«Shitstorms – Im Fegefeuer der digitalen Empörung» – Wie geht man mit Shitstorms um? Diese Frage diskutierten Alexandra Bini, Mediensprecherin von UPC und Fabian Eberhard, Journalist beim Sonntagsblick, am 7. März mit den Columni ZHAW im Zürcher Lokal Karl der Grosse. Sie hatte mit aufgebrachten Mitarbeitenden zu kämpfen, er mit Hass wegen eines kritischen Tweets.
von Valérie Jost, Studentin im Bachelor Kommunikation und Impact-Redaktorin
Was Shitstorms sind, wissen in der Kommunikationsbranche alle, selbst betroffen sind jedoch die wenigsten. Wer davon ein Lied singen kann, sind zum Beispiel Alexandra Bini im Kontext der Organisationskommunikation sowie Fabian Eberhard persönlich im Umfeld des Journalismus. Genau diese beiden hatte Columni zum ersten Anlass des Jahres eingeladen, der bereits sehr gut besucht war. Die Gäste füllten den Saal im Karl der Grosse problemlos, es mussten weitere Stühle aufgestellt werden.
Eberhard war persönlich angegriffen worden, nachdem er letzten Herbst einen kritischen Tweet über den jährlichen Unabhängigkeitsmarsch in Warschau verfasst hatte. Der Tweet lautete: «Angsteinflössend: 200 000 Nationalisten und Neonazis marschieren in Warschau, Polen» (aus dem Englischen übersetzt). Dazu ein Video des Marsches.
Kurz darauf geht es los. Der Vorwurf: Eberhard schmeisse alle, die am Marsch teilgenommen hatten, in den Nazi-Topf. Innert Kürze hat der Tweet 70‘000 Reaktionen. Der Shitstorm bricht über alle Kanäle herein, Twitter, Facebook, Instagram, Linkedin. Die ersten Schweizer Medien berichten darüber. Innert wenigen Tagen erreicht der Hass ein gigantisches Ausmass. Die polnischen Medien schalten sich ein, in Deutschland verbreitet die AfD den Tweet, der polnische Botschafter in der Schweiz äussert sich auch noch und über eine Trump-nahe Facebookseite schwappt das Ganze sogar bis über den Atlantik. Im Zuge des Hasses kommt es zu mehrfachen Morddrohungen gegen Eberhard und sein Umfeld: «Einige Kommentatoren drohten, meine Kinder umzubringen, andere schrieben, sie hoffen, dass wir alle an Krebs sterben.»
Trotz seiner grossen Erfahrung mit kritischen sowie Hass-Kommentaren war dies «ein neues Level». Das Ganze könnte eine orchestrierte Aktion gewesen sein, da auch andere nach kritischen Reaktionen auf den Marsch Shitstorms abbekamen, so der US-Starintellektuelle Francis Fukuyama und kroatische Medien. Auch Eberhard war dem Hass zu grossen Teilen einfach ausgeliefert. Wie er damit umging? «Ich konnte irgendwie nicht alles ignorieren, gleichzeitig wollte ich eigentlich gar nichts davon lesen.» Als es nicht mehr anders ging, deaktivierte er seinen Twitter-Account. Den ursprünglichen Tweet löschte er nicht.
Dann kam die Solidaritätswelle. Freunde auf Facebook, Medienschaffende aus Polen, sogar der deutsche Satiriker Jan Böhmermann unterstützten ihn und sprachen ihm Mut zu. Gleichzeitig lehnte Eberhard in Absprache mit seinem Arbeitgeber Ringier alle Interviewanfragen ab.
Eine Woche nach dem Tweet fiel der Shitstorm in sich zusammen. Und jetzt? «Es gelingt mir nicht immer, nicht weniger vorsichtig zu sein als vorher. Ich denke heute schon mehr nach, wenn ich einen Tweet schreibe.» Über 4000 Twitter-Accounts blockiert er nach der Reaktivierung selbst.
Auch Alexandra Bini hat bei UPC sowie zuvor bei der Credit Suisse Erfahrungen mit Shitstorms gesammelt. Im Kontext der Organisationskommunikation schiessen diese jedoch meist gegen das Unternehmen und nicht gegen einzelne Personen. Zuletzt hatte die Firma jedoch vor allem intern Kommunikationsbedarf aufgrund der kürzlichen Ankündigung, die Sunrise werde UPC übernehmen: Da die Mitarbeitenden zwar vor den Medien, aber erst spätabends informiert werden konnten, wurden sie mitten im Feierabend von Push-Nachrichten diverser Medien überrascht. Der Unmut liess nicht auf sich warten und eine verärgerte Mitarbeiterin wandte sich sogar anonym an 20 Minuten, wo prompt eine Story mit dem Titel «Wir fürchten bei UPC jetzt so ziemlich alles» erschien. Alexandra Bini sagt dazu: «Als börsenkotiertes Unternehmen konnten wir die Mitarbeitenden nicht vor US-Börsenschluss informieren. Dass dieser in unserer Zeitzone in den Feierabend fiel, war äusserst unglücklich.» Ansonsten seien sie für alle Situationen gut gerüstet gewesen: «Wordings für alle Anspruchsgruppen, wie Mitarbeitende, Medien und Geschäftspartner, sowie FAQs konnten wir bereits früh vorbereiten.» Nur weniges sei nicht absehbar gewesen, da es von Sunrise entschieden werden musste.
Generell operiert UPC pro- wie auch reaktiv auf Social Media. Da vor allem abends eine heikle Zeit für das Unternehmen ist, werden Nachrichten und Kommentare in Ausnahmesituationen, wie zum Beispiel Service-Ausfälle, auch nach Bürozeiten beantwortet. «Wenn die Kunden sich abends gemütlich vor dem Fernseher entspannen wollen und zum Beispiel die neue TV-Box nicht funktioniert, erfahren wir online schnell von ihrem Frust.» Wenn dann auch noch niemand reagiert, staue sich die Wut an. Ausserdem: «Shitstorms sind meistens nicht ganz ungerechtfertigt. Deshalb muss man als Unternehmen gut und schnell reagieren.» Das nehme vielen bereits den Wind aus den Segeln. Zusätzlich wird die Medienstelle bei aufkommenden Themen auf Social Media informiert – auch am Wochenende. Warum, erklärt Bini so: «Ich bin überzeugt, dass eine transparente und schnelle Kommunikation kausal mit der Abwendung eines entstehenden Shitstorms zusammenhängt.» Bereits eine kurze Antwort wie zum Beispiel «Wir haben das Problem erkannt und arbeiten daran. Wir können momentan noch nichts Genaueres sagen, werden Sie aber weiter informieren» helfe, die Situation im Griff zu behalten.
Und was, wenn Kommentare völlig daneben sind? «Wer unsere Netiquette nicht respektiert, wird zuerst verwarnt. Geht es im selben Stil weiter, werden die Kommentare gelöscht oder der User blockiert.» In der anschliessenden Diskussion erklärt auch Fabian Eberhard seine Methoden dazu: «Bei Morddrohungen habe ich Leute auch schon angezeigt, was dann auch oft zu einer Verurteilung führte. Aber der Aufwand liegt dann eben bei der bedrohten Person.»