Das Projektteam Erasmus+ Kreative Agilität am Kick-off in Balzers

Mit Kreativer Agilität organisationale Transformationsprozesse gestalten

Im Rahmen des Erasmus+ Projekts Kreative Agilität erkundet Birgitta Borghoff zusammen mit Partnern aus Liechtenstein, Deutschland und Österreich, wie kunstbasierte Strategien die digitale und analoge Kommunikation in Organisationen transformieren. Warum Kreative Agilität wichtig ist, wie sie Kreative Agilität beobachtet, zusammen mit Studierenden erforscht und wie sie das gesammelte Wissen teilt, darüber erzählt Birgitta in diesem Beitrag.

Von Birgitta Borghoff, Forscherin, Dozentin, Beraterin und Coach im Forschungs- und Arbeitsbereich Organisationskommunikation und Öffentlichkeit am IAM Institut für Angewandte Medienwissenschaft

Die VUCA-Welt stellt uns immer wieder auf den Prüfstand. Sie gestaltet unser Leben, unser Miteinander und unsere Kommunikation fundamental um. Arbeits- und Kommunikationsabläufe müssen neu gedacht und etabliert werden. Wie gelingen Dialog, Zusammenarbeit und Teilhabe in Situationen von Volatilität, Ungewissheit, Komplexität und Ambiguität? Das dürfen wir stets aufs Neue entdecken, ausprobieren und reflektieren, um im kommunikativen Miteinander zu funktionieren. Das bringt Unsicherheit und macht Angst, weil soziale Praktiken und Formen der Zusammenarbeit ständig neu verhandelt werden. Alles wandelt sich – und das permanent. Wie reagieren wir auf diesen Wandel und wie gestalten wir diesen als Menschen in unterschiedlichen Funktionsrollen, als Organisationen, als Gesellschaft mit?

Kreative Agilität – warum?

Die Entwicklung von Kreativer Agilität ist eine Schlüsselkompetenz, um heute und künftig in analogen wie digitalen Arbeitswelten zu navigieren. Das Wahrnehmen von Aufgaben, Realisieren von Projekten und Entwickeln von Organisationen ist nicht allein eine Frage von fachlichen Kompetenzen oder qualifiziertem Personal. Es ist vielmehr eine Frage der Fähigkeit, defizient gewordene Routinen zu durchbrechen, neuen Situationen kreativ agil zu begegnen und dabei wirkungs- und respektvoll miteinander zu kommunizieren – digital und analog. Lässt sich diese Fähigkeit trainieren? Und können dadurch „kreagile“ Transformationsprozesse in Organisationen bereichert werden?

Kreative Agilität entwickeln – im Rahmen von Erasmus+

Diesen Fragen widmet sich ein internationales Projektteam, bestehend aus Künstler:innen, Vermittler:innen und Wissenschaftler:innen aus Liechtenstein (kubus Kulturvermittlung Balzers), Österreich (SPES Zukunftsakademie Schlierbach), Deutschland (Hochschule für Künste im Sozialen HKS Ottersberg) und der Schweiz. Gemeinsam entwickeln die Projektpartner ein Training zu Kreativer Agilität. Das Training soll Menschen und Organisationen befähigen, volatilen, unsicheren, komplexen und ambiguen Situationen „kreagil“ zu begegnen und dadurch organisationale und gesellschaftliche Transformationen aktiv mitzugestalten.

Das zweite transnationale Projekttreffen im digitalen Raum Erasmus-Projekt Kreative-Agilitaet ZHAW IAM
2..Transnationales Projekttreffen im digitalen Raum, 1.-3.12.2021
(Obere Reihe von links nach rechts: Dagmar Frick, Islitzer (kubus), Michael Uhl (HKS), Peter Jungmeier (SPES),
mittlere Reihe: Peer Holthuizen, HKS, Birgitta Borghoff, ZHAW), Prof. Dr. Ralf Ralf Rummel-Suhrcke, HKS,
untere Reihe: Birgit Appelt, Theresa Aschauer, beide SPES, Foto: Michael Uhl)

Kreative Agilität beobachten – in Ottersberg

Als Kommunikations- und Diskursforscherin an der ZHAW verantworte ich die wissenschaftliche Evaluation einer Fallstudie in Ottersberg. Im Oktober und November durfte ich beobachten, wie Michael Uhl, freischaffender Regisseur und Lehrbeauftragter an der HKS Ottersberg, mit kommunalen Entscheidungsträger:innen der Gemeinde Ottersberg (bei Bremen) künstlerisch gearbeitet hat. Dabei durfte ich miterleben, wie sich politisch aktive, kunstschaffende und akademische Akteure bei eng gefassten Kompetenzen den grossen komplexen Fragen gegenüber verhalten. Dies taten sie am Beispiel des Themas „Wirtschaft/Wachstum und Ökologie“. Gemeinsam erkundeten die Teilnehmenden anhand eines konkreten Projekts zur Wohnraumverdichtung, wie sie in ihren jeweiligen Rollen mit einer permanenten Überkomplexität umgehen. Dabei gingen sie der Frage nach, wie Politikvermittlung gelingen kann, wenn Antworten auf Sachverhalte oder Fragestellungen nicht sofort zu haben sind. Angewendet wurde die von Michael Uhl selbst entwickelte theaterbasierte künstlerische Methode[1] der „Narrativen Recherche“. Entstanden ist eine Sammlung von Narrationen und Perspektiven der Teilnehmenden, die als Mosaik zu einer künstlerischen Form zusammengeführt wurde. Erste Impressionen im Rahmen einer ersten öffentlichen Multiplikatoren-Veranstaltung am 2.12.21 gibt es hier.

Birgitta Borghoff im Forschungslabor Künstlerische Intervention an der HKS Ottersberg
Schauplatz des Geschehens: Birgitta Borghoff im Forschungslabor Künstlerische Intervention an der HKS Ottersberg (Fotocollage: Birgitta Borghoff)

Bereits im Wintersemester 2020/21 durfte ich im Auftrag der HKS Ottersberg eine erste Ministudie zur künstlerischen Methode der „Narrativen Recherche“ im kommunalen Kontext realisieren. Damals führte ich narrative Gruppeninterviews mit Bachelor- und Masterstudierenden der Kunsttherapie und Freien Bildenden Kunst, die das Seminar „Narrative Recherche – Künstlerische Bewegungen  in Organisationen“  unter  der  Leitung von Michael Uhl besucht hatten. Welche Themen und Geschichten über Kommunalpolitik und Verwaltung die Studierenden im Prozess der „Narrativen Recherche“ rekonstruierten, wie sie den Prozess erlebten und bewerteten, lesen Sie im Case Study Bericht in der ZHAW Digital Collection.

Kreative Agilität sprachlich fassen und designen – mit Studierenden der Kommunikation

Zusammen mit Studierenden der ZHAW untersuche ich derzeit in einem ProjektPlus Seminar zu Kreativer Agilität, welche Wirkung die „Narrative Recherche“ auf die Teilnehmenden aus Rat, Verwaltung, Kunst und Wissenschaft hat. Während ich in Ottersberg den Prozess beobachtete, haben Tamara Bütler und Pascale Odermatt wörtliche Transkriptionen von narrativen Gruppeninterviews mit Rat, Verwaltung und Akteuren der HKS Ottersberg sowie zusammenfassende Protokolle von Einzelinterviews mit der Ottersberger Bevölkerung angefertigt und die Interviews kodiert. Gemeinsam rekonstruieren wir narrative Muster und Praktiken des Sprachgebrauchs, indem wir uns fragen, was die am Prozess teilnehmenden Akteure sagen und wie sie sich verhalten. Wie gestaltet sich der Prozess? Welche Praktiken und soziale Routinen lassen sich identifizieren? Welche Geschichten, Konflikte und Themen kommen zum Vorschein? Und was können wir daraus lernen mit Blick auf die Übertragbarkeit auf ähnliche Situationen sowie andere organisationale und gesellschaftliche Kontexte?

„Ich habe Strategien gelernt, wie ich beim Schreiben von Zusammenfassungen am besten vorgehe, um beim späteren Kodieren von interessanten Textstellen effizient zu sein. Über Kreative Agilität habe ich gelernt, dass es wichtig ist, Prozesse neu zu denken und immer wieder neue Wege zu gehen.“

(Pascale Odermatt, Teilnehmerin des ProjektPlus Seminars im HS21)“

Online-Teamsitzung der ProjektPlus Studierenden im Erasmus+ Projekt Kreative Agilität der ZHAW
Online-Teamsitzung im Rahmen des ProjektPlus Seminars zu Kreativer Agilität
(von oben nach unten: Tamara Bütler, Pascale Odermatt, Birgitta Borghoff, Foto: Birgitta Borghoff)

„Beim Kodieren habe ich gemerkt, dass ich viel mehr wahrnehme, wenn ich mich intensiv damit beschäftige. Wenn man mehrere Stunden mit einem Interview verbringt, dann hört man das ganz anders als beim ersten Mal. Kreative Agilität hat für mich mit Thinking outside the box zu tun.“

(Tamara Bütler, Teilnehmerin des ProjektPlus Seminars im HS21)“

In einem weiteren Projektseminar der ZHAWim Frühjahrssemester 2022 werden neun Studierende aus dem Bachelorstudiengang Kommunikation prototypische Designlösungen für die neu entstehende Website des Erasmus+ Projekts zu Kreativer Agilität entwickeln. In einem co-kreativen Designprozess probieren die Studierenden verschiedene Analyse- und Designpraktiken aus, experimentieren mit Designtools und trainieren dabei Kreativität, Empathie und Mehrperspektivität in agilem Teamwork. Das Seminar endet mit einem Abschluss-Pitch, an denen die verschiedenen Designteams die von ihnen verfertigten Lösungen in Form von Contents, Messages, Texten, Medien und Audiences vor den Erasmus+ Projektpartnern präsentieren. Ich bin gespannt, welches Team das Rennen macht! 😊

Kreative Agilität – das gesammelte Wissen teilen

Die Ergebnisse der Ottersberger Fallstudie fliessen in die Entwicklung eines Leitfadens zur Implementierung künstlerischer Interventionen in organisationale Kontexte ein. Dieser bildet zusammen mit den entwickelten Trainingsmaterialien die Basis für die Realisierung erster Pilotkurse und Experimente in Liechtenstein, Österreich und Deutschland 2022 und 2023. Die Trainingsmaterialien werden nach Abschluss des Projekts ins Englische, Französische und Italienische übersetzt. Am ersten Schweizer Multiplikatoren-Event an der ZHAW teilen wir die Ergebnisse der Fallstudie Ottersberg mit der Öffentlichkeit. Dazu gibt es Einblicke in den aktuellen Entwicklungsstand des Erasmus+ Projekts und Gespräche mit künstlerisch tätigen, vermittelnden, forschenden und lehrenden Projektpartnern – Eine spannende Gelegenheit, Kreative Agilität life zu erleben. Save-the-date: Donnerstag, 9. Juni 2022, 18.00 – 20.30 Uhr, IAM MediaLab.


Programm Erasmus+ der EU auf einen Blick

Das Programm Erasmus+ der EU fördert allgemeine und berufliche Bildung, Jugend und Sport in Europa. Alle Bereiche tragen erheblich zur Bewältigung der grossen Herausforderungen bei, mit denen Europa heute und in den nächsten Jahrzehnten konfrontiert ist. Zudem unterstützt Erasmus+ mit seinen Massnahmen die Strategie “Europe 2020” für Wachstum, Schaffung von Arbeitsplätzen, soziale Gerechtigkeit und soziale Integration.

Das Projekt “Kreative Agilität – Wie kunstbasierte Strategien die digitale und analoge Kommunikation in Organisationen transformieren”

Gesamtleitung: Dagmar Frick Islitzer, kubus Kulturvermittlung

Projektleitung wissenschaftliche Begleitforschung: Birgitta Borghoff, ZHAW, borg@zhaw.ch

Projektdauer: Juni 2021 bis Mai 2023

Weitere Informationen

Case Study Bericht in der ZHAW Digital Collection.

EU-Konsortium/Partnerorganisationen:

Offizielle Partner: Kubus Kulturvermittlung, SPES Zukunftsakademie, Hochschule für Künste im Sozialen Ottersberg

 Assoziierter Partner: ZHAW

Projektförderer: Erasmus+ der EU, AIBA, movetia


[1] In akademischen Gefilden und künstlerischen Praxisfeldern werden die Termini „künstlerische Methode“ (eng. „artistic method“), „künstlerische Intervention“ (eng. „artistic intervention“) sowie „kunstbasierte oder künstlerische Strategie“ (eng. „art-based“ or „artistic  strategy“) synonym verwendet  (Johansson Sköldberg, Woodilla & Berthoin Antal 2017; Schiuma 2011; Darsø 2009)


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