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Interaktives Post-Editing unterstützt Kreativitätsgefühl beim Übersetzen

Michael Wetzel und Gabriele Gelormino haben in ihrer Masterarbeit untersucht, welchen Einfluss die Art des Post-Editings auf die Kreativität von Fachübersetzer:innen hat – mit spannenden Ergebnissen für die Language Industry: Interaktives Post-Editing kann die Kreativität und das subjektive Erfolgsgefühl unterstützen. Im Interview erzählen sie, was Kreativität für sie bedeutet, welche Rolle die maschinelle Übersetzung für Übersetzungsprofis spielt und was die Herausforderungen beim Übersetzen sind.

Autorin: Christa Stocker

Michael Wetzel und Gabriele Gelormino haben den Master Angewandte Linguistik mit der Vertiefung Fachübersetzen abgeschlossen. In ihrer Masterarbeit befassten sie sich mit Maschineller Übersetzung, Post-Editing und Kreativität. Im Interview sprechen sie über Kreativität, die Herausforderungen beim Übersetzen und darüber, was sie in ihrer Masterarbeit herausgefunden haben.

Was fasziniert Sie am Übersetzen?

Michael Wetzel und Gabriele Gelormino: Übersetzen ermöglicht es, Botschaften in eine andere Sprache und Kultur zu übertragen, wodurch Menschen aus verschiedenen Teilen der Welt miteinander kommunizieren können. Dabei sind kreative bzw. originelle Lösungen nötig, um Inhalte stimmig und präzise zu übertragen. Dies ist nur möglich, wenn man mit der Sprache spielt, an Problemen knobelt, gründliche Recherchen betreibt und ein tiefes Verständnis für beide Sprachen mitbringt. Ausserdem ermöglicht das Übersetzen, Neues zu entdecken und sich mit verschiedenen Themen und Texten auseinanderzusetzen. Dies macht das Übersetzen spannend!

Welche Rolle spielt dabei die Kreativität?

Kreativität ist nicht nur beim Übersetzen sehr wichtig. Sie ist eine schöpferische Kraft in unserem Inneren. Sie ermöglicht es uns, unseren Gedanken freien Lauf zu lassen und Ideen zu formen, die über die Grenzen des Gewöhnlichen hinausgehen. Kreativität ist ein kraftvoller Ausdruck unserer Individualität. Durch sie können wir die Welt um uns herum auf einzigartige Weise interpretieren und gestalten. Uns ist wichtig, unserer Kreativität Raum zu geben, sie zu pflegen und zu fördern. Auch beim Übersetzen.

Mit Kreativität übertragen Übersetzende Ideen, versteckte Botschaften, Nuancen und kulturelle Feinheiten in die andere Sprache. Dies sowohl beim Übersetzen als auch beim Post-Editing, also der Überarbeitung maschinell übersetzter Texte. Dabei entsteht ein individuelles Produkt.

Da jeder Mensch einen anderen Zugang zur Realität und auch zur Kreativität hat, wird kein Ausgangstext von allen Übersetzenden gleich übersetzt. Dies unterscheidet uns von der maschinellen Übersetzung. Während maschinelle Übersetzung aufgrund von Wahrscheinlichkeiten das nächste Wort vorherzusagen versucht und Gelerntes reproduziert, können Übersetzende wahrhaft Neues schöpfen.

Welche Rolle spielen Maschinelle Übersetzung und Post-Editing beim Übersetzen?

Maschinelle Übersetzung und Post-Editing können als wichtige Werkzeuge unseren Alltag erleichtern. Deshalb sollten wir sie nicht verteufeln. Stattdessen sollten wir als Übersetzer:innen uns mit ihren Stärken und Schwächen auseinandersetzen, um einschätzen zu können, für welche Texte sich eine maschinelle Übersetzung lohnt.

Professionelle Übersetzer:innen können maschinelle Übersetzung als Grundlage für ihre Übersetzung verwenden. Das heisst, sie formulieren den Output so um, dass der Text die Qualität einer Humanübersetzung erreicht. Das ist aber einfacher gesagt als getan. Die maschinelle Übersetzung ist Fluch und Segen zugleich.

Insbesondere bei kreativeren Texten haben wir die Erfahrung gemacht, dass sich eine maschinelle Vorübersetzung für Übersetzende wie ein Korsett anfühlen kann: Sie hindert die Übersetzer:innen daran, einen zufriedenstellenden Text anzufertigen. Das ist auch wissenschaftlich erwiesen. Übersetzende lassen sich von suboptimalen Vorübersetzungen einschränken und versuchen lieber, diese mit viel Aufwand zu verbessern, als sie zu verwerfen und eine komplett eigene Übersetzung anzufertigen.

Hingegen kann sie bei standardisierten Texten oder Texten aus Fachgebieten, für welche die maschinelle Übersetzung speziell trainiert wurde, zu einem grossen Effizienzgewinn führen.

Was sind die grössten Herausforderungen beim Übersetzen?

Maschinelle Übersetzung produziert scheinbar perfekte Texte, die einen wunderschönen Textfluss haben. Betrachtet man jedoch den übersetzten Text genauer, so lassen sich zahlreiche Ungereimtheiten feststellen:

  • Auslassungen,
  • Hinzufügungen,
  • Fehlübersetzungen,
  • mangelnde Kohärenz/Logik,
  • mangelnde kulturelle Anpassungen,
  • Inkonsistenzen,
  • mangelnde Idiomatik,
  • falsche syntaktische Strukturen usw.

Beim Post-Editing gilt es, all diese Probleme zu beseitigen – sowohl bei gut als auch bei schlecht geschriebenen Ausgangstexten.

Ebenfalls eine grosse Herausforderung ist, dass die Entscheidungshoheit, ob ein Text maschinell übersetzt wird, nicht immer bei den Übersetzenden liegt, obwohl sie eine Eignung am besten einschätzen können. Oftmals wird ihnen ein maschinell vorübersetzter Text zugesandt mit der Erwartung, dass die Arbeit so schneller und kostengünstiger erledigt werden kann. Sie werden sozusagen der Maschine untergeordnet. Hier müssen Übersetzende Aufklärungsarbeit leisten, was maschinelle Übersetzung kann und was nicht – und wie wir sie für alle Parteien gewinnbringend einsetzen.

Nun haben Sie sich in Ihrer Masterarbeit mit Kreativität und Post-Editing befasst. Was haben Sie untersucht?

Kreativität beim Post-Editing ist noch wenig erforscht, insbesondere mit Blick auf nicht-literarische Texte, die den Grossteil der übersetzten Texte in der Language Industry ausmachen.

In unserer Masterarbeit haben wir untersucht, wie sich Post-Editing auf die Kreativität von Übersetzenden auswirkt. Ebenfalls haben wir verglichen, ob sie ihre Kreativität anders empfinden, wenn sie mit einem statischen oder einem interaktiven Ansatz arbeiten.

  • Beim heute üblichen statischen Post-Editing-Ansatz erhalten die Übersetzenden eine fixfertige (maschinelle) Übersetzung. Diese prüfen und überarbeiten sie.
  • Beim interaktiven Ansatz entwickeln sie gemeinsam mit dem Übersetzungstool eine Lösung. Das heisst, das Übersetzungstool vervollständigt den Satz des/der Übersetzenden und berücksichtigt dabei das bereits Geschriebene. Beginnt man also einen Satz ganz anders, führt das Übersetzungstool den Satz auch anders fort und passt seinen Vorschlag an jede neue Eingabe laufend an.

Im Experiment liessen wir 12 Teilnehmende je einen Text mit jedem Ansatz mit Lilt (interaktiv) bzw. Trados Live (statisch) post-editieren. Die Texte – Auszüge aus einem Nachhaltigkeitsbericht – hatten wir im Hinblick auf ihr kreatives Potenzial ausgewählt. So enthielt einer der Texte beispielsweise eine kulturelle Anspielung, die bei einem britischen Publikum funktioniert, die für ein Schweizer Publikum aber mit einem anderen Bild übersetzt werden musste. Eine andere Stelle enthielt eine Alliteration – electrification, environment and entertainment –, für die keine deutsche Entsprechung als Alliteration möglich war. Für beide Stellen waren kreative Lösungen gefragt.

Die Übersetzungsprozesse und ‑produkte analysierten wir mit einem von uns weiterentwickelten Bewertungsverfahren für Kreativität und befragten die Teilnehmenden überdies nach ihrem subjektiven Kreativitätsempfinden.

Durch die verschiedenen Analyse-Perspektiven konnten wir sehen, ob und inwiefern die gemessene translatorische Kreativität auf Produkt- und Prozessebene mit dem subjektiven Kreativitätsempfinden der Übersetzenden übereinstimmt und so die Interaktion zwischen Mensch und «Maschine» im Post-Editing beleuchten.

Was sind Ihre wichtigsten Ergebnisse?

Unterschiede konnten wir vor allem zwischen den einzelnen Teilnehmenden finden. Keine grossen Unterschiede in der Kreativität gab es hingegen zwischen den Verfahren. Das hat uns überrascht.

Sammelte eine Person viele Kreativitäts-Punkte mit statischem Post-Editing, so sammelte sie genauso viele mit dem interaktiven Ansatz. Das zeigt, dass die Kreativität sehr individuell ausgeprägt ist und von Person zu Person stark variiert.

Spannend jedoch ist, dass sich das subjektive Kreativitätsempfinden nur teilweise mit der gemessenen translatorischen Kreativität deckt. Grundsätzlich fühlten sich die Teilnehmenden beim interaktiven Post-Editing kreativer und freier, da ihnen kein starrer Übersetzungsvorschlag vorgelegt wird. Auch wenn der interaktive Ansatz die Kreativität nicht gesteigert hat, so erhöhte sie doch das subjektive Erfolgsgefühl und das Kreativitätsempfinden der Übersetzenden. Wir gehen deshalb davon aus, dass beim interaktiven Post-Editing die Langzeitmotivation höher ist.

Warum sind Ihre Ergebnisse für die Language Industry wichtig?

Wir haben herausgefunden, welch entscheidende Rolle es spielt, dass sich die Übersetzenden im Arbeitsprozess wohlfühlen. Damit meinen wir, dass sich Tools an die individuellen Bedürfnisse anpassen lassen sollten. Nur so können Übersetzende ihre volle Konzentration und kreative Energie in ihre Arbeit investieren.

Im Idealfall sollten die Tools nicht nur unterstützen, sondern sich harmonisch in den kreativen Prozess einfügen – wie beim interaktiven Post-Editing, das in der Language Industry bisher nur einen geringen Stellenwert hat.

Das sollte die Language Industry bei der Entwicklung von Tools und ihrer Integration in Arbeitsprozesse berücksichtigen, damit Sprachprofis ihr Potenzial voll ausschöpfen können: Der Mensch sollte immer im Zentrum stehen. Damit er sich nicht als Sklave der KI fühlt.

Welchen Stellenwert wird Kreativität in Zukunft haben?

Die Kreativität wird in den nächsten Jahren dank der Einführung und Weiterentwicklung neuer Technologien weiter an Bedeutung gewinnen. Die Maschinen mögen zwar in der Lage sein, viele Aufgaben zu automatisieren, doch die einzigartige Originalität menschlicher Kreativität bleibt unersetzlich. Das ist der Mehrwert des Menschen, den es stets hervorzuheben gilt.

Vielen Dank für den spannenden Einblick in Ihre Arbeit!


Master Fachübersetzen

Gabriele Gelormino arbeitet als Übersetzer (Deutsch, Französisch, Englisch > Italienisch) im Sprachdienst des Generalsekretariats des Eidgenössischen Finanzdepartements. Michael Wetzel ist Korrektor bei der Schweizerischen Zentralstelle für Baurationalisierung CRB und freiberuflicher Übersetzer (Italienisch, Englisch, Französisch > Deutsch).
Den Master in Fachübersetzen absolvierten sie so zu sagen als Fortsetzung des Bachelors Mehrsprachige Kommunikation. Dort entdeckten sie ihr Interesse für das Übersetzen und die dazugehörigen Technologien: «Im Master wollten wir uns noch stärker mit diesen Themen auseinandersetzen. Gerade beim Übersetzen braucht es eine Unmenge an Übung für ein optimales Resultat.» Ihre persönlichen Highlights im Master waren nach ihren Aussagen die Fächer mit hohem Praxisbezug wie Sprachtechnologie, Professionalisierung und Sprachindustrie, Fachübersetzung und Transkreation sowie Pre-Editing, Machine Translation und Post-Editing.


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