Im Juni 2021 haben Dominique Barth und Guido Keel im Rahmen eines Forschungsprojekts des IAM mit einem neuen Ansatz versucht, in Zusammenarbeit mit lokalen Medienschaffenden und Forschenden die Wirkung eines nationalen Radioprogramms in Niger zu untersuchen.
Von Guido Keel, Leiter des IAM Institut für Angewandte Medienwissenschaft und Journalismusforscher
Das Studio Kalangou, ein Projekt der Schweizer Stiftung Fondation Hirondelle, produziert in Niamey, der Hauptstadt von Niger, jeden Tag eine 15-minütige Nachrichtensendung in Französisch und den vier wichtigsten Landessprachen des Nigers, Haussa, Zarma, Tamascheq und Peul. Hinzu kommt eine 45-minütige Diskussionssendung in der Sprache, in der die Diskussion jeweils stattfindet. Das ergibt zwei Stunden Informationssendungen, die von 46 lokalen Radiostationen im ganzen Land ausgestrahlt werden.
Die Sendungen gelten als zuverlässig und unabhängig, und werden allerseits geschätzt, wie regelmässige Befragungen immer wieder zeigen. Aber welchen Einfluss haben sie auf das Publikum, wenn es um dessen Information, Meinungsbildung und Einstellungen geht? Die Medienwirkungsforschung befasst sich mit solchen Fragen. Die Erforschung von beabsichtigten und nicht beabsichtigten Wirkungen ist aber komplex – wie können Wirkungen von einzelnen Sendern und Sendungen allgemein und in Bezug auf gewisse Themen isoliert gemessen werden?
Das IAM Institut für Angewandte Medienwissenschaft hat eine über zehnjährige Erfahrung mit der Untersuchung solcher Fragen, insbesondere in aussereuropäischen, häufig prekären Kontexten in Entwicklungsländern. Für die Erforschung der Wirkung von Studio Kalangou haben Christoph Spurk, Forschungsleiter im Bereich Medien und Entwicklung, und ich, Guido Keel, Leiter des IAM und Journalismusforscher, einen neuen Ansatz gewählt, der besonderes Augenmerk auf beabsichtigte und tatsächlich realisierte Wirkungsketten richtet. Dabei erarbeitet man zunächst mit den Strategieverantwortlichen die angenommenen und beabsichtigen «Result Chains», d.h. es wird geschaut, was eigentlich die einzelnen Schritte genau sind, die von einer bestimmten Berichterstattung zum erwünschten Ergebnis führen, und welche Faktoren diese Wirkungsketten unterstützen. Anschliessend untersuchen InterviewerInnen anhand von Gesprächen mit ausgewählten HörerInnen, inwiefern sich diese Wirkungsketten wirklich auch abspielen, bzw. wo sie abbrechen.
Workshops mit Programmverantwortlichen und lokalen Studierenden
Dominique Barth, Sprachdozentin mit mehrjähriger Erfahrung in der Entwicklungszusammenarbeit in Westafrika, und ich reisten im Juni 2021 für zehn Tage nach Niamey, um die Wirkungsketten der Sendungen von Studio Kalangou zu untersuchen. Als Medienforscher war ich für die kommunikationswissenschaftlichen Aspekte verantwortlich, während Dominique mich einerseits didaktisch, andererseits sprachlich unterstütze – Workshops zu abstrakten Themen in afrikanisch geprägtem Französisch verlangen neben viel Aufmerksamkeit besondere interkulturelle und sprachliche Kenntnisse, weshalb es ratsam schien, die Aufgabe in diesem Team anzugehen.
Nach einem Kennenlerntag mit den Verantwortlichen des Studio Kalangou starteten wir am zweiten Tag einen zweitägigen Workshop mit dem Chefredaktor, seiner Stellvertreterin, dem Verantwortlichen für die Partnerschaften mit den 46 Radios im Land, dem Verantwortlichen für die Diskussionssendung sowie einer Redaktorin und einem Redaktor. Die Diskussionen waren trotz kultureller und sprachlicher Hindernisse sowie der geringen Erfahrung mit dem nigrischen Kontext von uns Gästen erfreulich intensiv und erkenntnisreich – auch für die lokalen KollegInnen, wie sie uns nach anfänglichem Zögern versicherten. Denn wie so oft in der Medienbranche fehlt auch beim Studio Kalangou im Redaktionsalltag die Zeit und der Anlass, um sich gründlich mit den angestrebten Wirkungen seines Schaffens zu befassen und sich zu fragen, wie man diese Wirkungen noch besser erreichen könnte.
Nachdem wir in dieser Runde die Wirkungsketten für zwei ausgewählte Ziele («Die Frauen beteiligen sich an den Wahlen und orientieren sich dabei an ihren eigenen Interessen und Bedürfnissen.» und «Eltern erkennen die Wichtigkeit, ihre Kinder einzuschulen und sicherzustellen, dass diese die Schule auch abschliessen.») erarbeitet hatten, ging es in einem zweiten Teil darum, Fragebogen zu entwerfen, mit denen die Wirkungsketten überprüft werden konnten. Dazu arbeiteten wir mit sechs MasterstudentInnen aus Niamey, welche die Interviews dann auch in Zweier-Teams durchführten. Mit ihnen erstellten wir an zwei Tagen die Fragebogen und testeten ihre Anwendung in den verschiedenen lokalen Sprachen. Die Studierenden beeindruckten uns nicht nur mit ihrem Engagement, sondern auch mit ihrer Erfahrung in der empirischen Forschung. So gestaltete sich die Erarbeitung der Fragebogen als sehr interaktiver Prozess, in dem alle voneinander lernten – eine Erfahrung, welche die Studierenden als neu und erfrischend empfanden. Und für die Datenerfassung arbeiteten wir mit einer App auf ihren Smartphones, die es uns ermöglicht, von der Schweiz aus den Projektfortschritt jederzeit live zu verfolgen. Nach nur einer Woche hatten wir von der Schweiz aus bereits Zugriff auf die Ergebnisse von 61 Interviews. Damit ist eine erste empirische Validierung der Wirkungsketten möglich. In den nächsten Wochen wird daraus ein Schlussbericht für die Fondation Hirondelle erstellt.
Ziele über das Forschungsprojekt hinaus
Neben den beiden Workshops sprachen wir Forschenden in den zehn intensiven Tagen in Niamey mit Redaktionsmitgliedern und mit MedienexpertInnen im Land, um die Situation der Medien in Niger besser einschätzen zu können. Wir präsentierten unsere Ideen zudem dem Büro der Schweizerischen Direktion für Entwicklungszusammenarbeit (DEZA) in Niamey, die einen Teil von Studio Kalangou und auch des Evaluationsprojekts finanziert, und wir überarbeiteten aufgrund der Informationen und Eindrücke ständig die von uns in der Schweiz erstellten Vorgehenspläne zur Durchführung des Projekts.
Zehn Tage sind viel zu wenig, um die Situation in einem so fremden Land wie Niger umfassend zu verstehen und so auch die Wirkung von Radiosendern abschliessend einschätzen zu können. Erschwerend kam dieses Mal hinzu, dass wir aufgrund der Sicherheitslage gezwungen waren, in Niamey zu bleiben. Während die Stadt sicher wirkte, galten bereits Gegenden wenige Kilometer ausserhalb aufgrund von gewaltbereiten Islamisten als zu gefährlich, besonders für ausländische Besucher. Während unseres Aufenthalts wurden beispielsweise zwei chinesische Gastarbeiter 50 Kilometer von Niamey entfernt entführt. Die lokale Polizei erlaubte es ausländischen Besuchern deshalb in der Regel nicht, die Stadt zu verlassen.
Die Wirkungen der Sendungen von Studio Kalangou zu messen, war deshalb nur sehr beschränkt möglich. Wir sind aber zuversichtlich, dass wir dank den nun laufenden Interviews wertvolle Erkenntnisse zur Wirkungsweise von Studio Kalangou gewinnen können.
Ein Forschungsprojekt wie dieses verfolgt aber darüber hinaus immer auch noch weitere Ziele. So ermöglicht es das Projekt, Methoden der Wirkungsforschung in einem bestimmten Kontext zu testen, um deren Möglichkeiten und Limiten zu erkennen. Und, fast noch wichtiger: Es erlaubt den lokalen Medienschaffenden, systematisch und im Dialog mit Aussenstehenden über ihre eigene Arbeit zu reflektieren.
Neben den medienwissenschaftlichen Erkenntnissen sind solche Projekte schliesslich auch jedes Mal eine Chance, eine neue Welt kennenzulernen und mit Menschen zusammenzuarbeiten, mit denen man über die gemeinsamen Ziele der Arbeit schnell einen persönlichen Zugang findet. Und das ist aus Sicht der Forschenden oft genauso wertvoll wie die wissenschaftlichen Erkenntnisse.