denen die mehrsprachige Arbeit sehr wichtig bleibt.
Auch in Bereichen wie Kommunikation oder Marketing sind Sprache, Mehrsprachigkeit und eine hohe Beratungskompetenz extrem wichtig. Die Kompetenzen von Übersetzer:innen braucht es auch für andere Tätigkeiten, zum Beispiel mehr in Richtung Technologien. Ob die Arbeit dann noch Übersetzen heisst oder Revision, Post-Editing oder noch anders und ob man dann vielleicht von „mehrsprachigen Kommunikationsspezialist:innen“ spricht? Wer weiss. Exper:tinnen für Sprache, für Sprachtechnologien und für die mehrsprachige Kommunikation braucht es weiterhin. Auch in den Sprachdiensten bedeutet Übersetzen längst, dass wir mehrsprachige Inhalte produzieren mit der ganzen Komplexität, die Textproduktion mit sich bringt.
Eléonore Feuz, vielen Dank für das spannende Gespräch!
Eléonore Feuz leitet die Sprachdienste des Eidgenössichen Finanzdepartements mit rund 50 Übersetzer:innen. Sie erstellen Übersetzungen und Revisionen in den Sprachen Französisch, Italienisch, Deutsch und Englisch. Wie das Finanzdepartement verfügen auch die anderen Departemente sowie die Bundeskanzlei über eigene Sprachdienste.
Eléonore Feuz leitet ausserdem die Arbeitsgruppe «Rekrutierung» der Konferenz der Sprachdienste der Bundesverwaltung. Ihr Ziel ist es, in Zeiten des Fachkräftemangels und der sich verändernden Arbeitswelt geeignete Mitarbeitende für die Sprachdienste der Bundesverwaltung zu gewinnen. Zu den Massnahmen zählen u.a. attraktive Übersetzungspraktika, welche Bachelor- und insbesondere Masterabsolvent:innen den Einstieg in die Sprachdienste der Bundesverwaltung ermöglichen. Denn es sollen so viele Praktikant:innen wie möglich später auch fest angestellt werden. In einem Übersetzungspraktikum lernen die jüngeren von den erfahrenen Mitarbeiter:innen – Fachübersetzen, Übersetzungsmanagement, den Umgang mit Sprachtechnologie usw. – ohne Zeitdruck und ohne die Verantwortung, die mit der Arbeit in den Sprachdiensten sonst verbunden ist. Und sie machen sich mit der Stilistik und den Schreibweisen vertraut, die für die Bundesverwaltung charakteristisch sind – und zum Beispiel von denen dieses Interviews abweichen.
Über das Jahr verteilt bietet die Bundesverwaltung rund 20 Praktika im Übersetzungsbereich (Beschäftigungsgrad 80-100%) an. Ein Praktikum dauert 6 – 12 Monate. E. Feuz hat ihre Laufbahn selbst als Praktikantin begonnen.
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