Wo Wissenschaft draufsteht, muss Wissenschaft drin sein. Für viele Menschen gilt der Begriff an sich als Hauptkriterium für die Identifikation von Wissenschaft. 41 TeilnehmerInnen haben für eine Studie digitale Tagebücher geführt, die darauf hinweisen. Zudem zeigen die Tagebücher auf, in welchen Situationen die TeilnehmerInnen der Wissenschaft begegnen und liefern wichtige Erkenntnisse für WissenschaftskommunikatorInnen.
Von Carmen Koch, Angelica Hüsser und Mirco Saner, IAM Institut für Angewandte Medienwissenschaft der ZHAW
Fragt man Google nach «Bildern» von Wissenschaft, erhält man ein stark naturwissenschaftlich geprägtes Bild zurück: Hirn-Scans, Reagenzgläser, Atomkerne, DNA-Stränge. Wissenschaft ist eng mit Labor und/oder (scheinbar) abstrakten Überlegungen verknüpft. Doch, was ist «Wissenschaft» für die Bevölkerung? Woran machen Schweizerinnen und Schweizer Wissenschaft fest?
Tagebuch-Studie zum «Wissenschaftsbarometer»
Zwei Wochen lang haben die TeilnehmerInnen der Studie ihre Begegnungen mit Wissenschaft fotografiert und in einer Handy-App gespeichert – und anschliessend mit dem Projektteam um Carmen Koch, Mirco Saner, Iris Herrmann, Angelica Hüsser sowie Studierenden über ihre Wahrnehmung der Beiträge diskutiert – mit einer überraschenden Erkenntnis. Die TeilnehmerInnen hatten mit viel mehr Wissenschaftsbegegnungen gerechnet (im Schnitt dokumentierten sie 0.6 bis 1.5 Begegnungen pro Tag). Eine Probandin dazu: «Ich hatte das Gefühl, dass schon noch mehr Wissenschaft überall drinsteckt oder mehr Wissenschaft hervorkommt. Man nimmt es aber wohl eher unbewusst wahr».
Aus dem «Wissenschaftsbarometer» von Schäfer u.a. kennt man vier Nutzertypen von Wissenschaft (siehe Box). Die Frage war, wie die Wahrnehmung und Nutzung von Wissenschaft dieser Typen konkret aussieht.
Wo Wissenschaft draufsteht, ist Wissenschaft drin
Dies scheint für alle Studienteilnehmende das Credo zu sein. Schlagworte wie «Wissenschaft», «Studie» oder «Forscher» sind wichtig, um Wissenschaft zu identifizieren: «Wenn steht, dass es sich um eine Studie handelt. Wenn eine Studie sagt, sie habe das und das herausgefunden. Dann denkt man, das ist wissenschaftlich». Bei den Distanzierten bleibt es dann auch dabei: «das Wort ‘wissenschaftlich erwiesen’ fiel kurz und irgendwelche schlauen Worte», deshalb wurde die Zahnpasta-Werbung als Wissenschaft klassifiziert. Sie treffen die Entscheidung, ob Wissenschaft oder nicht, aus dem Bauch heraus: «Ich weiss auch nicht. Das war intuitiv, hatte ich gefunden, das gehört dazu». Auch die passiven Unterstützer tun sich eher schwer nebst Schlagworten konkrete Kriterien für Wissenschaft zu nennen: «Für mich ist vieles so, dass wenn ich es nicht kapiere, finde ich, das ist Wissenschaft». Wissenschaft ist für sie etwas Abstraktes.
Wissenschaftsaffine fokussieren auf MINT-Fächer und Medizin
Die Wissenschaftsaffineren sind hingegen differenzierter. Ihnen reichen Schlagworte nicht. Die kritisch Interessierten nutzen stattdessen Kriterien:
- «Ich habe es mir so erklärt, dass Wissenschaft dann ist, wenn jemand mir etwas erklärt warum, wie es funktioniert, oder wenn jemand eine Studie gemacht hat, um etwas herauszufinden.»
- «Diejenigen, die das machen, nutzen Techniken, die auf Wissenschaft beruhen.»
- «Dass man überhaupt die Geräte hat, um dahin zu kommen um das [Jupitersturm] zu fotografieren und so. Das ist ja eine reine Wissenschaft für mich.»
Insgesamt fokussieren aber auch sie – wie das Bild von Google – auf MINT-Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) und Medizin. Geistes- und Sozialwissenschaften kommen seltener vor.
Sciencephiles prüfen auf Innovation
Dieser Disziplinen-Fokus trifft auch für die Sciencephiles zu, aber nicht nur. Für sie dienen vor allem die Methodik und die Nachvollziehbarkeit der Ergebnisse als Kriterien: «Darstellung, Resultat und Präsentation – das zeigt für mich dann, ob es wissenschaftlich ist» oder «Dass sie 17 Länder angeschaut haben und die Anzahl Befragte. Das sind ja schon Hinweise darauf, dass es hier etwas Grösseres ist». Sciencephiles verbinden Wissenschaft mit Fortschritt und Innovation. So ist Wissenschaft «eigentlich alles, was auf der Welt beschrieben werden kann» z.B.: «Kaffee bewirkt in mir eine Wirkung, die ich gerne habe. Das ist durch biologische Prozesse und chemische Prozesse beschreibbar, also hat es auch mit Wissenschaft zu tun.»
Erkenntnisse für WissenschaftskommunikatorInnen
Je wissenschaftsaffiner eine Person, desto differenzierter ist ihr Bild von Wissenschaft. Diese Gruppe kann mittels einer sauberen Darstellung der Methodik und der Resultate sowie dem Herausheben der Innovation abgeholt werden. Sciencephiles suchen aktiv nach Wissenschaft und konsumieren auch abstraktere, längere Beiträge.
Je wissenschaftsferner eine Person, desto stärker reagiert sie auf den Begriff «Wissenschaft» als Zuordnungshilfe. Für dieses Zielpublikum lohnt es sich mit eindeutigen Schlagworten und Eyecatchern zu arbeiten. Lässt sich zudem die unmittelbare Relevanz für den Alltag und direkte Umsetzbarkeit zeigen, umso besser. Dabei darf ruhig auch Humor, Überraschung oder Irritation ins Spiel kommen (z.B. Unnützes Wissen oder Beiträge wie «Die Männergrippe gibt es wirklich»).
Projektteam
IAM Institut für Angewandte Medienwissenschaft, ZHAW Angewandte Linguistik: Carmen Koch, Mirco Saner, Iris Herrmann, Angelica Hüsser mit der Unterstützung von Studierenden
Universität Zürich: Mike Schäfer
Universität Fribourg: Julia Metag
Das Projekt wurde ermöglicht durch Mercator Schweiz und den Forschungs- und Arbeitsbereich Journalistik des IAM.
Der Wissenschaftsbarometer ist eine repräsentative Bevölkerungsumfrage in der Schweiz. In der ersten Analyse wurden vier Typen identifiziert: Die meist hochgebildeten, männlichen Sciencephiles (rund 28% der Bevölkerung) haben ein hohes Interesse an und weitreichende Kenntnisse über Wissenschaft. Die kritisch Interessierten (rund 17% der Bevölkerung) weisen ähnliche Charakteristika, haben aber insgesamt etwas mehr Vorbehalte gegenüber Wissenschaft. Die passiven Unterstützer (rund 42% der Bevölkerung) repräsentieren die durchschnittliche Schweizer Bevölkerung mit einem moderaten Interesse an Wissenschaft. Die Distanzierten (rund 13% der Bevölkerung) sind insgesamt weniger gebildet und sind am wenigsten an wissenschaftlichen Themen interessiert.
Schäfer, Mike S.; Füchslin, Tobias; Metag, Julila et al. (2018): The different audiences of science communication: A segmentation analysis of the Swiss population’s perceptions of science and their information and media use patterns. Public understanding of science 27(7): 836–856.