Ana Paredes im Solihaus St. Gallen über Sprache als Kernkompetenz in der Integration

«Sprache als Kernkompetenz in der Integration»

Ana Paredes ist seit Juli 2020 Leiterin des Solihauses in St.Gallen. Sie weiss aus eigener Erfahrung, was es heisst, neu in der Schweiz zu sein, einen Kulturschock zu erleben und die Sprache nicht zu verstehen. Mit verschiedenen Kursen, Beratungen, einem täglichen Mittagstisch und Events bietet das Solihaus Unterstützung bei der Integration.

von Stefanie Krüsi, Kommunikationsverantwortliche ILC Institut of Language Competence

Vor knapp fünf Jahren kam Ana Paredes der Liebe wegen in die Schweiz. Die gebürtige Ecuadorianerin sprach kein Wort Deutsch. In verschiedenen Intensivkursen und anhand unterschiedlicher Methoden lernte sie die Sprache nach und nach. Und sie lerne immer noch weiter, betont Paredes im Gespräch.

Die Basis für Integration

Seit bald vier Monaten leitet die Ecuadorianerin nun das Solihaus. «In meinem Job muss man unglaublich flexibel sein. Kein Tag ist wie der andere», erzählt sie lachend. Wenn sie morgens in ihr Büro kommt, stünden die Leute manchmal schon vor der Türe. «Das Solihaus steht allen offen: Migrantinnen und Migranten aber auch Schweizerinnen und Schweizern. Das ist die Basis für Integration.»

Witzige Missverständnisse

Paredes ist in ihrer Funktion für den ganzen administrativen Bereich verantwortlich. Hauptsächlich führt sie aber Rechts- und Alltagsberatungsgespräche. Damit unterstützt sie Leute, die neu in der Schweiz sind und vor vielen offenen Fragen stehen. Manchmal springt sie auch beim Mittagstisch ein, der jeden Tag von einem Team aus Migrant:innen und Schweizer:innen organisiert wird. «Das Mittagessen ist ein fixer Termin in meinem Tagesablauf. Da wir im Solihaus ausschliesslich Deutsch miteinander sprechen, entstehen manchmal witzige Situationen. So wusste einmal ein Besucher das Wort «Pilz» nicht und versuchte uns, mit Händen und Füssen zu beschreiben, was er meint: ‘Es ist eine Frucht, nein, ein Gemüse. Es schmeckt nach Erde, sieht eklig aus. Es sieht aus wie ein Haus. Es ist ein Haus!» Irgendwann nach langem Raten seien sie dann auf «Pilz» gekommen, erzählt Paredes lachend.

Den Besucherinnen und Besuchern des Solihauses steht auch ein Kursangebot zur Verfügung: von Mathematik über Nähen hin zu Malen und Computerkursen. Neu gibt es einmal jährlich auch ein Hauswirtschaftskurs, bei dem die Teilnehmenden am Ende sogar ein Diplom erhalten, um es bei Bewerbungen vorzuweisen. Für Kinder gibt es nachmittags eine Hausaufgabenhilfe und in den Schulferien ein Sonderprogramm.

Integration, die sichtbar wird

«Normalerweise veranstalten wir jährlich ein grosses Solihaus-Fest, bei dem es Essen aus verschiedenen Ländern gibt und ein buntes Programm zusammengestellt wird», so Paredes. Leider konnte es dieses Jahr wegen Corona nicht stattfinden. «Es ist für uns ein wichtiger Anlass, da Integration hier sichtbar wird.»

Auch bis Ana Paredes sich integriert gefühlt hat, dauerte es seine Zeit. «Für mich ist es immer noch manchmal seltsam, dass man in der Schweiz seine ArbeitskollegInnen nicht umarmt und dass es allgemein viel weniger Körperkontakt gibt – abgesehen natürlich von den aktuellen Umständen aufgrund von Covid-19.» Sie erzählt, dass sie die vielen ungeschrieben Regeln zuerst einmal kennenlernen musste.

Gerechtigkeit als wichtiger Wert

Paredes hat in Ecuador Jura und internationales Recht in Kombination mit Management studiert. Gerechtigkeit war für sie schon immer ein zentrales Thema. Zuletzt war sie in Ecuador bei der NGO HIAS tätig und arbeitete dort mit Flüchtlingen, damals vor allem aus Kolumbien.

Ana Paredes über Sprache als Kernkompetenz in der Integration
Ana Paredes vor dem Solihaus in St. Gallen.

Seit 2017 ist sie Geschäftsleiterin der Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht in der Ostschweiz, wo sie auch heute noch tätig ist. Als sie in die Schweiz kam, hätte sie gerne einen Master im Asyl- oder Sozialbereich gemacht. Leider fand sie damals nichts Passendes auf Englisch und ihre Deutschkenntnisse waren noch zu schlecht. In naher Zukunft möchte sie nun das C2-Diplom absolvieren und eine weitere Ausbildung in diesem Bereich finden.

Sprache ist Kernkompetenz

«In meinem Beruf schätze ich den Kontakt mit verschiedenen Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen sehr. Den Geschichten und Träumen dieser Leute zuzuhören, bereichert mich.» Paredes begrüsst es sehr, dass es seit Herbst 2020 den Bachelorstudiengang Sprachliche Integration gibt. «Die Sprache ist im Integrationsprozess eine Kernkompetenz.» Sie findet es wichtig, dass im Integrations- und Migrationsbereich qualifizierte Leute arbeiten, die einerseits Deutsch unterrichten, andererseits aber auch ein vertieftes Wissen haben, um tagtägliche herausfordernde Situationen mit interkultureller Kompetenz lösen zu können.

Auf Augenhöhe

Für zukünftige AbsolventInnen des Bachelor Sprachliche Integration, die in einen Beruf in diesem Bereich einsteigen, hat Paredes einen ganz klaren Rat: «Das Wichtigste ist: Immer offenbleiben. Vorurteile von Anfang an bei Seite legen. Und noch wichtiger: Allen Menschen stets auf gleicher Augenhöhe begegnen.» Flüchtlingen oder MigrantInnen bringe es nichts, wenn wir sie bemitleiden. Wir sollen sie ermutigen, ihre Potenziale erkennen und sie so auf ein selbständiges Leben vorbereiten.


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