Bin ich zu alt zum Studieren?!

Ich war 38 Jahre alt und mein Leben war nicht so verlaufen, wie ich es ursprünglich geplant hatte. Ich war kurz vor der berüchtigten Midlife-Crisis und fragte mich, was ich denn mit dem Rest meines Lebens anfangen soll. Und zu allem «Überdruss» spriessen die weissen Haare nur so vor sich hin und die Gelenke knacken immer mehr, als wollten sie mich zusätzlich für mein Älterwerden verpönen. Ein Wunsch hegte jedoch schon lange in mir: Ich wollte studieren. Ja, ich spielte nun mit dem Gedanken, wieder ein Studium aufzunehmen. Doch wie sollte ich das hinbekommen? Wie sollte ich mich finanziell organisieren und war ich denn noch in der Lage, wieder die Schulbank zu drücken? Und überhaupt, bin ich dafür nicht schlichtweg zu alt?!

Autorin: Moira Savoca

Ein paar meiner Freunde, Familienangehörige und Berater hatten mich «inständig gewarnt» und gar für verrückt erklärt. «Was willst du jetzt wieder an einer Hochschule in deinem Alter unter den Jungspunden?», «Eine nicht lineare Laufbahn ist strategisch die dümmste Entscheidung ever!», «Ein Studium in dem Alter wird Ihrer Rentenplanung massgeblich schaden und Sie werden sehr lange ohne Rücklagen und ohne finanzielle Sicherheiten überleben müssen!» und nicht zuletzt: «Was ist denn das für eine umnachtete Idee?!» Tja, objektiv betrachtet hatten sie nicht gänzlich Unrecht. Aber ich musste es zumindest versuchen, denn ich wollte einen neuen Weg einschlagen und das geht mit Weiterbildungen allein nicht.

Praxisnahes Studium mit flexiblen Möglichkeiten

Da war ich also und suchte etwas ungläubig die potenziellen Ausbildungen, die zu mir und meiner Lebenssituation passten. Ein Studium im Bereich Psychologie wäre in Frage gekommen, aber bis ich wirklich einsatzfähig gewesen wäre, wären nochmals knapp zehn Jahre ins Land gegangen – und dafür war ich tatsächlich bereits etwas zu alt, fand ich.

Ich wollte ein praxisnahes Studium mit der Möglichkeit, flexibel oder zumindest Teilzeit zu studieren. Ursprünglich suchte ich auch nach einem partiellen Fernstudium oder einem, das für Online-Lektionen ausgerichtet war, was sich durch die Pandemie erübrigt hatte. Des Weiteren wollte ich ein Studium, das meine bisherigen beruflichen Erfahrungen zwar nicht weiterführt – schliesslich wollte ich etwas ganz Neues angehen – aber dennoch ergänzt, um mir breiter gefächerte Fähigkeiten anzueignen. Nach einer ausgiebigen Suche entschied ich mich für ein Studium an der ZHAW: Mehrsprachige Kommunikation. An meinem Geburtstag (yup, ich wurde noch ein Jahr älter…) fanden die Eignungsprüfungen statt. Und zu meiner Überraschung habe ich mit wehenden Fahnen bestanden!

Sprachen, Kommunikation, Internationalität und ein breites Kulturverständnis hatten schon immer meine schulische und berufliche Laufbahn geprägt. Ein linguistisches Studium mit praxisnaher Orientierung war für mich daher naheliegend. Ich entschied mich für die Richtung Mehrsprachige Kommunikation, weil es für meine persönlichen Voraussetzungen die mannigfaltigste Bandbreite an Möglichkeiten bietet. Zudem ist für mich der Standort äussert vorteilhaft, da ich in Winterthur wohnhaft bin. In den vergangenen 20 Jahren hatte ich nie mehr einen so kurzen Anfahrtsweg! 😊

Die Kunst des Verzichts

Die finanzielle Bewältigung eines Studiums war ein wichtiger Knackpunkt. Die ZHAW ist für ein Teilzeitstudium organisiert, viele Fächer können online, asynchron oder ohne Präsenzpflicht durchgeführt werden. Auch wenn mir die Möglichkeit für ein Stipendium nicht mehr offen stand – dieses erhält man nur bis 35 – gab es die Möglichkeit für ein Studiendarlehen, das man nach dem Studium zurückzahlen darf.

Und ja, das bedeutet natürlich auch, Abstriche in Kauf zu nehmen. Das Mittagessen wird vorgekocht und mitgenommen, meine Reiselust auf später vertagt und grössere und spontane Ausgaben liegen schlichtweg nicht drin. Dafür darf ich mich wieder auf das Wesentliche im Leben besinnen. Ab einem bestimmten Zeitpunkt im Leben mag man zwar den erreichten Komfort und Lebensstandard nicht so einfach aufgeben, aber es geht durchaus! Ich habe wieder gelernt, kleine Freuden zu schätzen, und wenn ich mir doch einmal einen Restaurantbesuch gönne, freue ich mich umso mehr darauf und geniesse ihn in vollen Zügen. Früher sah ich diese Dinge als selbstverständlich an.

Generationenübergreifendes Lernen

Oft werde ich gefragt, ob es denn nicht schwierig oder seltsam für mich sei, vorwiegend mit jüngeren Kommiliton:innen zu interagieren oder von gleichaltrigen Dozent:innen unterrichtet zu werden. Tatsächlich hat es mich noch nie gestört, generationenübergreifend zusammenzuarbeiten. Ich empfand den Austausch mit jüngeren (und älteren!) Zeitgenoss:innen immer sehr erfrischend.

Warum? Ab einem gewissen Alter kennt man den Lauf gewisser Dinge, hat die persönlichen Unsicherheiten weitestgehend hinter sich gelassen und entwickelt eine Routine im Umgang mit dem Leben. Das hat selbstredend Vorteile: Man lässt sich nicht ganz so schnell aus der Bahn werfen und kennt bereits ein paar Tücken des Alltags. Aber man tendiert auch dazu, weniger zu hinterfragen und wird (auch kognitiv) weniger flexibel. Man ist bereits geprägt durch gewisse Glaubenssätze und wird zum trägen Gewohnheitstier. Mir gefällt es ungemein, dass ich aus der neuen Situation heraus und durch meine jüngeren Mitschüler:innen gefordert werde, die Dinge zu überdenken und aus einer anderen Perspektive zu betrachten.

Als Teil der Alterskohorte, die knapp an der Generation X vorbeigeht und geradeso bei der Generation Y dabei ist, kann ich Vieles von unseren Millennials, Digital Natives, Generation Z und wie sie alle schubladisiert werden, lernen und aus meiner Komfortzone ausbrechen. Anderseits merke ich auch, dass auch sie von mir und meinen Erfahrungen profitieren können. Ich sehe das als eine Win-win-Situation an und es liegt mir fern, meine jüngeren Freund:innen für ihre kürzere Lebenserfahrung zu verurteilen. Schliesslich durfte auch ich mir mehr Zeit nehmen, mir gewisse Dinge anzueignen – und ausgelernt hat man ohnehin niemals! Abgesehen davon kann ich vor ein paar von ihnen echt den Hut ziehen. Ich hätte in ihrem Alter weder ihre Reife noch deren Fähigkeiten.

Ich bereue es nicht, mein Leben auf den Kopf gestellt zu haben, um ein Studium aufzunehmen. Tatsächlich hat es mir neue Perspektiven und Möglichkeiten eröffnet und Demut gelehrt, um die wichtigen Dinge im Leben zu erkennen. Wieder zu meinen Anfängen zurückzukehren, hatte auf mich eine wohltuende, heilende und erfrischende Wirkung. Das Kribbeln über die neuen Erkenntnisse, der Adrenalinschub, um den Stoff einzupauken oder die Leistungsnachweise zeitig abzugeben und den Mut aufbringen, den schwierigeren Weg zu gehen, waren gut für mich! Ja, es war teils auch beängstigend, Vieles, das man sich erarbeitet hat, aufzugeben. Umso grösser ist die Freude, wenn man neue Erfolgserlebnisse schaffen darf! Und nicht zuletzt durfte ich viele grossartige Menschen auf meiner Reise kennenlernen, denen ich so viel zu verdanken habe.

Also, ist man jemals zu alt zum Studieren? Nein, es gibt sogar die Seniorenuniversität, Leute! 😊 Bleibt neugierig, seid mutig und auch etwas «verrückt» und «umnachtet»! Es gibt so viel mehr zu erleben ausserhalb der eigenen Komfortzone.


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