Vier Monate verbrachte Nelly Müller als Praktikantin bei einem Sprachdienstleister in Karlsruhe. In dieser Zeit ist die Studentin des Bachelor Mehrsprachige Kommunikation beruflich und persönlich über sich hinausgewachsen – und wurde zum Ende ihres Aufenthalts sogar für eine waschechte Deutsche gehalten. Sie berichtet über ihren Arbeitsalltag, kulturelle Unternehmungen und warum das Praktikum für ihren Berufsweg nach dem Studium so wichtig war.
Autorin: Nelly Müller, Studentin Bachelor Mehrsprachige Kommunikation
Deutschland?! Tatsächlich war unser nordisches Nachbarland nicht meine erste Wahl, als es darum ging, einen geeigneten Praktikumsplatz im Ausland zu finden. Als begeisterte Arabischlernende war mein eigentlicher Plan, ein Praktikum am Goethe Institut in Abu Dhabi, VAE zu machen. Mein Vorhaben scheiterte aber einerseits am Visum und andererseits an der damaligen Corona-Situation. Dennoch bereue ich meine Entscheidung, das fünfte Semester als Praktikumssemester in Deutschland zu verbringen, keine Sekunde – ganz im Gegenteil: Ein Praktikum bei dem deutschen Sprachdienstleister KERN AG, der zu den grössten weltweit gehört, kann ich nur empfehlen!
Praktikum bei einem Sprachdienstleister in Karlsruhe
Das Familienunternehmen KERN AG hat seinen Hauptsitz in Frankfurt am Main und bietet unter anderem Übersetzen und Dolmetschen, Terminologiemanagement, technische Dokumentation, Lokalisierung von Software und Websites und Sprachentrainings an.
Der Sprachdienstleister ist an über 60 Standorten auf der ganzen Welt vertreten, wobei sich 45 Filialen in Deutschland befinden. In einer dieser Filialen, in Karlsruhe, durfte ich vom 1. September 2021 bis 7. Januar 2022 mein Praktikum absolvieren.
Baustellen, Kultur und haufenweise internationale Studierende
Baustellen, soweit das Auge reicht; quietschende Strassenbahnen, die nach fast zwölf Jahren Bauzeit (!!!) ab Dezember 2021 endlich unterirdisch fahren, „haufenweise“ internationale Studierende mehrheitlich naturwissenschaftlicher Fächer, Fahrräder, und zwar bei jeder Witterung – das ist Karlsruhe, oder zumindest mein erster Eindruck davon. In der Tat boomt in der badischen Grossstadt die IT-Branche. Forschung wird grossgeschrieben und auch Kultur kommt in der UNESCO City of Media Arts nicht zu kurz. Dementsprechend gehören zu den Highlights meines Auslandaufenthalts Theater- und Ballettaufführungen, Museumsbesuche, Lesungen und die Schlosslichtspiele. Aber auch Besuche von traditionellen Kaffeehäusern, Weihnachtsmärkten und Language Exchange Stammtischen fehlen nicht. In kurzer Zeit lernte ich Menschen aus aller Welt kennen, schloss Freundschaften und lebte einen derart vielfältigen und erlebnisreichen Alltag, wie er mir während der letzten eineinhalb Coronajahre so sehr gefehlt hatte.
Andere Städte sind nicht weit
Der Standort Karlsruhe erlaubte es mir zudem, an den Wochenenden verschiedene Städte zu bereisen, darunter die schöne Stadt Heidelberg mit ihrer Altstadt, dem Schloss und Fluss und den Bergen, die reiche Metropole Frankfurt, das romantische Strasbourg in Frankreich, und München, eine der lebenswertesten Städte der Welt. Aber auch Zürich, meine Heimatstadt, war keine drei Stunden Bahnfahrt entfernt. Diesen Vorteil nutzte ich und fuhr an zwei Wochenenden und über Weihnachten nach Hause, wo mich Familie und Freunde herzlich begrüssten.
Erste WG-Erfahrung
Bei der Wohnungssuche hatte ich Glück und fand in der Oststadt eine WG. Meine vier späteren Mitbewohner:innen hatten genau für den Zeitraum von Mitte August bis Januar ein möbliertes Zimmer zu vermieten. Meine erste WG-Erfahrung war äusserst positiv; ich genoss das gemeinsame Kochen, Diskutieren und Lachen. Meine einheimischen Mitbewohner und Mitbewohnerinnen konnten mir zudem hilfreiche Tipps für meinen Alltag in Karlsruhe geben und erklärten mir anlässlich der Bundeskanzlerwahl das politische System Deutschlands.
Tschüss Helvetismen!
Auch sprachlich konnte ich viel profitieren. Während ich anfangs noch etwas herum- druckste und um den heissen Brei herumredete, lernte ich die Direktheit der Deutschen mit der Zeit sehr zu schätzen. Und das Grinsen meiner Mitmenschen, wenn mir mal wieder ein Helvetismus herausrutschte, wurde zunehmend seltener. Demzufolge war es für mich auch ein kleines Erfolgserlebnis, als mir auf der Heimfahrt ein Deutscher in der Bahn, mit dem ich ins Gespräch gekommen war, nicht glauben wollte, dass ich Schweizerin bin…!
Mein Arbeitsalltag als Praktikantin im Projektmanagement
So viel zu meinem Privatleben in Karlsruhe. Wie aber schaute mein Arbeitsalltag beim Sprachdienstleister aus? Praktikant:innen bei der KERN AG können flexibel zwischen 8:00 und 10:00 Uhr zu arbeiten beginnen. Für mich bedeutete das, jeden Morgen um 8:00 Uhr – nach morgendlichem Workout, Frühstück und Rad- oder Fussweg – als Erste im Büro zu sein. Ich arbeitete mich durch unseren Outlook-Posteingang, beantworte E-Mails und machte Endkorrekturen von Übersetzungen. Wenn es sich um Übersetzungen ins Deutsche beziehungsweise ins Englische oder Spanische handelte – meine Studiensprachen –, überprüfte ich Grammatik, Stil usw.; Übersetzungen in andere Sprachen kontrollierte ich auf Vollständigkeit, Zahlen, Namen usw. Schnell wurde mir bewusst, wie zentral verständliches Schreiben ist, und ich erinnerte mich an den Kurs Verständlichkeit, den ich im dritten Semester an der ZHAW besucht hatte. Auch die Kenntnisse, die wir uns in den Sprachkompetenz- und Übersetzungskursen angeeignet haben, konnte ich täglich anwenden und weiterentwickeln.
Schon bald war ich allein für die Privatkund:innen zuständig. Ich analysierte ihre Geburts-, Heirats-, Scheidungs- oder Sterbeurkunden, Zeugnisse und viele weitere Dokumente, berechnete Preise, erstellte Angebote und Auftragsbestätigungen. Darauf folgten die Lieferantensuche, das Preisaushandeln mit den Übersetzer:innen und letztlich die Endkorrekturen der Übersetzungen. Nebenbei erstellte und korrigierte ich Rechnungen, bearbeitete Dateien für Trados Studio – ein CAT-Tool und eine Translation Memory-Software –, suchte nach neuen Firmenkund:innen oder tütete Werbepost ein.
Alle Erwartungen übertroffen
Ich erlebte das Projektmanagement eines Sprachdienstleisters als stressige, aber sehr interessante und abwechslungsreiche Arbeit, die mir in unserem Team aus fünf spannenden, humorvollen Frauen viel Freude bereitet. Ich merke auch, dass mein Organisationstalent und mein sorgfältiges, pflichtbewusstes Arbeiten hier geschätzt wurden, und ich konnte mir gut vorstellen, nach dem Studium wieder einmal im Projektmanagement tätig zu sein. Dass ich nicht als Übersetzerin arbeiten wollte, war mir durch das Praktikum noch stärker bewusst geworden, was für meine weitere Berufsorientierung ebenfalls eine wertvolle Erkenntnis war.
Schliesslich kann ich sagen, dass mein Praktikumssemester in Deutschland jegliche meiner Erwartungen übertroffen hat. Mein erster über einen längeren Zeitraum andauernder Voll- zeitjob, das Leben in einer WG und noch dazu in einer neuen Stadt haben mich unabhängiger und selbstständiger werden lassen, und die Erinnerungen an diese unvergessliche, erlebnis- reiche Zeit werden mich sicherlich noch sehr lange begleiten.
Im Praktikumssemester schreiben Studierende des Bachelor Mehrsprachige Kommunikation einen Blogbeitrag. Die Beiträge werden von einer Jury prämiert. Dies ist einer von 4 ausgezeichneten Blogbeiträgen aus dem Herbstsemester 2021.
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Im Bachelor Mehrsprachige Kommunikation (bisher: Angewandte Sprachen) bildet das IUED Institut für Übersetzen und Dolmetschen Sprachinteressierte zu Sprach- und Kommunikationsprofis aus, die sich souverän zwischen Sprachen, Kulturen und Domänen bewegen. Das Studium mit den Vertiefungen Mündliche Kommunikation & Sprachmittlung, Multimodale Kommunikation & Translation sowie Fachkommunikation & Informationsdesign qualifiziert Studierende für die Arbeit sowohl in der Language Industry als auch in nationalen oder internationalen in Organisationen und Unternehmen, in denen professionelle Mehrsprachigkeit gefragt ist.
Berufliche Perspektiven mit dem Bachelor Mehrsprachige Kommunikation:
- Projekt-Manager:in
- Content-Manager:in
- Copywriter:in
- Sprachmittler:in
- Technische:r Redakteur:in
- UX-Writer:in