Kann der Einsatz von Augmented Reality die Zoom Fatigue bei Videokonferenzen verringern? Das will Anne Catherine Gieshoff herausfinden. Bis sie mit ihrem Projekt aber richtig starten konnte, hatte sie einige Hürden zu überwinden. Im Beitrag erzählt sie von technischen Herausforderungen, grenzüberschreitender Datenerhebung und tollen Kolleg:innen, die ihre Forschung überhaupt erst möglich machen.
Autorinnen: Anne Catherine Gieshoff und Christa Stocker
Wo wir bei Meetings vor Ort mühelos zwischen Teilnehmenden und Präsentationen hin- und herschauen und (digitale) Notizen machen können, stehen wir bei Online-Meetings vor neuen Herausforderungen: Meeting-Tool mit Teilnehmenden, Präsentationen und Chat, Word für Notizen sind alle auf einem Bildschirm zusammengedampft. Da könnte doch eine Möglichkeit sein, mit Augmented Reality mehr Platz für all die Fenster zu bekommen und so die Zoom Fatigue zu verringern.
Ich wollte untersuchen, wie Videokonferenzen in Augmented Reality erlebt werden, wenn über ein spezielles Headset Hologramme, also virtuelle Objekte, projiziert und im Raum platziert, vergrössert oder verkleinert werden können. Statt einem Computer hätte man dann den ganzen Raum, den man für die Videokonferenz nutzen kann. Mit meinem Pilotprojekt möchte ich eine Grundlage legen für die Forschung und für die Weiterentwicklung von Videokonferenz-Tools. Also beantragte ich bei der DIZH Fördermittel – und sie wurden bewilligt!
Eine innovative Idee fordert noch mehr Innovation: Herausforderungen bei der Vorbereitung
Das Studiendesign stand, der Ethikantrag war bewilligt, das Fördergeld hatte ich in der Tasche, die Datenerhebung konnte beginnen. Aber: Als ich die Augmented-Reality-Brille für meine Tests in der Hand hatte, merkte ich, dass noch einiges fehlte. Sie hatte kein Powerpoint für Präsentationen, kein Adobe Acrobat, kein Word für Sitzungsunterlagen. Ich musste für die HoloLens also zuerst eine App schreiben, die eine Videokonferenz simuliert, mit allem was dazugehört: ein Hologramm für die referierende Person, eines für Teilnehmende, eines für die Präsentation und eins für den Vortragstitel. Das war aber noch nicht alles, aber mehr dazu im Video:
Grenzüberschreitende Datenerhebung – der Zoll
Versuchspersonen zu finden kann ganz schön schwierig sein. Auch bei einem so futuristischen Thema und trotz meines Enthusiasmus’ und aller Bemühungen kam ich nicht auf eine ausreichende Anzahl an Versuchspersonen. Meine vorsichtige Anfrage bei Silvia Hansen-Schirra, Professorin für Englische Sprach- und Übersetzungswissenschaft am Fachbereich Sprache, Kultur und Translation der Uni Mainz in Germersheim und ihrem Team, brachte den Durchbruch. Nach ihrem begeisterten «Ja, klar!» war ein Termin für die Datenerhebung schnell gefunden. Ich packte die Geräte ein, um meine Studie in Deutschland fortzuführen, und wäre gleich losgefahren, wäre da nicht der Zoll gewesen.
Alles, was nicht für den persönlichen Gebrauch bestimmt ist, muss bei der Einfuhr in die EU beim Zoll angemeldet werden. Der Schweizer Zoll war schnell geregelt. Auf der französischen Seite war die Situation hingegen unübersichtlicher: Bei der Chambre des Commerces et des Industries in Mulhouse bekam ich acht verschiedene Telefonnummern. Doch nach einigen Versuchen erreiche ich eine mobile Einheit der französischen Douane am Bahnhof Basel SBB.
Ausgestattet mit meinem mobilen «Labor» begab ich mich zum Basler Bahnhof. «Sind Sie Frau Gieshoff?» – «Sind Sie der Zoll?» Einen Stempel später trat ich ins französische Zollbüro: «Bonjour. Vous avez un carnet ATA, c’est ça? Ils-ont écrit quoi, nos collègues suisses? Un Rucksack. Un sac-à-doc. C’est bien ça. On va faire pareil.» Und «Rums» landete der zweite Stempel in meinem Carnet. Ich durfte über die Grenze.
Tatkräftige Unterstützung in Germersheim
In Germersheim angekommen helfen mir meine Kolleginnen Silke Gutermuth und Katharina Oster das Labor aufzubauen. Sie haben einen schönen Raum rausgesucht, der in den Abmessungen ziemlich genau unserem Usability-Labor an der ZHAW entspricht. Diese sind wesentlich für meine Studie, denn schliesslich geht es darum, Hologramm im Raum zu platzieren. Silke bereitet den Eyetracker vor, Katharina schafft Verlängerungskabel ran und rückt die Möbel zurecht. Mit so viel Unterstützung ist mein mobiles Labor im Nu fertig bereit.
Zwei Tage später atme ich erleichtert auf: Mit den weiteren vier Versuchspersonen hat alles gut geklappt und ich kann die Datenerhebung abschliessen. Der «Ausflug» nach Deutschland hat sich gelohnt!
Was kam dabei heraus? – die Ergebnisse
Meine Pilotstudie ist «explorativ». Sie dient dazu, Forschungsfragen zu generieren und Forschungsmethoden auszuprobieren. Dafür habe ich nun eine gute Datengrundlage. Ich konnte beobachten, dass die Reaktionen sehr unterschiedlich waren. Bei einigen löste das Setting Faszination aus, bei anderen Frustration und oft auch beides. Sicher ist: Der Umgang mit neuen Technologien braucht Übung und neue Gewohnheiten. Sie bieten neue Möglichkeiten, die erst erschlossen werden müssen. Ob eine Videokonferenz mit Augmented Reality besser oder schlechter ist als eine «normale», kann ich damit aber nicht sagen. Dazu reichen meine Daten nicht aus, aber das hatte ich auch nicht angestrebt. Wenn ich diese Hypothese hätte testen wollen, hätte ich sehr viel mehr Teilnehmende gebraucht.
Und dann hat mir das Projekt gezeigt: Gut, wenn man auf Kolleginnen an anderen Universitäten zählen kann. Mit tollen Kolleg:innen, etwas Organisation, Improvisation und etwas Geduld für Zollformalitäten können auch innovative Projekte gelingen.
Das Projekt “Zoom ohne Fatigue” wird gefördert von der Digitalisierungsinitiative Zürich (DIZH). Ein grosses Dankeschön für die Unterstützung an das TraCo-Lab der Universität Mainz und ganz besonders an Prof. Silvia Hansen-Schirra, Dr. Katharina Oster und Dr. Silke Gutermuth!
Das IUED Institut für Übersetzen und Dolmetschen ist das Kompetenzzentrum der ZHAW für Mehrsprachigkeit und Sprachmittlung in Ausbildung, Weiterbildung, Forschung und Dienstleistung.
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