Peter Stücheli-Herlach

Politische Schlagworte sind besser als ihr Ruf

Gerade im digitalen Wahlkampf ordnen Hashtags die Debatte nicht nur, sie verschärfen sie auch. Angst um eine Verrohung der Politik muss man aber nicht haben.

Von Peter Stücheli-Herlach, Professor für Organisationskommunikation und Öffentlichkeit am IAM Institut für Angewandte Medienwissenschaft

Als hätten wir nicht schon genug davon! Die Rede ist vom Wahlkampf, der hierzulande tobt. Die Lachgesichter und modischen Accessoires auf den Plakaten, die Slogans auf den Flugblättern: Das alles wird zur Zumutung, mindestens in der Häufigkeit, in der es uns auf Bahnhöfen, am Strassenrand und auf öffentlichen Plätzen begegnet. Als hätten wir nicht schon genug zu beissen: An den Klima- und Migrationsproblemen, den neuen Grossmächten und dem Dahinschmelzen der Altersvorsorge. Und nun sollten wir noch verstehen, inwiefern sich Links-, Rechts- und Grünliberale unterscheiden, was die christlich-demokratische von der evangelischen Volkspartei trennt – ja sogar, wie man in einer «langweiligen» die doch «gute» Politik erkennt (denn darauf besteht die BDP).

In diesem Schlamassel der feinen Unterschiede bieten uns die Kampagnenteams eilfertig ihre Hilfe an: Mit Schlagworten offerieren sie patente Lösungen – will heissen: Die Reduktion komplexer Probleme auf eine simple Alternative. Zwar hat der Kampf um Begriffe, die Gut und Böse voneinander trennen, eine durchaus lange Tradition: Die Entscheidung zwischen «Staat» und «Freiheit» beispielsweise beschäftigte einst Generationen.

Was uns aktuell an Schlagworten um die Ohren gehauen und auf die Augen gedrückt wird, ist indes beispiellos: Die Digitalisierung hat das Schlagwort zum Hauptwort der politischen Sprache gemacht. Es ist nicht mehr ein robustes Ergebnis politischer Organisation, wie ehedem der Kompromiss für eine «soziale Marktwirtschaft». Nein, das Schlagwort organisiert heute gleichsam auf Knopfdruck von Anfang an die Meinungsbildung: In den sozialen Medien mit dem Rautezeichen versehen («#»), hat es sich zum strategischen Prinzip schlechthin gemausert. Zur technischen Funktion geworden, verknüpft es Hunderte, wenn nicht Millionen von Beiträgen, die dasselbe Wort verwenden,
Sekunde für Sekunde noch auf dem letzten Bildschirm.

Entstanden ist eine Schlagwortindustrie, die simple Alternativen in Serie produziert. Wir sollen entscheiden in einer «Klimawahl», aber auch über die «Klimawende», den «Klimanotstand», den «Klimaalarm», ja die «Klimadiktatur» – idealerweise gleich in einer «Klimaumfrage». Entrinnen sollen wir doch bitte der «Flugscham», wahlweise aber auch der «SUVScham», der «Fleischscham» oder der «Avocadoscham». Und natürlich sollten wir bitteschön alles liegen lassen, um zusammen besondere Tage begehen zu können, beispielsweise den «OnePlasticFreeday», den «WorldSurvivalDay», den «BioDiversityDay» und wöchentlich gar einen «FridayForFuture». Ob all den Schlagworten aus dem Umweltbereich soll aber nicht vergessen gehen, dass auch der «Rahmenvertrag» mit der EU eigentlich ein «Unterwerfungsvertrag» sein soll. Die SVP, die sonst auf Souveränität pocht, hat hierfür einfach bei den Briten (mit ihrer «surrender bill») abgeschrieben.

Einige befürchten da, unsere Sprache verrohe. Dem ist aber nicht so. Wir können ganz gelassen bleiben – aus drei Gründen. Erstens befindet sich unsere Gesellschaft im Umbruch. Neues ringt mit Herkömmlichem und umgekehrt. Um die Übersicht zu behalten, sind sprachliche Landkarten in Form einfacher Gegensätze nicht zu verachten – mindestens dann, wenn im Alltag neben der Bürgerpflicht auch noch andere Aufgaben zu erledigen sind.

Zweitens: Die hiesige Demokratie ist daran, sich der neuen Medien zu bemächtigen, welche uns Technik und Silicon Valley beschert haben. Sie tut es auf gewohnt eidgenössische Weise: Sachthemen stehen im Vordergrund. Abgesehen von wenigen Beispielen wie der – gegen amtierende Zürcher Ständeräte gerichteten – Wortkreation «# Nositsch» bleiben uns schlimme Hexenjagden bis jetzt erspart (wie #merkelmussweg, #hillaryforprison). Das sollte den Freunden der Freiheit eine Freude sein.

Drittens – und als Konsequenz daraus: So sehr uns der Wahlkampf als Karneval der Schlagworte erscheint, so sehr müssen wir uns vor Augen halten, was die Alternativen wären: Digitalzensur, Bürokratensprache, wortlose Korruption. Für all das gibt es – in geografischer Nähe zur Schweiz – genügend abschreckende Beispiele.

Lassen wir dem Karneval also ruhig seinen Lauf. Wählen wir einfach die Nummer daraus, die uns am meisten behagt. Der Wahltag ist ja dann der Zahltag. Parteien, die bis dahin nur die digitalen «Likes», «Tweets», «Re-Tweets» und «Followers» für ihre Schlagworte gezählt haben, könnten ihr blaues Wunder erleben. Das parlamentarische System verlangt nämlich, dass wir die Sprache nicht nur zum Zuschlagen, sondern auch zum Zuhören einsetzen – und dafür, immer wieder Kompromisse zu schmieden. Auch solche zwischen dem vermeintlich Guten mit dem vermeintlich Bösen.

Erstpublikation in der NZZ am Sonntag vom 13. Oktober 2019


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