Von Bodenfruchtbarkeit, lokalen Radiostationen und den Tücken internationaler Zusammenarbeit.
von Filip Dingerkus, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsschwerpunkt Journalistik am IAM
Der Blick aus dem Fenster der Boeing 787 bestätigt, was ich bereits wusste: Die Sahara ist eine schier unendliche Wüste. Trotzdem ist es beeindruckend, von soweit oben auf die Welt herab zu schauen und in alle Himmelsrichtungen bloss gelbbraunen Sand zu sehen. Einige Stunden lang begleitet einen dieses Bild bei jedem Blick aus dem Fenster. Und dann nach etwas mehr als fünf Stunden seit dem Abflug in Paris geht das Flugzeug in den Landeanflug über. Die gelbbraune Farbe des Bodens wird im Sinkflug immer diffuser und hüllt alles langsam ein, bis die Erde kurz vor der Landung kaum noch vom Himmel zu unterscheiden ist. Schemenhaft tauchen darin kleine Lehmhäuser auf und plötzlich sieht man überall ockerfarbene Gebäude inmitten der orange-braunen Masse aus Himmel und Erde. Die gelbe Sonne versucht sich ihren Weg durch den Staub zu bahnen. Dabei hüllt sie alles in ein diesig gleissendes terrakottafarbenes Licht. Die Luft bekommt hier eine eigene Farbe: Sie ist beige. Willkommen in Bamako, der Hauptstadt Malis.
Es ist April und damit neigt sich die Dürreperiode langsam ihrem Ende entgegen. Noch trockener kann es hier nicht werden. Im Mai beginnt endlich die ersehnte Regenzeit, inshallah. Sie wird den Niger vom kleinen Fluss wieder in den sagenumwobenen reissenden Strom verwandeln. Und mit ihm wird die gesamte Landschaft um ihn herum aufblühen und in saftigem Grün erstrahlen. Das Leben und mit ihm die Landwirtschaft sind hier geprägt von Extremen: Auslaugende Trockenheit im Wechsel mit unglaublichen Wassermassen. Doch bis zum Nass muss man sich noch gedulden. Jetzt ist es trocken. Staubtrocken. Die rauhen Bedingungen stellen die Bauern im Land vor grosse Herausforderungen. Es ist der Grund weshalb wir hier sind.
Biologische Landwirtschaft mit Gliricidia
Das konkrete Ziel des Besuchs in Mali ist ein Workshop in dem die Vermittlung von biologischer Landwirtschaft im Zentrum steht. Zusammen mit den Landwirtschaftswissenschaftlern und Soziologen aus Mali soll – mit Schweizer Beteiligung des FibL (Forschungsinstitut für biologische Landwirtschaft) und des IAM – die nächste Phase des gemeinsamen Projekts aufgegleist werden. Doch was macht das Institut für Medienwissenschaft bei einem Landwirtschaftsprojekt in Afrika? Ganz im Sinne interdisziplinärer Zusammenarbeit besteht das Vorhaben nicht nur aus Agrarhilfe, sondern hat auch eine mediale Komponente, denn irgendwie müssen die Informationen an die Bevölkerung gelangen. Und das geschieht mittels Radioprogrammen die wir nun gemeinsam in dem Workshop erarbeitet haben.
Aber fangen wir von vorne an: Ein Problem, das viele Bauern in Afrika haben, ist die geringe Bodenfruchtbarkeit, die durch Erosion und Klimaänderungen sowie Fehlbewirtschaftung und Ausbeutung der Böden stark leidet. Mit schlechter Bodenfruchtbarkeit sinken auch die Agrarerträge, was fatale Folgen für die Bauern und im Endeffekt für die Ernährung der Bevölkerung einerseits und die Baumwollproduktion andererseits hat. Diesem Problem soll mit einer Pflanze namens Gliricidia beigewohnt werden. Sie ist sehr robust und anpassungsfähig an die trockenen Bedingungen der Steppe Malis und hilft mit ihren tiefen Wurzeln den Wasserkreislauf im Boden an die Oberfläche zu transportieren, was den umliegenden Pflanzen zugutekommt. Ausserdem stellt sie Nährstoffe zur Verfügung, die gerade von Pflanzen wie Mais oder Baumwolle für ihr Wachstum benötigt werden. In Form von Agroforstwirtschaft, also der Bepflanzung der Landwirtschaftsflächen mit Bäumen, sollen die Baumwoll- und Maiserträge deutlich gesteigert werden können. Da Gliricidia eine sehr schnell wachsende Pflanze ist und regelmässig geschnitten werden muss, können ihre Blätter zusätzlich auch für Nutztiere als Futter verwendet werden. Viele positive Eigenschaften die in ersten Pilotversuchen in Mali erfolgreich eingesetzt werden konnten. Nun geht es darum, die Vorteile und Bepflanzungsmethoden auch den Bauern im Einzugsgebiet unserer beiden Radiostationen zu vermitteln.
Ernährungssicherheit gewährleisten
Neben dem Erarbeiten der Inhalte für unsere Radiokampagne besuchen wir unsere Bauern aus der Pilotphase des Projekts. Bei ihnen wurden die Agroforstwirtschaftstests mit der Pflanze Gliricidia erfolgreich durchgeführt. Die Idee ist nun, ihre Eindrücke abzuholen und in die Radiobotschaften einfliessen zu lassen. Schlussendlich sollen auch einige von ihnen selbst in den Radiosendungen auftreten und von ihren Erfahrungen und Beobachtungen berichten.
Auf dem Weg ins Dorf passieren wir militärische Checkpoints, bei denen das Fahrzeug und die Insassen kontrolliert werden. Die Angst vor Anschlägen ist gross. Nur wenige Wochen zuvor wurde ganz in der Nähe unseres Testdorfs das UNO-Militärcamp der Deutschen Truppen von zwei Selbstmordattentätern angegriffen. Zum Glück kamen abgesehen von den beiden Angreifern keine weiteren Personen zu Schaden. Aber die Verunsicherung in der Region ist sehr gross. Und nicht nur da: Mittlerweile haben sich die bisher auf den Norden beschränkten Anschläge auf das ganze Land ausgeweitet. Ethnische Kämpfe und religiös motivierte Attentate von Islamisten sind im Alltag aller Einwohner Malis angekommen. So gab es in den knapp zwei Wochen meines Aufenthalts drei gewalttätige kriegerische Zwischenfälle und zwei vereitelte Anschläge zu beklagen. In unsere Medien schaffen es diese Informationen lediglich als Randnotiz, ausser wenn „Westler“ betroffen sind oder das Ausmass die Grenze von 100 Toten überschreitet, wie im Fall des massakrierten Dorfes in der Nähe von Mopti.
Nach der knapp 1,5-stündigen Fahrt von Bamako nach Maféa, dem Ort des Pilotprojekts, werden wir von allen Dorfbewohnern herzlich in Empfang genommen. Alle sind gekommen und versammeln sich unter dem einzigen schattenspendenden Baum in der Mitte des kleinen Örtchens. Der Austausch zwischen unseren Wissenschaftskollegen und den Bauern ist lebhaft und findet in der Lokalsprache Bambara statt. Sehr interessante Erkenntnisse haben die Bauern in der über einjährigen Testphase mit Gliriciadia gesammelt. In höchsten Tönen wird der Einsatz der teils als „Wunder“ gepriesenen Pflanze gelobt. Etwas stutzig macht uns das schon und wir müssen bei den Schwierigkeiten und negativen Aspekten mehrmals Nachfragen bevor wir eine Antwort bekommen. Man möchte uns natürlich vor allem den Erfolg präsentieren. Dass Glricidia keine Wunderpflanze sein kann, ist eigentlich allen bewusst. Schliesslich werden auch die nicht zu verachtenden Probleme mit Termiten und dem höheren Arbeitsaufwand angesprochen. Die Dorfbewohner gewähren uns mit ihren Ausführungen einen winzigen Einblick in ihren bescheidenen Alltag. Ihre Sorgen und Ängste um Gesundheit, Nahrung und ein Dach überm Kopf sind basal und ursprünglich und lassen unsere westlichen Probleme lächerlich erscheinen. Mitten im Gespräch erblicke ich plötzlich eine sich auftürmende Staubwolke, aus der mit lautem Getöse drei Hummer der UNO auftauchen. Jäh werde ich an das aus gesellschaftlicher Sicht vermeintlich grösste Problem erinnert: Wir befinden uns in einem Kriegsland. Mit ihren Maschinengewehren im Anschlag und der coolen Sonnenbrille auf der Nase fixieren uns die Soldaten einen Moment lang regungslos. Dann nuscheln sie etwas in ihre Funkgeräte und so plötzlich sie aufgetaucht sind, sind die drei Wagen auch wieder verschwunden. Eine bizarre Situation mit der die Fragwürdigkeit der militärischen Präsenz ins Bewusstsein gerufen wird. Natürlich lässt sich nicht sagen, dass ihre Abwesenheit besser für das Land wäre – mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht. Und doch wirken die vielen UNO-Soldaten vor allem wie Schachfiguren im globalen Spiel um Deutungshoheiten, den Schutz eigener Interessen und den Don-Quichote-haften Versuch die Welt zu befrieden. Die Mission Frieden und Zuversicht ins Land zurückzubringen erweist sich als äusserst steinig.
Kampf gegen die Auswegslosigkeit
Nichts desto trotz gibt es Leute, die sich ihrem Schicksal nicht ergeben wollen und auf ihre Weise gegen die schwierige Situation anzukämpfen versuchen. Nebst den optimistischen Bauern aus unserer Pilotphase und unseren Kollegen aus Wissenschaft und Forschung, gibt es auch in der Zivilbevölkerung engagierte Menschen. Einer von ihnen ist Hamidou Diawara, ein Ökonom ohne spezielle Agrarkenntnisse der sich dem Biolandbau verschrieben hat. Mein Kollege vom FiBL hat ihn auf Facebook ausfindig gemacht und wir treffen ihn an einem freien Abend. Ohne ausländische Förderung oder Anbindung an universitäre Einrichtungen versucht er ein Netzwerk von Biolandwirten aufzubauen und den Vertrieb der Produkte zu kollektivieren und zu professionalisieren. Bereits jetzt vertreibt er über sein Label AGRIOBIO-Mali biologisch angebaute Produkte. Bisher vor allem Gewürze und getrocknete Zutaten, aber vermehrt auch frische Güter. Zudem setzt er sich für die Sichtbarkeit seines Projekts ein – versucht sich auch politisch Gehör zu verschaffen und freut sich über die internationale Vernetzung, wie beispielsweise mit uns. Es sind noch kleine Schritte, aber mit Geduld kann auch daraus etwas wachsen.
Nur mit der Unterstützung und dem Engagement aus der Bevölkerung, wie Hamidou es vormacht, kann schlussendlich auch unser Projekt als Erfolg verbucht werden. Denn wenn die Forschungsgelder versiegen und das Projekt beendet ist, muss der Wille dies Fortzuführen von den Bauern selbst kommen. Dafür muss sich der Nützlichkeit der Agroforstwirtschaft in einem grösseren Massstab aufzeigen lassen und die Radiokampagnen müssen genügend Leute erreicht und überzeugt haben. Nicht zuletzt setzt aber die generelle Stabilität im Land ein grosses Fragezeichen hinter das Gelingen derartiger Projekte. Es ist ein komplexes und fragiles Gebilde. Und die Massnahmen und deren Umsetzung benötigen Zeit. Zeit die vielleicht nicht vorhanden ist. Solange es aber noch Leute gibt, die für solche nachhaltigen Veränderungen kämpfen, kann aus dem brauen Wüstenboden eine grüne Zukunft wachsen.
Credits: Filip Dingerkus
Das IAM ist Partner des FiBL (Forschungsinstitut für biologische Landwirtschaft) im Projekt ORM4Soil das in den vier Ländern Kenia, Sambia, Ghana und Mali angesiedelt ist. Ziel ist es, die Bodenfruchtbarkeit mit biologischen Methoden zu steigern. Dabei sollen die individuellen Bedürfnisse und Umstände der einzelnen Länder berücksichtigt werden. Das bedeutet, dass sich die Massnahmen in den vier Ländern unterscheiden. Die Kommunikationskampagnen sind überall auf Radioprogramme ausgerichtet. Möglich gemacht wurde das Projekt dank der Förderung durch den SNF (Schweizerische Nationalfonds) und die DEZA (Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit). Im Zeitraum von 2012 bis 2022 haben sie das Programm R4D (Research for Development) ins Leben gerufen. Unser Forschungsprojekt ORM4Soil ist Teil davon. Aus dem R4D-Programm resultierten diverse weitere Projekte in denen sich Schweizer Forschende gemeinsam mit Entwicklungs- und Schwellenländern zusammengeschlossen haben. Im Fokus von R4D stehen laut dem SNF die Reduktion der Armut und der Schutz der öffentlichen Güter in Entwicklungsländern.