Das Lügen scheint in unserer Gesellschaft salonfähig geworden zu sein. Als «Wachhund der Demokratie» muss der Journalismus dieser Entwicklung entgegensteuern – aber wie? Diese Frage diskutierten Christof Moser (Project R) und Gieri Cavelty (SonntagsBlick) am vergangenen Donnerstag mit den Columni ZHAW im Zürcher Lokal Karl der Grosse.
von Valérie Jost, Studentin im Bachelor Kommunikation (JO16) und Impact-Redaktorin
Hinweis der Redaktion: Fake News sind mit einem Stern * gekennzeichnet. Auflösung unten am Beitrag.
Moser vs. Cavelty – Bereits beim Lesen des Programms versprach man sich einen spannenden Abend: mit dem neuen SonntagsBlick-Chefredakteur Gieri Cavelty und Project R-Mitgründer Christof Moser würden zwei bekannte, aber auch ziemlich unterschiedliche Mediengrössen aufeinandertreffen. Während Cavelty nach seinem Posten als Kommunikationschef beim Bund erst seit Kurzem wieder im Journalismus tätig ist, wandte sich Moser Ende 2016 von der Verlagsbranche ab und arbeitet nun mit Mitgründer Constantin Seibt und weiteren sechs Teammitgliedern an ihrem Medienstartup.
Einigkeit gab es…
Die Erwartungen sollten nicht enttäuscht werden. Nach der Begrüssung durch Columni-Präsidentin Claudia Sedioli Maritz war die Podiumsdiskussion eröffnet. Viviane Bischoff (20 Minuten) verfolgte sie als die Fakten-Checkerin des Abends vom Recherchepult hinter den Diskussionsteilnehmern aus – damit Fake News immerhin an diesem Abend keine Chance hatten. Columni-Vorstandsmitglied Florian Imbach (SRF) fragte die beiden Journalisten als erstes, ob sie heutzutage häufiger angelogen würden. Mosers Antwort läutete bereits den Tenor des Abends ein: «Ich weiss nicht, ob das Lügen zugenommen hat. Heute kann aber offen gelogen werden, ohne dass es Konsequenzen hat.» Dem schloss sich Cavelty kurz darauf an: «Es wurde schon immer gelogen, aber heute in einer neuen Dimension. […] Auch beim Phänomen Trump: Ich glaube, viele wollen seine Wahl nicht wahrhaben und schreiben es den Lügenmedien zu, aber schlussendlich wurde er von den Leuten gewählt.» Auf Imbachs Frage, ob ihn Trumps Lügen nicht stören würden, antwortete er: «Doch, aber ich gehe von der Vernunft der Leute aus. Man muss damit umgehen können. Aber vielleicht bin ich auch naiv.»
…nur teilweise
Derart einstimmig wie zur momentanen Lage klang es aber nicht den ganzen Abend. Moser schien zum Beispiel nicht mehr so stark an diese Vernunft der Leserschaft zu glauben wie Cavelty. Er war der Meinung, der Journalismus trage selbst zur Verwirrung bei, indem redaktionelle Inhalte mit Native Advertising vermischt würden: «Die Leute können nicht mehr zwischen seriösem Journalismus und Fake News unterscheiden.» Cavelty dagegen reagierte auf Mosers Einwand zu einem wochenlang topplatzierten PR-Artikel* auf der Blick-Homepage mit: «Die Leute merken das.»
Ein weiterer Unterschied zeigte sich in der Haltung zu Objektivität im Journalismus. Und zwar anhand einer Frage aus dem Publikum zur Definition der Wahrheit: «Wir sprechen ständig über diese Wahrheit – aber was ist sie genau?», fragte eine Zuhörerin.
Moser vertrat die Ansicht, es gäbe irgendwo eine Wahrheit, jedoch ausserhalb unserer Reichweite, und sagte: «Wichtig ist, nach Wahrhaftigkeit zu streben.» Cavelty dagegen war klar der Meinung, es gäbe eine objektive Berichterstattung: «Es gibt Wahrheiten. Wir haben Werte. Es ist gefährlich, zu sagen, alles sei relativ.»
Die Vertrauensfrage
Ein wichtiger Punkt des Abends war auch das Vertrauen der Gesellschaft in die Medien. Imbach nannte Zahlen aus dem Reuters Institute News Report, gemäss denen 50% der Leute den Medien vertrauen, 39% den Verlagen und 35% den Journalisten**. Er kommentierte: «Das Vertrauen ist also im Keller. Wie bringen wir es wieder hoch?» Mosers Antwort lautete: «Wir müssen über Dinge schreiben, die den Leuten etwas bringen. Manchmal produziert der Journalismus nur Bürokratie statt Lösungen und Aufklärung.» Damit meinte er den Fall des Jugendstraftäters Carlos, als über dessen Rindsfiletkonsum im Gefängnis berichtet wurde: Die Leser waren empört und die Ämter verängstigt, ihnen könnte auch etwas um die Ohren fliegen, sodass sie all ihre Akten prüften. Moser fasste zusammen: «Klickgenerierende Filetgeschichten haben nichts mit vertrauenswürdigem Journalismus zu tun.»
Die Lösung?
Doch die Frage, um die es wirklich ging – nämlich wie der Journalismus dieses Vertrauen wiedergewinnen kann – kam in der Diskussion ein wenig zu kurz. Mosers Antwort lautete: «Fake News sind nichts Neues. Wir müssen wieder dorthin, wo die Leute sind. Uns in den Dreck werfen, statt im bequemen Newsroom zu sitzen, […] präsent und fassbar sein, unsere Komfortzone verlassen.» Und Caveltys Antwort auf die Frage des Abends lautete: «Wir müssen selbstbewusst guten Journalismus machen. Das ist es, was wir beitragen können.»
Die Faktencheckerin des Abends, Viviane Bischoff (20 Minuten), hat zum Ende der Diskussion einige Fehler aufgezeigt:
* Der PR-Artikel auf blick.ch war gross als solcher angeschrieben.
** Das Vertrauen in den Journalismus ist stabil, war aber schon immer ziemlich tief.