Heutige Jahresabonnemente für Tageszeitungen sind zu teuer, sagte Tamedia-Verwaltungsratspräsident Pietro Supino kürzlich am JournalismusTag.16 in Winterthur. Realistisch sei, dass Kunden künftig zwischen 200 und 400 Franken dafür bezahlen würden. Schlechte Aussichten für Tages-Anzeiger, Berner Zeitung, 24 Heures und Co., deren Abos derzeit zwischen 460 und 700 Franken liegen. Kein Land in Sicht für die letzten quasi-unabhängigen Regionaltitel wie Schaffhauser Nachrichten oder Walliser Bote, deren Abopreise in diesem angepeilten Spektrum zu finden sind. Der Kostendruck durch die Konkurrenz erhöht sich weiter. Und keine Morgendämmerung für ein neues publizistisches Qualitätsprimat im Lande. Die Auktion, wer Qualität zum Tiefstpreis anbieten kann, geht weiter.
von Mirco Saner, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Forschungsschwerpunkt Journalistik des IAM
Während die Printmedien wie wir sie kennen am Westhimmel untergehen und der Billigjournalismus hoch im Zenit steht, steigt im Osten etwas Neues über den Medienhorizont: Der Bürgerjournalismus. Im pessimistischen Branchen-Grundrauschen der vergangenen zwanzig Jahre haben sich zwei neue Strömungen gebildet: Auf der einen Seite junge Nachwuchsjournalisten, die zugeben, durch den Überfluss-Häppchen-Journalismus der Verlage überfordert zu sein; die gewillt sind, journalistisch herumzuexperimentieren und damit die Innovation innerhalb der Branche anzutreiben. Auf der anderen Seite erfahrene Medienschaffende, die genug hatten. Beide Gruppen haben in den letzten Jahren Bürgermedien gegründet, pionierhafte Startups mit journalistischem Anspruch, oftmals losgelöst von etablierten Medienhäusern. Sie zeichnen sich dadurch aus, dass ihre Inhalte vor der Publikation nicht mehr von traditionellen, massenmedialen Redaktionen bearbeitet werden.
Horizontnahes Panorama
In der Schweiz ist die Anzahl Bürgermedien seit der Jahrtausendwende deutlich angestiegen und mittlerweile finden sich gut zwei Dutzend bekannter Akteure. Zu den sprachregionalen Bürgermedien zählen Online-Stadtmagazine, politische Podcasts oder Newsportale mit lautmalerischen Namen wie Coup, Audiatur, Journalismus Y, Project R oder Journal B. Bürgermedien bieten einen öffentlichen Gegendiskurs zu den traditionellen Medienhäusern an, füllen eine inhaltliche Lücke oder produzieren einfach wieder Qualitätsjournalismus. Damit bieten sie eine Chance zur Erhöhung der Meinungsvielfalt, die gerade im Lokalbereich mit den regionalen Zeitungsverbunden erheblich gelitten hat. Das journalistische Selbstverständnis zeigt auf, dass zahlreiche Akteure ihre gesellschaftliche Aufgabe darin sehen, wieder mehr Einordnung und Hintergründe zu liefern. Sie reagieren damit auch auf eine Hoffnung der hiesigen Medienwissenschaft.
Bürgermedien stellen keinen Ersatz, aber eine Ergänzung zu den Massenmedien dar und halten mit ihrer Berichterstattung der Branche den Spiegel vor. Ihnen gemeinsam ist, dass sie auf ein vorhandenes Defizit in der Berichterstattung reagieren wollen, fast ausnahmslos online publizieren und eine eigene Online-Community aufbauen, die sie unterstützt. Aber auch, dass sie sich hinsichtlich ihrer Manpower, ihrem professionellen Anspruch und ihrer Finanzierung stark voneinander unterscheiden. Bürgermedien sind Teil einer gesellschaftlichen Entmedialisierungsbewegung, wie es Pietro Supino nannte. Sie sind die Konsequenz der disruptiven, revolutionärsartigen Veränderungen, die in der Medienbranche zu beobachten sind, wie es Medienprofessor Otfried Jarren nennt. Auf jeden Fall sind sie Teil des gesellschaftlichen Trends, dass publizierte Informationen immer weniger von traditionellen Medienhäusern stammen.
Erkennen lässt sich bei einer ersten Übersicht auch ein dritter Akteurstyp: Bürgermedien, bei denen die Grenze zwischen Bürgerjournalismus, Corporate Publishing und PR in eigener Sache verschwimmt. Etablierte Unternehmen wie die Zürcher Verkehrsbetriebe, politische Parteien wie die SVP oder freischaffende Journalisten mischen hier ebenfalls mit eigenen Plattformen mit.
Problemfelder
Die modernen Journalismuspioniere haben mit zahlreichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Die unsichere Finanzierung wiegt am schwersten. Bürgermedien finanzieren sich bisher häufig durch Mäzene, Philanthropen oder Stiftungen. „Gestifteter“ Journalismus“ ist aber auf Dauer bisher kein Erfolgsrezept wie die nationalen Beispiele TagesWoche oder Basler Zeitung zeigen und birgt Unsicherheiten. Übrige Journalismus-Startups finanzieren sich bisher mittels Crowdfunding, Micropayments oder durch Eigenkapital. Zahlreiche Akteure arbeiten nebenberuflich und ehrenamtlich. Um langfristig zu überleben, benötigen auch diese Startups ein Abo- oder Mitgliederbeitrags-Geschäftsmodell. Werbung macht bisher nur bei rund 25% der Medienpioniere einen Teil der Einnahmen aus. Bürgermedien haben zudem häufig eine lokal-regionale Ausrichtung. Ein Ersatz für überregionale Massenmedien scheint aus Kostengründen nicht realisierbar.
Journalistischer Anspruch und Selbstverständnis der Akteure schüren nicht nur Hoffnungen auf einen neuen Qualitätsjournalismus, sondern widersprechen den klassischen Massenmedien auch teilweise. Journalismus dürfe auch inhaltliche Fehler machen, ist zu hören. Falls sie jemand aus dem Publikum bemerke und sich beschwere, werde im Nachhinein halt korrigiert. Das hat mit traditionellem journalistischem Qualitätsverständnis wenig zu tun, eher mit postfaktischem Gedankengut. Auffallend ist auch, dass zahlreiche Bürgermedien nach eigenen Angaben mit ihrer Berichterstattung primär auf ein jüngeres Publikum zielen. Bevölkerungssegmente wie Senioren, Kranke oder Personen mit Migrationshintergrund laufen Gefahr – wie bei der massenmedialen Berichterstattung – zu kurz zu kommen.
Bürgermedien fördern?
Ob Bürgermedien von den grossen Medienhäusern aktuell als Konkurrenz wahrgenommen werden, ist zu bezweifeln. Die grössten Player erreichen gerade einmal einige zehntausend Besucher auf ihrer Webseite – pro Monat. Aber eine Vielzahl dieser Akteure mit ähnlichen Besucherzahlen würde bedeuten, dass den grossen Onlineportalen hunderttausende Klicks fehlen. Sollte sich herausstellen, dass Bürgermedien nachhaltig einen Dienst für die demokratische Meinungspluralität im Land leisten und die massenmedialen Defizite zu einem gewissen Grad ausgleichen, sollten sie genauso aus dem Gebührentopf gefördert werden wie klassische Massenmedien, die sich dem Service Public verpflichtet haben. Spätestens dann würden sie von den grossen Medienhäusern wahrgenommen werden. Diese Leistung ist aber zunächst nachzuweisen.
Otfried Jarren sagte am JournalismusTag.16, Journalismus brauche jeweils Technologie und eine gute Idee, um erfolgreich zu sein und meinte damit, moderner Journalismus benötige heute wieder eine neue gute Leitidee, da er aktuell unter der Ideen-Herrschaft amerikanischer, gewinngetriebener Akteure wie Facebook, Apple oder Google stehe. Neue Technologie ist reichlich vorhanden. Neue Ideen sind präsentiert. Aber Pioniere haben schon immer finanzstarke Partner benötigt, um ihre Vorhaben erfolgreich durchzuführen.
Bürgerjournalistische Medien in der Schweiz
- Über Verpuffungen und Rezepte dagegen, 27. November 2014, Mirco Saner
- #JourTag – ein Blick hinter die Kulissen, 11. November 2014, Robin Schwarz